Muslimische Organisationen: Dialog mit wem?

Muslimische Organisationen: Dialog mit wem?
Nach neuesten Schätzungen leben über vier Millionen Muslime in der Bundesrepublik. Politiker betonen den Dialog mit den hier lebenden Muslimen. Doch die wenigsten von ihnen sind organisiert. Und mit den Organisationen, die es gibt, erreicht der Dialog oft nur eine kleine Gruppe.
10.02.2012
Von Thomas Klatt

Zunächst einmal sei es gut gewesen, dass der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble 2006 die Islamkonferenz ins Leben gerufen habe, um das Schweigen zwischen Muslimen und dem Staat aufzubrechen, sagt Friedmann Eißler, Islam-Referent bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen. Die Islamkonferenz ist zwar bis heute kein Entscheidungsgremium, aber eine wichtige Gesprächsplattform. Vor allem habe sich aber gezeigt, dass die Muslime in Deutschland mehr seien als die muslimischen Verbände, so Eißler.

Höchstens ein Viertel der rund vier Millionen Muslime in Deutschland ist verbandlich organisiert. Aber nicht nur sind die vielen muslimischen Verbände wenig repräsentativ. Bis heute gibt es kritische Anfragen an sie. Aus der Islamkonferenz wurde etwa der Islamrat ausgeschlossen, da sein stärkstes Mitglied Milli Görü? vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Daraufhin verabschiedete sich auch der Zentralrat der Muslime aus der Islamkonferenz.

Scharia-Vorbehalt sorgt noch immer für Irritationen

Auch nach Jahren des staatlich-religiösen Dialogs in der Islamkonferenz wurden strittige Punkte nicht geklärt, bemängelt etwa der Berliner Islamismus-Experte Johannes Kandel. Immer noch ungeklärt sei etwa, inwieweit sich die Verbände zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen. Islamisten akzeptierten zwar die Demokratie als ein Regelwerk und ein Verfahren der Mehrheitsentscheidung, aber als Hüterin universell gültiger Menschen- und Grundrechte würde sie gerade nicht akzeptiert. Denn über allem stände der so genannte Scharia-Vorbehalt.

Kandel beklagt, dass dieser Vorbehalt selbst beim Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) gelte. Denn in ihrer 2002 verkündeten und bis heute nicht revidierten "Islamischen Charta" vermisst er die Akzeptanz der Allgemeinen Menschenrechte oder eben der Gleichheit von Mann und Frau nicht nur vor Gott, sondern auch vor dem Gesetz - wobei die Charta ausdrücklich betont, das islamische Recht verpflichte "Muslime in der Diaspora, sich grundsätzlich an die lokale Rechtsordnung zu halten".

[Listbox:title=Muslimische Organisationen[Im April 2007 gründete sich der Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland. Ihm gehören die vier größten muslimischen Organisationen an: Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB), Zentralrat der Muslime (ZMD), Islamrat (IR), Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ). Mit gut 900 Moscheen in Deutschland dominiert die von der türkischen Religionsbehörde aus gesteuerte DITIB den Koordinierungsrat. Der so genannte Zentralrat vertritt dagegen weniger als ein Prozent aller Muslime in Deutschland. Im Islamrat stellt die Islamische Gemeinschaft Milli Görü? (IGMG) die Mehrheit. Milli Görü? wird seit Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet. Dem VIKZ sind nach eigenen Angaben bundesweit rund 300 selbstständige Moschee- und Bildungsvereine angeschlossen.]]

Auch die gerade von Kirchenvertretern in Dialogveranstaltungen oft so hoch gelobte Gülen-Bewegung sei mit Vorsicht zu genießen, mahnt der EZW-Experte Friedmann Eißler. Vordergründig gelte zwar weiterhin der Satz ihres Gründers Fetulah Gülen: "Baut neue Schulen statt neue Moscheen!" Doch wenn man sich die Schriften oder Koranauslegungen aus dem Umfeld dieser islamischen Bildungsbewegung anschaue, so falle doch auch hier ein gewisser Scharia-Vorbehalt auf, meint Eißler. Im Grunde werde hier die Überlegenheit des Islam gegenüber dem Westen propagiert.

"Der Amoklauf in Winnenden wurde mit dem westlichen Verlust von Religion und der ewigen Werte der Scharia erklärt. Die Menschenrechte werden auf den Koran und die Scharia zurückgeführt. Hinzu kommt die Vorrechtsstellung des Mannes, da Frauen charakterlich unzulänglich sind. Das kennen wir alles von radikalen Islamisten wie Milli Görü? oder den Salafiten. Wenn aber solche Positionen im säkularen Bereich stark gemacht werden und in Schulen Menschen dafür angeworben werden, dann wirft das Fragen auf", erklärt Eißler. Etwa danach, welche Art von religiöser Bildung bis Indoktrination in den eigenen Wohngemeinschaften und so genannten "Lichthäusern" stattfindet. Eißler vermutet, dass die säkularen Bildungseinrichtungen der Gülen-Bewegung dazu dienen, um herausragende junge Leute für die eigene Sache zu rekrutieren.

Blind gegen Kritik?

Doch Kirchenvertreter seien gegen solche Kritik oft blind und taub. Meist sei man auf christlicher Seite froh, überhaupt einen Dialogpartner zu finden, der zumindest Deutsch beherrsche, sagt Eißler. Denn immer noch würde etwa die beherrschende DITIB vor allem Imame aus der Türkei beschäftigen, die sich weder mit der Sprache noch der deutschen Kultur auskennen.

"Die Kirchen haben sich früher vor allem sozialdiakonisch für Gastarbeiter und Migrantengruppen eingesetzt. Immer noch denkt man, man habe nicht zu kritisieren, sondern zu helfen. Daraus kann sich eine Fehleinschätzung der politischen Brisanz mancher islamischer Positionen ergeben", warnt Eißler. Wenn der Islam zu Deutschland gehöre, dann müsse dieser auch genau so kritisch angefragt werden wie andere Institutionen im Land, fordert auch Islam-Experte Johannes Kandel. Nichts sei schlimmer als ein Kuschel-Dialog ohne Klärungen der Positionen und notfalls auch klaren Abgrenzungen.

Das sei aber oft schwierig, weil manche islamische Verbandsvertreter bei nur leisester Kritik reflexartig den Vorwurf der Islamophobie erhöben, meint Eißler. Nicht wenige würden sich in eine freiwillige Opferrolle begeben und gebetsmühlenartig die Anerkennung des Islam in Deutschland fordern. "Muslime beklagen etwa, dass sie nicht wie die Kirchen als Körperschaft des Öffentlichen Rechts anerkannt sind. Aber diese Rechtsform ist oft gar nicht nötig. Islamischer Religionsunterricht kann auch jetzt schon stattfinden. Auch ohne Körperschaftsstatus können Muslime etwa Mitglieder in Rundfunkräten sein", sagt Eißler. Und oftmals vermisse man eben auch eine Kooperationsbereitschaft der muslimischen Gruppen und Strömungen untereinander. Wenn sie sich zu einem Gesamt-Verband des deutschen Islam zusammenzuschließen könnten, hätten Kirchen und Staat endlich einen verlässlichen Ansprechpartner.


Thomas Klatt ist evangelischer Theologe und freier Journalist in Berlin.