Der Streit um "Mein Kampf" geht in die nächste Runde

Der Streit um "Mein Kampf" geht in die nächste Runde
Der britische Verleger Peter McGee streitet vor dem Münchener Landgericht für das Recht, Teile aus Hitlers Autobiografie "Mein Kampf" als kommentierte Zeitungsbeilage an deutsche Kioske bringen zu dürfen. Ein Tabubruch? "Wir wollen den Mythos des verbotenen Buches begraben", sagen die Macher der "Zeitungszeugen". Der Freistaat Bayern will das verhindern. Anfang März will das Gericht das Urteil verkünden.
08.02.2012
Von Miriam Bunjes

Dürfen Deutsche Auszüge von Hitlers hetzerischem Werk "Mein Kampf" am Kiosk kaufen? "Es ist unglaublich, dass sie das nicht dürfen", sagt Alexander Luckow, Verlagssprecher der historischen Zeitung "Zeitungszeugen", die einmal pro Woche Originalzeitungen aus der NS-Zeit nachdruckt und zusammen mit Analysen von Historikern als Zeitung im Zeitschriftenhandel anbietet.

Einstweilige Verfügung im Eilverfahren

"Das unlesbare Buch" steht auf den kleinen Heften, die Ende Januar und in dieser Woche den "Zeitungszeugen" beilagen. Darunter ein Konterfei des berüchtigtsten Diktators der Welt. Die unbebilderten Broschüren enthalten je acht Seiten Originalauszüge aus "Mein Kampf", die auf den gegenüberliegenden Seiten vom Dortmunder Historiker und Journalistik-Professor Horst Pöttker kommentiert werden. Derzeit sind die Hitler-Zitate allerdings buchstäblich unlesbar: Verleger Peter McGee hat sie bis zur Unkenntlichkeit verschwimmen lassen - aufgrund einer einstweiligen Verfügung, erwirkt vom bayrischen Staatsministerium für Finanzen.

Verleger Peter McGee. Foto: dpa/Frank Leonhardt

Gegen sie streitet der Brite an diesem Donnerstag vor dem Landgericht in München, das sie am 25. Januar im Eilverfahren erlassen hatte. Denn die "Zeitungszeugen" wollen ihre ausgewählten "Mein Kampf"-Passagen an die Kioske bringen – leserlich.

"'Das unlesbare Buch' möchte mit einem Mythos aufräumen. 'Mein Kampf' ist ein ermüdendes und dumpfes Buch, das einen geheimnisvollen Ruf und unberechtigte Bedeutsamkeit erlangen konnte, weil es versteckt, verboten und verbannt wurde", schreiben die Herausgeber auf der Titelseite.

"Wir kämpfen bis zum Ende. Wenn wir jetzt vor Gericht verlieren, geht es eben eine Instanz höher", sagt "Zeitungszeugen"-Sprecher Luckow. "Das haben wir beim letzten Mal auch so gemacht." Das Urteil will das Münchner Landgericht am 8. März verkünden.

Bereits mehrere Prozesse

Tatsächlich ist es nicht die erste Begegnung der Kontrahenten vor Gericht. Denn das bayrische Staatsministerium für Finanzen hält die Urheberrechte mehrerer nationalsozialistischer Publikationen. Auch von "Mein Kampf", da Hitler bis zu seinem Tod mit Wohnsitz München gemeldet war. Und für Zeitungen wie dem NSDAP-Organ "Völkischer Beobachter" aus dem nationalsozialistischen Fritz-Eher-Verlag hat das Ministerium Copyright.

2009 ließ das Staatsministerium bundesweit Ausgaben der "Zeitungszeugen" beschlagnahmen – eine Maßnahme, die im Nachhinein als rechtswidrig erklärt wurde. Die Nachdrucke seien kein Verstoß gegen das Strafrecht nach Paragraf 86a, der das Verwenden verfassungsfeindlicher Inhalte unter Strafe stellt, und auch kein Verstoß gegen das Urheberrecht. Über die Höhe der Entschädigung, die der Freistaat McGee dafür zahlen muss, wird derzeit noch vor einem Zivilgericht verhandelt. 2011 pausierten die "Zeitungszeugen", seit Januar erscheinen sie wieder – und der alte Streit geht weiter.

