Soll ich an das Gute glauben? "Jeder kann ein Idealist werden"

Soll ich an das Gute glauben? "Jeder kann ein Idealist werden"
Die Journalistin Julia Friedrichs hat sich auf die Suche nach Idealen gemacht und dem, was im Leben wirklich zählt. Dabei spricht sie mit Menschen, die ihren Idealen treu geblieben sind, aber auch Enttäuschungen bleiben ihr nicht erspart. Vor allem aber fängt sie an ihr eigenes Leben umzukrempeln.
03.02.2012
Das Gespräch führte Markus Bechtold

Sie haben sich in einem früheren Buch mit Elite befasst. Warum haben Sie nun das Thema Ideale für sich entdeckt? Mögen Sie Extreme?

Julia Friedrichs: Die Idee hatte ich mitgebracht, als ich in deutschen Kaderschmieden recherchierte, um mich auf die Spuren der Mächtigen von morgen zu begeben. Damals hatte ich an deutschen Elite-Universitäten viele Studenten getroffen, die mit einer unheimlichen Energie daran arbeiteten, nach oben zu kommen. Auf die Frage, was sie da oben machen werden, warum sie Verantwortung übernehmen wollen, was ihre Ideen und Visionen sind, für die sie kämpfen, habe ich aber selten eine Antwort bekommen.

Das nach oben Kommen ist für viele offensichtlich Selbstzweck. Ergebnisse von Jugendstudien stützen dieses Bild. Die Studenten von heute sind eine sehr leistungsbereite, aber eben auch sehr pragmatische Generation. Das habe ich als Manko empfunden. Es ist quatsch, nach oben zu wollen, ohne zu wissen, wofür man kämpft. Eigentlich müsste es genau anders herum sein. Daran schloss sich direkt meine Recherche über Ideale an.

Als mein Sohn in dieses Grundunbehagen, das mich beschlichen hatte, hineingeboren wurde, bekamen Ideale für mich plötzlich eine ganz andere Dringlichkeit. Ich wusste, dass ich jetzt Verantwortung übernehmen muss. Ich wollte auch nicht mehr so abwartend sein. Die Geburt meines Sohnes war quasi ein Katalysator zu erkennen, wie ich eigentlich lebe. So ist das abstrakte Thema Ideale für mich noch mal sehr viel konkreter geworden.

Für Ihr Buch "Ideale – Auf der Suche nach dem, was zählt" sind Sie quer durch die Republik gereist und haben Persönlichkeiten zu ihren eigenen Idealvorstellungen befragt. Wer hat Sie dabei beeindruckt?

Friedrichs: Von den Politikern hat mich Sven Giegold positiv beeindruckt. Er hat die Nicht-Regierungsorganisation Attac-Deutschland mitgegründet. Inzwischen sitzt er für die Grünen im Europaparlament. Dort kämpft er einen ziemlich einsamen Kampf gegen die Lobby der Finanzindustrie. Mit 41 Jahren ist er ein recht junger Politiker. Im Gespräch erzählte er mir, dass sein Engagement sich für ihn aus dem Glauben heraus entwickelte. Er empfindet es als Glück, in einem so reichen Land geboren worden zu sein. Alles ihm mögliche will er tun, um die Schöpfung zu bewahren. Mit einer protestantischen Emsigkeit arbeitet er 14 bis 16 Stunden am Tag.

"Wer Verantwortung trägt,

kann an seinen

Idealen festhalten"

 Mich beeindruckt sehr, wie sorgsam er mit den Privilegien umgeht, die einem gewährt werden, wenn man Macht und Verantwortung hat. Zum Beispiel spendet er seine Tagespauschale, die er als EU-Abgeordneter für seine Anwesenheit im Parlament erhält. Oft steht er morgens um vier Uhr auf, weil er bewusst auf den Flieger verzichtet, um dann mit der Bahn zu Terminen zu fahren.

An den Tagen, an denen ich ihn begleiten konnte, hatte er nur wenig gegessen, weil ihm wichtig ist, was isst er und woher das Essen kommt. Er ist sehr streng mit sich selbst und kämpft gleichzeitig für eine so große Idee. Oft wird gesagt, man könne, sobald man Verantwortung trage, an seinen eigenen Idealen nicht mehr festhalten. Für mich zeigt das Beispiel von Sven Giegold, dass es eben doch geht, auch wenn es nicht einfach ist.

Wer ist für Sie kein Vorbild, wer hat Sie eher abgeschreckt?

