Der UN-Sicherheitsrat muss reformiert werden

Der UN-Sicherheitsrat muss reformiert werden
Er ist das oberste Gremium der Vereinten Nationen - der Sicherheitsrat. Einmal mehr hat er versucht, einzugreifen - und zwar im Fall Syrien. Einmal mehr haben zwei Mitglieder eine Resolution blockiert - China und Russland. Was aber bringt ein Gremium, das nicht handeln kann, weil die Blockade allzu leicht ist? Müsste der Rat nicht reformiert oder gar abgeschafft werden?
07.02.2012
Von Marco Fey und Carmen Wunderlich

Russland und China haben vergangenen Freitag im UN-Sicherheitsrat in New York die Verabschiedung einer Syrien-Resolution blockiert und damit große Empörung ausgelöst. Laut US-Außenministerin Hillary Clinton trügen Russland und China nun die Verantwortung für weiteres Blutvergießen. Außenminister Guido Westerwelle warf Russland vor, sich auf die "falsche Seite der Geschichte" gestellt zu haben; die Vetos Russlands und Chinas seien vor allem ein Veto gegen die syrische Bevölkerung. Und so stellt sich einmal mehr die Frage, ob der Rat in seiner jetzigen Form in der Lage ist, seiner Verantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit, wie es die UN-Charta vorsieht, nachzukommen.

Um die Frage zu beantworten, muss man verstehen, wie diese Form denn aussieht. Dem Sicherheitsrat gehören fünf ständige Mitglieder an (die sogenannten "P5": China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA) sowie zehn nicht-ständige Mitglieder, zu denen derzeit auch Deutschland zählt. Er ist das oberste Gremium der Vereinten Nationen und kann auf verschiedene Instrumente zurückgreifen, um seine Entscheidungen durchzusetzen. Dazu zählen Sanktionen und Blauhelm-Friedensmissionen. Er kann aber auch die Anwendung militärischer Gewalt autorisieren, sogenannte "Kapitel-VII-Maßnahmen".

Neben der Selbstverteidigung ist dies die einzige Ausnahme vom völkerrechtlichen Gewaltverbot. Beschlüsse des Rates bedürfen der Zustimmung von mindestens neun der 15 Mitglieder. Die P5 verfügen über ein Vetorecht und können damit jeweils im Alleingang Entscheidungen des Rates blockieren - Enthaltungen behindern das Zustandekommen von Beschlüssen indes nicht.

Ein Staat muss seine Bürger schützen - sonst macht's die UN

Nach dem Ende des Kalten Kriegs hat sich der Sicherheitsrat zunehmend mit innerstaatlichen, groben Menschenrechtsverletzungen beschäftigt und diese mitunter als Gefahr für die internationale Sicherheit behandelt. Verschloss die internationale Gemeinschaft 1993/1994 noch die Augen vor dem Völkermord in Ruanda, so befasste sich der Sicherheitsrat fünf Jahre später eingehend mit der Situation im Kosovo. Nur ein Veto Russlands verhinderte damals eine Kapitel-VII-Resolution. Um eine größere humanitäre Katastrophe zu verhindern, intervenierten die Nato-Staaten ab März 1999 trotz des fehlenden Mandats. Zwar mag der Kosovokrieg aufgrund der Situation der von Völkermord bedrohten albanischen Bevölkerung im Kosovo legitim gewesen sein, im völkerrechtlichen Sinne legal war er nicht.

In der Folge wurde in der internationalen Gemeinschaft das Konzept der "Responsibility to Protect" (auf Deutsch: "Schutzverantwortung") diskutiert und 2005 auf dem UN-Weltgipfel von einer großen Mehrheit der Staaten anerkannt. Mit der Souveränität eines Staates einher geht demnach auch die Pflicht, die eigenen Bürger vor schweren Menschenrechtsvergehen zu schützen. Ist ein Staat dazu nicht in der Lage oder nicht willens, geht diese Verantwortung an die internationale Gemeinschaft über. Zum Schutz der bedrohten Bevölkerung soll der Sicherheitsrat dann geeignete Maßnahmen ergreifen, im Äußersten auch militärischer Natur. Eine erfolgreiche Durchsetzung der Norm der Schutzverantwortung erfordert also einen handlungsfähigen und zügig agierenden Sicherheitsrat.

Viele Beobachter sahen in der Libyen-Resolution Nummer 1973 vom 17. März 2011 eine Stärkung dieser Norm. Der Sicherheitsrat machte die Schutzverantwortung quasi zur Grundlage seiner Entscheidung in der Libyen-Frage: Angesichts der sich verschlimmernden Lage, der Eskalation der Gewalt und der zahlreichen Opfer unter der Zivilbevölkerung verabschiedete er eine Kapitel-VII-Resolution, in der er unter anderem ein Waffenembargo verhängte, eine Flugverbotszone etablierte, Vermögenswerte einfror und die UN-Mitgliedstaaten ermächtigte, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um bedrohte Zivilpersonen zu schützen. Zehn Ratsmitglieder stimmten für die Resolution, fünf (darunter auch Deutschland) enthielten sich.

