Im Geschäft mit dem Geschäft regiert die Toiletten-Mafia

Im Geschäft mit dem Geschäft regiert die Toiletten-Mafia
Ein menschliches Bedürfnis an öffentlicher Stelle kommt häufig vor - und ist die Basis für lukrative Geschäftsmodelle. Daran verdienen viele mit, am wenigsten aber die Toilettenfrauen. Recherchen über stille Örtchen, über die kaum jemand reden mag.
08.02.2012
Von Philipp Alvares de Souza Soares

Am Eingang steht eine Frau mit weißer Schürze und mütterlichem Blick. Leute gehen rein, Leute gehen raus. Bestimmt sechs pro Minute. Münzen klirren auf dem kleinen Teller. "Dankeschön", sagt die Frau leise, "danke". Danke. Danke. Immer wieder. Danke. Und dazu ein Lächeln.

Auf einem kleinen Aufsteller hinter dem Teller steht, die Mitarbeiter "freuen sich über ein Trinkgeld". Diese Aufforderung und der Blick der Frau reichen bei den meisten Besuchern. Sie kramen in ihren Portemonnaies, legen Münzen auf den Teller. Wenn der Teller zu voll aussieht, leert die Frau ihn über einer Plastikdose – eine von denen, die sonst Gummischnuller enthalten. Die Dose ist halb voll mit Kleingeld.

Die Frau arbeitet für eine Firma aus Bockenem in Niedersachsen. Ganz schön weit weg, denn die Frau steht in Frankfurt, vor dem Eingang einer Kaufhaustoilette. Die Frau schaut verunsichert, irritiert, als sie nach dem Grund dafür gefragt wird. Sie spreche nur wenig Deutsch und will keine Fragen beantworten. Trotzdem lächelt sie, sie ist es gewohnt. Sie zeigt auf den Aufsteller: "Fragen Sie Firma!"

Wer bekommt das Tellergeld?

Beim zweiten Besuch lässt sie sich doch auf ein Gespräch ein. Die Frau sagt, sie arbeite erst seit einem Monat hier. Ihr Lohn sei das Geld auf dem Teller. Ungefähr 250 Euro in zwei Wochen verdiene sie so, zusätzlich zur Sozialhilfe. Die andere Hälfte des Monats arbeite jemand anderes hier. Nur, die meisten Leute legen 50 Cent auf den Teller, und es sind viele Leute – da kann etwas nicht stimmen. Dennoch, sie bleibt dabei: "Leute geben nicht viel", sagt sie und hebt die Schultern.

Nach jedem Arbeitstag zählt sie das Geld und nennt den Betrag ihrem Arbeitgeber, sagt die Frau. Der kümmere sich dann um die Abrechnung, "Steuer und so". Anruf beim Arbeitgeber: Auch er spricht mit Akzent, aber flüssig und mit mehr Worten. Er will nicht verraten, wie viel er verdient, wie viele Toiletten er betreibt, will eigentlich überhaupt keine Fragen beantworten. Alles sei korrekt, sagt er, die Frauen kriegen 8,55 Euro pro Stunde. Das ist der Mindestlohn im Reinigungsgewerbe. Das Geld auf dem Teller sei für ihn. Vom Kaufhaus bekomme er kein Geld, die Münzen der Gäste seien alles, was er einnehme.

Zentnerweise Münzen

All das macht skeptisch, auch die Justiz: Gegen Frau P. etwa wird ermittelt, denn sie ist keine Klo-, sondern eine Geschäftsfrau. Der Verdacht: Steuerhinterziehung. Mit einem 7,5-Tonner fuhren die Ermittler Ende Juli bei Frau P. vor, um die metallenen Beweise abtransportieren zu können. Ungefähr 40.000 Euro in kleinen Münzen, zwei Tonnen schwer, hortete Frau P. in ihrer Garage – die Geldzählmaschine sei angeblich defekt gewesen.

