Organspende: Wer hört den Angehörigen zu?

Organspende: Wer hört den Angehörigen zu?
Ein Patient auf der Intensivstation - hirntot. Kaum haben die Angehörigen die schreckliche Nachricht verdaut, kommt die nächste Frage: Würde der Verstorbene wohl seine Organe spenden wollen? Diese Frage muss in neun von zehn Fällen gestellt werden, weil der Verstorbene seinen Willen nicht dokumentiert hat. Aber wie sie gestellt wird, darauf kommt es an.
09.02.2012
Von Anne Kampf

Der Südwestrundfunk greift das sensible Thema an diesem Donnerstagabend in der halbstündigen Wissenschaftssendung "Odysso" auf (ab 22 Uhr im SWR Fernsehen). Darin wird unter anderem dargestellt, welche Schwierigkeiten sich durch das Phänomen "Hirntod" für die Angehörigen ergeben: Herz und Kreislauf werden weiter in Gang gehalten, die Hände sind noch warm, das Gesicht durchblutet. Angehörige können dadurch den Eindruck gewinnen, einen noch lebenden Menschen zur Organentnahme freizugeben. Das macht die Entscheidung zusätzlich schwer.

Häufige Fragen von Angehörigen sind: Spürt der Verstorbene wirklich keine Schmerzen mehr? Hätte er oder sie eine Organspende befürwortet? Und: Ist das überhaupt ein würdevolles Sterben, wenn der Körper nicht mehr vollständig ist? Die Angehörigen brauchen Beratung, um eine Entscheidung treffen zu können - sofern der Verstorbene das nicht schon per Organspendeausweis getan hat.

Günter Jochum: Der Seelsorger, der immer dabei ist

Ein etwas außergewöhnlicher "Berater" in Sachen Organspende ist der Siegener Krankenhausseelsorger Günter Jochum, der in dem SWR-Film zu Wort kommt. Er hat zwölf Jahre lang in einem evangelischen Krankenhaus gearbeitet, dem Jung-Stilling-Krankenhaus in Siegen. Jochum war dort nach einer Vereinbarung regelmäßig an allen Gesprächen mit den Angehörigen möglicher Organspender beteiligt. Diese Regelung hatte eine Vorgeschichte.

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Es habe der Verdacht im Raum gestanden, so berichtet Jochum, dass ein Anästhesist die Gespräche mit den Angehörigen "tendenziell" geführt habe - also mit dem Ziel, ihre Zustimmung einzuholen. Denselben Verdacht gebe es auch in anderen Kliniken, so Jochum. Sogar über die Koordinatoren der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) hat er Berichte gehört, sie würden die Gespräche manipulativ führen.

 

Das weist Birgit Blome, Pressesprecherin der DSO, entschieden zurück. "Unsere Koordinatoren nehmen sich Zeit und erklären den Organspendeprozess", sagt sie. "Wir möchten auf die Angehörigen eingehen, nicht drängen, sondern Zeit geben und mit ihnen gemeinsam den mutmaßlichen Willen des Verstorbenen ermitteln. Keiner unserer Koordinatoren will die Angehörigen überreden." Ziel sei jeweils eine "stabile Entscheidungen, zu denen die Angehörigen auch nach Jahren noch stehen können", so Blome. Eine Grundregel für die Gespräche lautet: Die Entscheidungen werden respektiert und nicht bewertet.

Ärzte haben oft keine Vorbereitung und keine Zeit

Allerdings nehmen die Koordinatoren der Deutschen Stiftung Organtransplantation nur dann an den Angehörigengesprächen teil, wenn sie von den Krankenhäusern gerufen werden. Oft führen Ärzte die Gespräche allein, laut DSO ohne in ihrer Ausbildung darauf vorbereitet worden zu sein und manchmal unter großer Arbeitsbelastung und Zeitdruck. Seelsorger können dazugerufen werden, wenn die Angehörigen das wünschen - eine grundsätzliche Regel für ihre Anwesenheit gibt es nicht.

Hier ist das Siegener Modell eine Ausnahme: Wegen des Verdachts der manipulativen Beratung im Jung-Stilling-Krankenhaus bildete sich in den Neunziger Jahren ein Ethikforum, das lange über die Problematik der Angehörigen-Beratung diskutierte. Das Ergebnis: Eine ethisch neutrale Person, die Gesprächsführung beherrscht, solle die Gespräche leiten. Man kam auf den Krankenhausseelsorger.

Am Ende sollen die Angehörigen ein gutes Gefühl haben

Günter Jochums Maxime für die Angehörigengespräche: "Am Ende können sie eine Entscheidung treffen, mit der sie auch in Zukunft in Ruhe leben können." Das Schwierige an diesen Gesprächen sei, dass die Familie innerhalb kurzer Zeit zwei Botschaften verdauen müssten. Erstens: Die Mitteilung der Hirntod-Diagnose. "Darauf reagiert ja jeder anders, einer schweigsam, ein anderer impulsiv", so der Seelsorger. "Erst wenn wir im Gespräch das Gefühl haben, die haben das jetzt begriffen, dann fragen wir: Wissen Sie ob der Angehörige Organspender hätte sein wollen?"

Genauso gehen laut einer internen Anleitung der DSO auch die Koordinatoren vor: Sie sollten klar und einfach formulieren, den Angehörigen zuhören, sicherstellen das die Familie alle notwendigen Informationen bekommen und verstanden hat. Sollte die Angehörigen sich allzu hastig entscheiden, sind die Koordinatoren gehalten, noch einmal einen Schritt zurück zu gehen und das Gesagte zu hinterfragen. Am Ende des Gesprächs zählt, "dass der Angehörige das Gespräch mit einem guten Gefühl bezüglich seiner Entscheidung verlässt." Auch wenn er sich gegen eine Organspende entschieden hat.

Die aktuelle Ausgabe von "Odysso" zum Thema "Dilemma Organspende" läuft am 9. Februar ab 22 Uhr im SWR-Fernsehen.


Anne Kampf ist Redakteurin bei evangelisch.de und zuständig für die Ressorts Politik und Gesellschaft.