"Das Urheberrecht an 'Mein Kampf' verteidigen wir weltweit, das ist politischer Konsens bayrischer Politik und bleibt auch so", betont Ministeriumssprecher Thomas Neumann. Einem Abdruck des Gesamtwerks hat das Finanzministerium bislang noch nie zugestimmt. "Wir sind einig mit den Vertretern der Opfer des Nationalsozialismus." Sein Vorgesetzter, Finanzminister Markus Söder (CSU), warf McGee zudem Geldgier vor: "Mit diesem Thema macht man keinen Profit", sagte er vor Journalisten.

"Eine beleidigende Unterstellung"

Das ist der Kernvorwurf an die "Zeitungszeugen", mit deren Inhalten sich ein wissenschaftlicher Beirat aus zehn Wissenschaftlern befasst, darunter auch der ehemalige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung, Wolfgang Benz: Die Zeitschrift diene der Massen-Unterhaltung, damit gelte für sie nicht das Zitationsrecht, das Wissenschaftler für "Mein Kampf" in Anspruch nehmen dürfen. Zudem wird den Kommentaren neben dem Hitler-Text vorgeworfen "vielfach Verständnis für die Ausführungen des Autors Hitler aufzubringen" und "keineswegs" zu beabsichtigen, "das Buch und dessen Autor zu entlarven, sondern Lust auf mehr zu machen", so die Antragsschrift zur Unterlassungsklage.

"Eine beleidigende Unterstellung", sagt Horst Pöttker. Seine Kommentare zu Hitlers Werk erscheinen bei den "Zeitungszeugen" aufgeteilt in drei Heften: "Autobiografie", "Propaganda" und "Ideologie". Die ersten beiden Teile sind verpixelt bereits erschienen, der dritte Teil erscheint zeitgleich zum Gerichtsprozess. "Eine noch immer tabuisierte Kernfrage über den Nationalsozialismus", so Pöttker, "ist doch: Warum haben so viele Deutsche dabei mitgemacht? Und dafür muss man die Ideenwelt Hitlers kennen und verstehen."

Seine Analyse will deshalb auch auf in sich plausible Detailargumente Hitlers hinweisen. "Natürlich nicht um die Ideologie zu rechtfertigen oder zu verharmlosen, sondern gerade um die in ihrer oberflächlichen Plausibilität liegende Verführungskraft und Gefährlichkeit zu entlarven", sagt der Wissenschaftler.

Im Rest der Welt frei erhältlich

Ab 2016 erlischt das Urheberrecht der Bayern an "Mein Kampf" sowieso, weil dessen Autor dann 70 Jahre tot ist. "Dann kann jeder es nachdrucken", erklärt Pöttker, der es deshalb besonders wichtig findet, vorher über die Inhalte des Buches aufzuklären – indem sie auch der breiten Masse zugänglich gemacht werden. "Die Leute sollen darauf vorbereitet sein", sagt der Journalistik-Professor. Und: "Etwas nicht zu veröffentlichen oder den Zugang zu den Informationen zu erschweren, macht auch immer etwas mit dem Inhalt: Es umgibt ihn mit einem Mythos, der den Blick auf Wahrheiten verstellen kann."

Ein wirksam verbotenes Buch ist "Mein Kampf" sowieso nicht wirklich: Einige Klicks im Internet genügen, um es dort lesen zu können oder es sich aus den USA schicken zu lassen. Antiquarisch war es immer legal zu erwerben – und in Bibliotheken ausleihbar sowieso. Und kommentierte Ausgaben existieren ebenfalls in mehrfacher Ausführung. "Dass es mit Kommentaren versehen nicht am Kiosk sein darf, lässt sich logisch nicht nachvollziehen", findet Pöttker. Und dass der Verleger ein kommerzielles Interesse an den Zeitungszeugen hat, sei ebenfalls kein schlüssiges Argument gegen die "Mein Kampf"-Beilage – auch nicht aus moralischer Sicht: "Dass etwas kommerziell ist, heißt ja nicht, dass es nicht aufklärerisch ist."

