Morgenandacht: "Soviel du brauchst"

Morgenandacht: "Soviel du brauchst"
Die Morgenandacht im Deutschlandfunk vom Freitag: Die Hamburger Pastorin Rosemarie Wagner-Gehlhaar beleuchtet das Kirchentagsmotto 2013 in diesen kalten Tagen.
03.02.2012
Von Rosemarie Wagner-Gehlhaar

Klirrende Kälte, klappernde Zähne, knurrender Magen, blau gefrorene Hände – der Mitternachtsbus rollt durch Hamburg, fährt verschiedene Stationen an, und da stehen sie dann, die mit den knurrenden Mägen und den klappernden Zähnen in der klirrenden Kälte. Sie haben ihre Deckenlager in den Eingängen der Kaufhäuser kurz verlassen, bekommen ein Brötchen, einen heißen Tee.

Manchmal eine Frage, ein paar Minuten, in denen sich jemand für sie interessiert. Ein offenes Ohr für ihre traurige Geschichte. Der Weg vom normalen bürgerlichen Leben auf die Straße: Arbeit weg, zu viel Alkohol, zu viel Drogen, Schulden, Wohnung weg, Freunde weg. Am Wahrzeichen der Stadt, also am Michel, eine der Hamburger Hauptkirche, prangt seit Dienstag ein Spruchband: "Soviel du brauchst". Das steht sozusagen über der städtischen Szenerie.

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Ist das Hohn und Spott? Es ist auf alle Fälle das Kirchentagsmotto und das ist Dienstag bekannt gegeben worden "Soviel du brauchst". Ein Satz aus der Geschichte als die Israeliten in der Wüste hungerten und bedauerten, dass Mose sie zwar aus der ägyptischen Gefangenschaft befreit hatte aber damit auch von den Fleischtöpfen Ägyptens abgeschnitten hat. Und dann fiel plötzlich das sagenhafte Manna vom Himmel. Jeder und jede sammelte, was gebraucht wurde.

Es war nicht notwendig, Vorräte anzulegen. Am nächsten Tag fiel neues Brot vom Himmel. "Das ist das göttliche Prinzip vom täglichen Brot." Formuliert die Generalsekretärin des Kirchentags, Ellen Ueberschär. Wo fällt denn heute Manna vom Himmel? Manna ist ja zum einen richtiges Brot zum Essen und es ist Seelenspeise. Verteilen die Fahrer der Mitternachtsbusse in den kalten Städten Manna, also Futter für Leib und Seele?

Es geht um das rechte Maß

"Soviel du brauchst" - ist nicht das zynisch angesichts so vieler Hungernder auf der einen Seite und soviel Übergewichtiger auf der anderen Seite, so vieler Trauriger, Verzweifelter, Hoffnungsloser, seelisch und körperlich Verwahrloster - kann da die Kirche so ein vollmundiges vielleicht sogar blauäugiges Motto ausgeben? Kann sie, findet Ellen Ueberschär. Das Motto bündelt ja eine Lebenserfahrung und transportiert damit eine gewaltige Hoffnung: Das Volk Israel auf seiner Wanderung durch die Wüste. 40 Jahre Wüste. Das überlebt man nur im Vertrauen auf Gott und aufeinander. Wer in der Wüste aus der Gruppe ausbricht, der geht in den sicheren Tod.

Darum fordert die Losung zum Handeln auf: Alles was wir tun können, um Brot und Lebenschancen für alle zu erkämpfen, das sollen wir tun und müssen wir tun, betont die Generalsekretärin. Die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs ergänzt, es geht auch um das rechte Maß: Wir sollen uns nur so viel nehmen, wie wir brauchen. Das was zu viel ist, verdirbt, auch den Charakter – wie die Bischöfin anmerkt.

Der Sinn des Lebens liegt im Miteinander, daraus entwickelt sich Lebensqualität. Und die misst sich an Solidarität, Frieden und Hoffnung. "Soviel du brauchst" - guck auch, was die andere, der andere braucht. Als "Zuspruch und Aufforderung" versteht der Präsident des Kirchentags Gerhard Robbers das Motto. Die Verantwortlichen finden das Motto gut – und wie finden Sie den Satz "Soviel du brauchst"? Ist der Mitternachtsbus in dunklen kalten Nächten sozusagen Manna im Hosentaschenformat?


Rosemarie Wagner-Gehlhaar ist Pastorin in Hamburg. Ihre Morgenandacht wurde am Freitag, 3. Februar vom Deutschlandfunk gesendet.