Eine Reform des Sicherheitsrates scheint nötig

Russland und China, traditionell Gegner einer Aufweichung der Souveränitätsrechte von Staaten, legten zur Überraschung vieler Beobachter kein Veto gegen die Libyen-Resolution ein. Zwei Tage später begannen Angriffe aus der Luft und von See auf libysche Stellungen und vorrückende Einheiten. China und Russland, aber auch die Afrikanische Union und die Arabische Liga, die sich anfangs für eine Intervention ausgesprochen hatte, kritisierten im weiteren Verlauf die Luftschläge. Sie fühlten sich von der Koalition getäuscht, der sie eine Parteinahme zugunsten der Aufständischen und das Ziel des Regimewechsels vorwarfen. Die Bombardierung Gaddafi-loyaler Stellungen, auch in Städten, sei eindeutig über das unmittelbare Ziel von Resolution 1973, nämlich dem Schutz der Zivilbevölkerung hinausgegangen, und habe sogar noch weitere Zivilisten gefährdet.

Im Falle Syrien hat sich der Sicherheitsrat bislang noch nicht zum Handeln entschließen können. Dreizehn zu zwei lautete zwar letzten Freitag das Votum; aufgrund der Vetos von China und Russland wurde der ohnehin schon abgeschwächte Resolutionsentwurf aber nicht angenommen. Dabei beinhaltete er nicht einmal Sanktionen, geschweige denn die Möglichkeit militärischer Zwangsmaßnahmen. Vielmehr sollte er vor allem dem Friedensplan der Arabischen Liga Gewicht verleihen.

Warum also die Vetos? China und Russland mögen sich daran erinnert haben, wie aus ihrer Sicht ihr "guter Wille" in Libyen enttäuscht wurde. Unabhängig davon, ob man ihre Sichtweise teilt oder nicht, ist es tragisch, dass dies nun auf dem Rücken der Menschen in Syrien ausgetragen wird. Die im Zuge der Libyen-Resolution aufgekeimte Hoffnung, dass das oberste Gremium der UN der Schutzverantwortung zum Durchbruch verhelfen würde, hielt somit nicht einmal ein Jahr an. Eine Reform des Gremiums ist dringend geboten! Doch wie könnte eine solche aussehen?

Die Reformstarre stimmt nicht gerade hoffnungsvoll

Ein Haupt(streit)punkt ist seit Beginn der nunmehr Jahrzehnte währenden Reformdebatte die Forderung vieler Staaten, das Vetorecht der ständigen Ratsmitglieder abzuschaffen oder zumindest zu begrenzen. Die "P5" wehren sich allerdings vehement gegen den Verlust ihrer Privilegien und blockieren entsprechende Vorschläge. Erfolgversprechender scheint dagegen die Forderung zu sein, das Vetorecht auf Fälle von Kapitel-VII-Maßnahmen zu beschränken, auf Entscheidungen also, die unmittelbare Sicherheitsinteressen der ständigen Mitglieder berühren. Eine solche Begrenzung hätte die jüngts geplatzte Syrien-Resolution zwar ermöglicht, allerdings nur in ihrer schwachen Form – ob das der Schutzverantwortung gerecht geworden wäre, ist fraglich.

Zielführender erscheinen eher Vorschläge, die "P5" sollten in Fällen von Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und anderen schwerwiegenden Verstößen gegen das Völkerrecht auf das Veto verzichten. Denkbar wäre auch, bei einer Blockade des Sicherheitsrates die Möglichkeit einer ersatzweisen Autorisierung durch die UN-Generalversammlung vorzusehen oder den Ratsmitgliedern zumindest eine Begründungspflicht für ihr Veto aufzuerlegen.

Inwiefern solche Vorschläge umsetzbar sind, bleibt abzuwarten. Die Jahrzehnte währende Reformstarre und das vehemente Beharren der "P5" auf ihren Privilegien stimmen nicht gerade hoffnungsvoll. Umso größere Bedeutung kommt daher der internationalen Öffentlichkeit zu, weiter Druck auf blockierende Ratsmitglieder – im konkreten Fall China und Russland - aufzubauen. Aber auch die Ratsmitglieder selbst sind angehalten, mit Blick auf die Ausgestaltung der Schutzverantwortung bei Interventionen in Krisenländern klüger vorzugehen – und China und Russland nicht wie im Fall Libyen durch eine "westliche" Auslegung der Beschlüsse des Sicherheitsrats zu verprellen. 


Marco Fey und Carmen Wunderlich sind wissenschaftliche Mitarbeiter der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) im Programmbereich I: Sicherheits- und Weltordnungspolitik von Staaten.