An der Kommerzialität stört sich auch die ehemalige Präsidentin des Zentralrates des Juden, Charlotte Knobloch. Es handele sich bei "Mein Kampf" um eine der übelsten Hetzschriften, die in diesem Land je verfasst worden sei, sagte sie "Spiegel Online". Für das Ansinnen, das bisweilen mystifizierte Werk zu entzaubern habe sie Verständnis, McGee ginge es aber letztlich ums Geschäft, und dieses Buch verdiene keine große Aufmerksamkeit.

Trotz Verpixelung gut verkauft

Die "Zeitungszeugen" samt verpixelter Beilage sind mit einer Auflage von 100.000 Exemplaren erschienen und kosten jeweils 3,90 Euro. Trotz Verpixelung hätten sich die Ausgaben gut verkauft, so der Verlagssprecher.

Die Nachdrucke "Zeitungszeugen". Foto: dpa/Stephan Jansen

"Die Leute sind interessiert an historischen Schriften, häufig auch solche, die keine besondere historische Vorbildung haben und denen es vielleicht auch zu aufwendig ist, sich "Mein Kampf" zu besorgen oder in der Fachbibliothek auszuleihen", sagt Luckow.

"Wir wollen allen die Möglichkeit geben, sich über das angeblich so geheimnisvolle Buch ein eigenes Bild zu machen. Wir leben schließlich in einem freien Land." Auch Barbara Zehnpfennig, Politikwissenschaftlerin an der Universität Passau, findet es wichtig, Hitlers Autobiografie an die breite Öffentlichkeit zu bringen. "Die Hasstiraden von Stalin und Lenin sind ja auch frei zugänglich, ebenso wie Hitlers "Zweites Buch", das das gleiche Gedankengut enthält wie "Mein Kampf", sagt Zehnpfennig, die selbst über "Mein Kampf" geschrieben hat – Studienkommentare mit Originalzitaten. Probleme mit dem bayrischen Finanzministerium hatte sie dabei nicht. "Was ist das für ein Demokratieverständnis, bestimmtes Gedankengut von der Bevölkerung fernzuhalten? Die Gesellschaft muss sich mit ihm auseinandersetzen und mit ihm umgehen lernen."

"Aus dem Originalmaterial lernen"

Lernen kann man viel aus "Mein Kampf" findet die Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft zur Erforschung des politischen Denkens: "Hitler war ein Glaubender: Seine Politik leitet sich aus seiner Weltanschauung ab und diese hat er in "Mein Kampf" dargestellt." Seine Taten würden häufig isoliert analysiert, seien aber Teil eines großen Ziels gewesen. "Dies zu verschleiern, war Teil seiner Taktik, auch das beschreibt er in dem Buch." Hitlers Ideologie zu verstehen, sei wichtig, um seine Politik zu verstehen. "Auf Informationen, die diesem Verständnis dienen, haben alle ein Recht."

Dass ein freier Zugang zu dieser Ideologie über den Kiosk Menschen zu Rechtsradikalismus verführen könnte, hält sie für absurd. "Die 'Zeitungszeugen'-Bände kommentieren den Original-Text unmittelbar", sagt Zehnpfennig. "Und das Buch ist wenig eingängig geschrieben, dadurch treten noch zusätzlich Verfremdungseffekte auf." Fast 70 Jahre nach dem Krieg sei die deutsche Gesellschaft längst bereit zu sachlicher Lektüre. So wie etwa die in Israel: Dort ist "Mein Kampf" frei erhältlich.


Miriam Bunjes ist freie Journalistin aus Dortmund.