Das Geld stammt von den Tellern vor Kaufhaustoiletten. Ungefähr 50 Klos betreibt Frau P. bundesweit. Frau P. ist Russin und hat überwiegend Landsleute für sich arbeiten lassen. Sie arbeiten als 400-Euro-Kräfte, als geringfügig Beschäftigte. In den Verträgen steht keine Arbeitszeit, es wird eine Pauschale gezahlt. Schließlich müssten sie ja nicht die ganze Zeit putzen, soll Frau P. gesagt haben. Das "Tellergeld" sammelt Frau P., behalten dürfen die Frauen es nicht.

Das Toilettengeschäft sei ein Vertrauensgeschäft, sagt man in der Branche. Erfahrungswerte verraten den Chefs, wie hoch die Tageseinnahmen sein müssten. Bei Abweichungen stieg Frau P. in ihren schwarzen Mercedes und kam mit einem "breitschultrigen Landsmann" vorbei. Dann wurden die Klofrauen eingeschüchtert oder auch mal geschlagen, sollen Mitarbeiterinnen erzählt haben.

Bis zu 500 Euro am Tag

Die Kaufhäuser verdienen mit. Frau P. zahlt Pacht für die Toiletten; das ist so üblich. Sie zahlt dafür, dass sie dort sauber machen lassen darf. An guten Standorten kann man locker 500 Euro am Tag einnehmen, sagen Insider. Die Firmen und Klofrauen erzählen meist nicht die Wahrheit, sagen, sie verdienen weniger, um keine Sozialleistungen zu verlieren oder ihre Steuerschuld zu verschleiern - je nachdem. Das Geschäft lohnt sich. Dabei soll auch mal Schmiergeld gezahlt werden, um an eine Toilette zu kommen.

Die Kaufhäuser ihrerseits wollen nicht sagen, wie viel sie mit ihren Klos verdienen und warum sie ihre Toiletten nicht selbst betreiben. Filialleiter und Mitarbeiter dürfen nicht darüber sprechen, verweisen an die Pressestelle. Die wiederum blockt ab: "Wir bitten Sie um Verständnis, dass wir uns dazu nicht äußern wollen." Das Thema wird weggedrückt. Karstadt, Kaufhof – überall nur mit penetranter Freundlichkeit vorgetragene Ausflüchte und höflich abwimmelnde PR-Sprache.

Vater und Sohn im "Facility Management"

Herr A. ist ein stolzer Geschäftsmann. Seine Firma sitzt in einer ehemaligen Postfiliale in einer kleinstädtischen Wohnsiedlung. Vom Himmel dröhnen die Flugzeuge. Einst war er der jüngste Kaufhausleiter eines großen Handelskonzerns, sagt A. Er lächelt. Dann hatte er genug, wollte "etwas Eigenes machen".

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Er kannte die Branche, wusste, was Handelskonzerne brauchen. Also stieg er ein ins "Facility Management", wie man neudeutsch Hausmeister- und sonstige Gebäude-Dienstleistungen nennt.

Seine Firma säubert seit 25 Jahren Filialen großer Bekleidungs-Ketten, kümmert sich teilweise auch um die Warenannahme. "Irgendwann muss man ja das nötige Kleingeld für die eigene Familie verdienen", sagt Herr A. - und geputzt werde schließlich immer.

A.s Sohn ist gekommen, grüßt und setzt sich. Die Toiletten gehören zur Dienstleistung Facility Management, sagt Herr A. Doch mit den Toiletten wollen Firmen wie seine meist nichts zu tun haben. Es lohne sich nicht, man sei ja an den Tarifvertrag gebunden. Also werden die Klos wieder untervermietet, auch er mache das so. Seine Stimme hebt sich: "Wie die das machen, ist mir egal. Ich will damit nichts zu tun haben", sagt A.

"Keine Namen!"

Da gebe es schon auch mal Probleme mit dem Zoll wegen Verdachts auf ausländische Schwarzarbeiter – "zu viel Ärger". In Zukunft will er sich Ausweiskopien der Mitarbeiter schicken lassen, um auf der sicheren Seite zu sein. Manchmal, während sein Vater erzählt, unterbricht ihn sein Sohn, relativiert, fasst das Gesagte in milderen Worten zusammen. Er kneift die Augen oft etwas zusammen, Misstrauen liegt in seinem Gesicht.

