Seit den 70er Jahren spricht der Weltkirchenrat immer wieder von einer "Finanzkrise". Was ist neu an der gegenwärtigen Situation?
Olav Fykse Tveit: Im Moment bereiten uns Wechselkursverluste große Schwierigkeiten. Der Schweizer Franken ist sehr stark, so dass wir große finanzielle Verluste erlitten haben. Darüber hinaus hat einer unserer großen Geber, die niederländische Bündnis ICCO ihre Fördergelder für den Weltkirchenrat stark reduziert. Hintergrund ist, dass ICCO Staatsleistungen in Höhe von rund 40 Prozent gestrichen wurden.
[listbox:title=Mehr im Netz[Weltkirchenrat]]
Das schwerwiegendste Problem ist aber eine Deckungslücke in unserer Pensionskasse von rund 30 Prozent, was etwa 26 Millionen Schweizer Franken ausmacht. Inzwischen ist auch die Schweizer Finanzaufsicht auf das Defizit aufmerksam geworden.
Was sind die Gründe für das Finanzloch in der Pensionskasse?
Tveit: Der Pensionsfonds wurde aufgelegt in einer Zeit, als die Zahl der Beschäftigten sehr viel höher war als die Zahl der Menschen, die Bezüge erhielten. Statt ehemals rund 350 Mitarbeitern stehen heute nur noch 135 auf der Gehaltsliste des Weltkirchenrates. Heute erhalten mehr Menschen Geld aus dem Fonds als einzahlen. Ein Teil des Geldes ist zudem an der Börse angelegt. Während früher an der Börse hohe Gewinne erzielt und die Pensionskasse den Versicherten sehr gute Konditionen anbieten konnte, ist das heute anders. Die wirtschaftliche Situation hat sich geändert. Jeder Verlust an der Börse hat schwere Folgen für den Fonds, da er aufgrund seiner geringen Größe die Verluste schwer ausgleichen kann. Der dritte Grund ist die Beschaffenheit des Pensionsfonds. Er gibt eine hohe Rentengarantie unabhängig davon, was die Versicherten einzahlen. Heute basieren die Ausschüttungen der meisten Pensionskassen aber darauf, wie viel die Versicherten eingezahlt haben. Das müssen wir nun auch ändern.
Wie hat der Weltkirchenrat das Geld an der Börse angelegt? Hat er sich verspekuliert und gab es hochriskante Anlagen?
Tveit: Die Geldanlage wurde durch die Pensionskasse getätigt, und das ist eine vom Weltkirchenrat unabhängige Einrichtung. Soweit ich weiß, lag das Risiko im Rahmen. Das Anlageprofil der Pensionskasse unterscheidet sich nicht groß von anderen Pensionskassen in der Schweiz. Auch wurde nicht zwischen unterschiedlichen Anlageprodukten hin- und hergewechselt. Aber die Rendite war eben nicht mehr so hoch wie in den Jahren zuvor.
Was tut der Weltkirchenrat, um das Problem der Pensionskasse zu lösen?
Tveit: Das Exekutivkomittee hat beschlossen, die Pensionskasse in eine der großen Schweizer Pensionskassen zu überführen. Hierfür müssen wir aber zuerst das bestehende Defizit ausgleichen und die Deckungslücke beheben. Dazu brauchen wir rund 30 Millionen Schweizer Franken. Da wir nicht so hohe Rücklagen haben, und wir auch nicht unsere Mitgliedskirchen um zusätzliches Geld über die Jahresbeiträge hinaus bitten wollen, denken wir darüber nach, die Immobilien in Genf weiterzuentwickeln und so in Zukunft Einnahmen zu erzielen.
"Was brauchen wir in Zukunft
für ein Ökumenisches Zentrum?"
Ist ein Verkauf der rund 35.000 Quadratmeter großen Genfer Immobilie geplant?
Tveit: Um die Immobilien weiterzuentwickeln, arbeiten wir mit einem Projektentwickler und Banken zusammen. Ziel soll sein, den Vermögenswert zu maximieren und zugleich das nötige Geld aufzubringen, um die Pensionskasse in eine größere Kasse zu überführen. Wir entwickeln das Gelände, um dann einen Teil davon für den bestmöglichen Preis zu verkaufen. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage: Was brauchen wir in Zukunft für ein Ökumenisches Zentrum? Wir diskutieren zwei Möglichkeiten: Das bestehende Gebäude zu renovieren oder auf dem Gelände etwas komplett Neues zu bauen.
Mit welcher Schweizer Pensionskasse verhandeln Sie über einen Beitritt?
