Zwischen Flüchtlingspolitik und Finanzberatung

Zwischen Flüchtlingspolitik und Finanzberatung
Europa wird für die Bürger immer wichtiger. Daraus ziehen auch die Kirchen Konsequenzen: Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat ihr Brüsseler Büro kräftig erweitert. Sie verfolgt gesellschaftspolitische Ziele ebenso wie eigene Interessen.
13.02.2012
Von Isabel Guzmán

An den Vormieter erinnert in dem vierstöckigen Haus in der Brüsseler "Rue Joseph II" nur weniges. Eine schöne Empfangslobby, dunkelgrauer Marmor, Duschen für gestresste Mitarbeiter. Aber keine Möbel oder gar Logos. Vermutlich hat sich die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) mit dem Vorgänger auch nicht viel zu sagen: Sie hat das Haus 2002 von der Zigarettenfirma Philip Morris übernommen.

Solche Wechsel sind normal in der Europa-Hauptstadt, wo täglich Umzugswagen unterwegs sind und immer mehr Organisationen und Firmen Büros eröffnen. Im Haus in der "Joseph II" arbeiten heute mehr Menschen als je zuvor. Die EKD hat dort mittlerweile neun Mitarbeiter. Teile des Hauses sowie ein zweites Gebäude in der Nachbarschaft sind an kirchennahe Organisationen weitervermietet.

Diskussion über Arabischen Frühling

Europa wird für die Bürger immer bedeutsamer, was sich auch auf das kirchliche Engagement in Brüssel auswirkt. Wichtig ist für die Kirchen zum Beispiel die Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik. Der Arabische Frühling sorgte für intensive Debatten dazu. Die Kirchen haben in der Frage durchaus Einfluss: So hatten sie maßgeblichen Anteil daran, dass die EU-Länder 2008 die Aufnahme von bis zu 10.000 Flüchtlingen aus dem Irak zusagten.

"Wirtschaftliche Verantwortlichkeit und soziale Gerechtigkeit" verlangt die EKD angesichts der Schuldenkrise und pocht auf eine Steuer auf Finanztransaktionen. Auch die Armutsbekämpfung und die Bioethik stehen bei den Kirchen auf der Agenda. So wollen sie zum Beispiel nicht, dass EU-Fördergelder in die verbrauchende embryonale Stammzellforschung fließen. "Auch der Schutz des arbeitsfreien Sonntags ist ein wichtiges Thema", sagt die Sprecherin der katholischen EU-Bischofskonferenz Comece, Johanna Touzel.

Gleichzeitig verfolgen die Kirchen ganz offen auch Eigeninteressen. "Es geht um den Erhalt des kirchlichen Rechts auf Selbstbestimmung", unterstreicht die Brüsseler EKD-Bürochefin Katrin Hatzinger. So sorgen Ausnahmeklauseln im Datenschutzrecht der EU unter anderem dafür, dass die Kirchen von den Meldebehörden Daten über die Religionszugehörigkeit der Bürger erhalten können. Sonderregeln im Gleichstellungsrecht ermöglichen es den Kirchen, ihre Mitarbeiter nach Religion auszusuchen.

Beratung für diakonische Einrichtungen

Nicht zuletzt haben die Glaubensgemeinschaften auch finanzielle Motive: In den Brüsseler Fördertöpfen sind erhebliche Summen für gemeinnützige Zwecke - man muss allerdings Kriterien erfüllen und die komplizierten Regeln kennen. Im EKD-Haus sitzt daher seit kurzem eine "Servicestelle Förderpolitik". Sie bietet Beratung für kirchliche und diakonische Einrichtungen an. Über mangelndes Interesse kann sie sich nicht beklagen.

Wie bedeutsam ist die religiöse Dimension in der EU-Politik tatsächlich? Die Präsidenten zweier EU-Organe sind als Katholiken aktiv: Kommissionspräsident José Manuel Barroso und Ratspräsident Herman van Rompuy. Der bis vor kurzem amtierende EU-Parlamentspräsident Jerzy Buzek engagiert sich als Protestant. Alle drei wohnten 2011 der Seligsprechung von Papst Johannes Paul II. in Rom bei.

Insgesamt sind von den 15.000 Brüsseler Lobbyisten einige hundert Menschen für Religionsgemeinschaften und religionsnahe Organisationen tätig. Nicht nur EKD und Comece haben Büros, sondern auch Caritas, Diakonie, Eurodiaconia, die ökumenische Konferenz Europäischer Kirchen, der Europäische Jüdische Kongress, die Muslimische Liga und viele andere.

Mittelgroße Akteure

Die Kirchen sind also unter den Interessenvertretern mittelgroße Akteure - das wird auch deutlich, wenn man ihre Finanzkraft betrachtet. EKD und katholische EU-Bischofskonferenz haben beide für die EU-Arbeit ein Jahresbudget von ungefähr einer Million Euro im Rücken. Dazu kommen die Budgets kirchennaher Organisationen.

Zum Vergleich: Die Europaabteilung von Greenpeace weist 1,6 Millionen Euro aus, die Vereinigung der nordischen Jäger 134.000 Euro. Der Ölkonzern ExxonMobil verzeichnet knapp fünf Millionen Euro. Der Bundesverband der Deutschen Industrie hat jährlich 3,1 Millionen Euro, die er für Lobbyarbeit in Brüssel ausgeben darf.

epd