Vater A. beschreibt sein Geschäft weiter: Der Sub-Dienstleister bekomme nur das Geld auf dem Teller. Die Klofrauen stammten meist aus Afrika. Er selbst habe manchmal das Gefühl, sie würden unterdrückt, denn sie wirkten ängstlich. "Mafiöse Strukturen" vermutet er dort. Aber er wisse es eigentlich nicht genau, möchte das auch gar nicht wissen und betont immer wieder, dass er nichts damit zu tun haben wolle. Er sei ein seriöser Geschäftsmann.

Mensch A. und Kaufmann A. mögen sich manchmal nicht. Während des Gesprächs sagt sein Sohn dreimal, dass der Name der Firma auf keinen Fall genannt werden dürfe. Verliert die Familie ihre großen Kunden, ist sie ruiniert.

Geflecht aus Dienstleistern und Subunternehmen

Auch die Deutsche Bahn macht ein Geschäft mit dem Geschäft. Nur gibt es auf den Bahnhofstoiletten keine Teller, sondern Drehkreuze – man muss bezahlen. Am Hauptbahnhof in Frankfurt kostet einmal Pinkeln 70 Cent, ohne Verzehrgutschein wie an der Autobahn. Der Durchlauf ist immens, immer wieder gibt es Stau an den Kreuzen.

Ein großes mittelständisches Unternehmen betreibt das Klo und hat auch die Einrichtung installiert. Man arbeite schon länger und an vielen Standorten mit der Bahn zusammen, heißt es dort. An verkehrsreichen Bahnhöfen zahlt das Unternehmen dafür, dort die Toilette betreiben zu dürfen. Wie viel, bleibt Geschäftsgeheimnis. Doch auch an der Frankfurter Bahnhofstoilette ist das Modell das selbe: Die putzenden Mitarbeiter sind über ein anderes Unternehmen beschäftigt.

Diese Firma hat zwei Geschäftsführer – ein Ehepaar. Firmen- und Wohnsitze der beiden sind identisch, in Mainz und Bochum. Von der Wohnung in Mainz blickt man auf den Rhein, am Briefkasten steht auch der Name des Unternehmens. Nach dem Druck auf die Klingel meldet sich niemand. Eine Nachbarin sagt, die beiden seien oft im Ausland unterwegs.

Lukrativer Branchenwechsel

Die Firma will nicht gern gefunden werden. Keine Website, keine veröffentlichte Telefonnummer. Eine junge Klofrau in Frankfurt will die Nummer ihrer Chefs ebenfalls nicht herausgeben, auch nicht sagen, wie viel sie verdient – schließlich wolle sie "keinen Ärger". Auch hier arbeiten anscheinend nur Ausländer, die aber gut Deutsch sprechen.

Es zeigt sich keine Angst in ihren Augen. Dann aber doch, beim vierten Anlauf sagt der an diesem Tag anwesende Klomann: "Ok, muss Chef fragen." Er ruft den Chef an und fragt, ob er mit einem Journalisten sprechen möge. Er reicht das Telefon über den Tresen. Der Chef ist freundlich, hat aber gerade keine Zeit. Er ist einverstanden, in der nächsten Woche zu telefonieren, vorher sei er unterwegs.

Doch dann ist er nicht zu erreichen, ruft auch nicht an wie fest vereinbart. Mailbox, SMS, Brief – alles bleibt unbeantwortet. Er soll krank sein, unterwegs oder nicht zu sprechen. Laut seinem Profil im sozialen Netzwerk Xing war der Chef vorher in der Finanzbranche, hat etwa für eine niederländische Bank und einen Finanzberater gearbeitet. Warum er sich dann wohl für die Toilettenbranche entschieden hat?


Philipp Alvares de Souza Soares ist freier Journalist in Hamburg.