Tveit: Das kann ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Klar ist aber, es wird eine Pensionskasse sein, in der unsere Angestellten und Pensionsempfänger zusammen mit Tausenden anderen versichert sind und nicht nur mit ein paar Hundert. Ein größerer Fonds kann die Schwankungen an der Börse besser verkraften.
Bis wann soll eine Entscheidung gefällt werden?
Tveit: Das hängt von unserem Partner ab, aber auch von den Schweizer Behörden. Ich erwarte eine Lösung in den nächsten Monaten. Ich hoffe, dass eine Entscheidung beim Treffen des Zentralausschusses Anfang September bekanntgegeben werden kann. Wir sind von den Schweizer Behörden, die die Pensionsfonds kontrollieren, aufgefordert worden, etwas gegen das Defizit zu tun. Eine Deadline gibt es für uns seitens der Behörden aber nicht.
Haben Sie auch darüber nachgedacht, Genf zu verlassen?
Tveit: Nein. Das haben wir nicht diskutiert. Es ist wichtig, dass der Weltkirchenrat in Genf bleibt. Genf ist der Ort, an dem viele internationale Organisationen sitzen, die sich mit Gerechtigkeit, Frieden, Menschenrechten beschäftigen. Hier müssen auch die Kirchen vertreten sein. Dafür haben wir das Ökumenische Zentrum, ein Büro alleine reicht da nicht aus.
"Die Mitgliedskirchen sollen verstehen,
dass wir uns in einer Zeit
der Veränderung befinden."
Vor Kurzem haben Sie einen Brief an die Mitglieder des Zentralausschusses geschickt.
Tveit: In dem Brief habe ich die Entscheidungen des Exekutivausschusses mitgeteilt und für Verständnis geworben. Wir möchten, dass die Mitgliedskirchen verstehen, dass wir uns in einer Zeit der Veränderung befinden. Veränderungen, um unsere wirtschaftliche Situation zu stabilisieren, Veränderungen, die die Größe des Gebäudes betreffen und die Zahl der Organisationen, die in Zukunft im Ökumenischen Zentrum als Mieter sind. An dieser Diskussion wollen wir die Mitgliedskirchen beteiligen. Ich hoffe, dass ich nach der Sitzung des Exekutivausschusses im Februar auch einen Brief an die Mitgliedskirchen schicken kann mit einer weiteren Beschreibung unserer Beschlüsse und Pläne.
Ein weiteres Problem sind die Mitgliedsbeiträge, die die Kirchen zahlen oder eben nicht. Nach welchen Kriterien werden denn Beiträge erhoben?
Tveit: Vor einigen Jahren wurde die Entscheidung gefällt, einen Beitragsschlüssel zu entwickeln. Aber die Sache mit den Mitgliedsbeiträgen gestaltet sich schwierig. Denn einige Kirchen zahlten nicht, was sie sollten, und andere zahlten mehr als sie mussten. Viele Kirchen haben ziemlich wenig Geld zur Verfügung. Auf der anderen Seite gibt es Kirchen, die bereit sind, viel Geld in den Weltkirchenrat zu investieren. Vor allem die westlichen Kirchen tragen eine sehr hohe finanzielle Last und es gibt die Erwartung, dass sie das auch in Zukunft tun. Ich verstehe, dass das für Unmut sorgt. Daher brauchen wir eine neue Diskussion um den Beitragsschlüssel. Wir müssen neu über die Lastenverteilung ins Gespräch kommen.
Wird die Vollversammlung in Südkorea wie geplant stattfinden, oder gibt es angesichts der finanziellen Krise andere Pläne?
Tveit: Die Vollversammlung wird 2013 wie geplant in Busan stattfinden. Die Kirchen in Südkorea leisten hierfür einen sehr großen Beitrag.
Wie konzentriert der Weltkirchenrat in Zukunft seine Programmarbeit?
Tveit: Es gab eine lange Diskussion darum, was die wichtigsten Prioritäten für das Jahr 2012 sind. Und es gab einschneidende Einsparungen bei den Ausgaben. Für das Jahr 2012 sollen die Mitarbeiter, die wir haben, die Vollversammlung in Busan vorbereiten. Gleichzeitig wollen wir unsere Programmarbeit besser mit den Kirchen vor Ort abstimmen und andere ökumenische Partner einbeziehen. Angesichts der Krise müssen wir unsere Arbeit anders angehen, wir müssen unsere Ausgaben reduzieren.
Pfarrer Dr. Olav Fykse Tveit wurde im August 2009 zum Generalsekretär des ÖRK gewählt und trat sein Amt im Januar 2010 an. Zuvor war er Generalsekretär des Rats der Norwegischen Kirche für ökumenische und internationale Beziehungen (2002 -2009).