Friedrichs: Da gab es viele Beispiele. Bei den Politikern hat mich das Gespräch mit Gerhard Schröder zwar nicht abgeschreckt, aber doch enttäuscht. Ich fand ihn sehr nett und jovial. Ich hatte wirklich einmal an die Idee der Sozialdemokratie geglaubt. Auch daran, dass sie dafür kämpft, dass Menschen aufsteigen können und ihren Platz in der Gesellschaft bekommen. Enttäuscht hatte mich, wie Schröder meine Fragen, warum gerade in Zeiten der rot-grünen Regierung das Land ungleicher geworden ist, warum der Arbeitsmarkt dereguliert wurde, abgetan hat. Seiner Meinung nach hätte ich zu hohe Erwartungen an ihn gehabt. Die Politik habe längst nicht soviel Einfluss, wie ich denken würde.

Rezzo Schlauch hat mich etwas empört. Als Grüner ist er in einer Partei, die für sich mal den Idealismus als Kerngeschäft betrachtet hatte. Jetzt ist er Wirtschaftsanwalt und Mitglied im Beirat der Energie Baden-Württemberg, die Atomkraftwerke betreibt. Er meinte mir gegenüber, dass ich es ruhig Verrat nennen könne, was er gemacht habe. Ihm sei das relativ egal. Schlauch hat mir sehr deutlich gemacht, dass man ein gutes Leben leben kann, wenn man das vergisst, wofür man eigentlich einmal gekämpft hatte.

Für welche Ideale stehen Sie persönlich ein? Schaffen Sie es, diese auch im Alltag zu leben?

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Friedrichs: Vor der Recherche hätte ich Ihnen die Frage nicht beantworten können. Jetzt ist mir aber einiges klarer geworden. Zusammenhalt und Solidarität sind mir wichtig, christlich übersetzt bezeichnet man diese Werte wohl als Nächstenliebe. Günter Grass hat mir gesagt, dass wir als Gesellschaft nicht überleben werden, wenn wir nicht wieder zu einem solidarischen Verhalten zurückfinden. Das glaube ich auch. Diesen Anspruch habe ich für mich runtergebrochen, indem ich eine Liste erstellt und versucht habe, die Ideale in kleine Handlungen zu fassen.

Zum Beispiel habe ich in meiner Gegend recherchiert, wie viel die Menschen in den Geschäften verdienen, in denen ich regelmäßig einkaufe. Jetzt kaufe ich nur noch dort ein, wo die Mitarbeiter für ihre Arbeit vernünftig bezahlt werden. Ich bin nicht in der Kirche, spende jetzt aber das Geld, das ich an Kirchensteuer zahlen müsste für soziale Projekte. Inzwischen habe ich auch eine Patenschaft für ein Kind übernommen. Solche kleinen Sachen mache ich jetzt in der Vielzahl. Das gibt mir das Gefühl, zwar nichts aus den Angeln zu reisen, aber durchaus konsequenter zu Leben als vorher.

Wie reagiert darauf Ihre Umwelt? Wird man als Idealist eher zum Außenseiter oder vielleicht sogar glücklich?

Friedrichs: Das kommt ganz auf die Dosis an. Ich habe Leute getroffen, die konsequente Idealisten sind. Erst einmal fand ich das bewundernswert. Dann aber merkte ich, dass sie sich nur schwer in soziale Gruppen einfügen können. Vom Ideal zur Ideologie ist es nur ein schmaler Grad. Ich glaube, wer nicht krampfhaft versucht, aus seinem eigenen Sein ein allgemeingültiges Gesetz zu machen, der wird glücklich.

Man sollte nicht ständig das Gefühl haben, dass das eigene Tun unzureichend ist. Für mich hat sich vieles zum Guten verändert, weil ich mich aus einer gefühlten Ohnmacht heraus frei gestrampelt habe und jetzt das Gefühl habe, Sachen zu machen, die ich wichtig und richtig finde.

"Ich finde es nicht
schlecht naiv zu sein"

 

Was sagen Sie den Menschen, die Sie als naiv abstempeln wollen?

Friedrichs: Naivität ist eines der Totschlagargumente gegen Idealismus. Ich finde es nicht schlecht naiv zu sein. Naive Fragen sind in unserer Zeit, in der sich so vieles ändert, in der Besitz und Macht neu verteilt werden, nicht verkehrt. Es ist gut, wenn jemand fragt, wem das ganze nützt, warum das so ist, ob wir das überhaupt wollen und in welchem Namen etwas passieren soll.

All das sind Fragen, die unter Naivitätsverdacht stehen. Aber es sind wichtige Fragen. Warum sagen wir, Ökoessen sei uns wichtig, obwohl das Ökoessen nur vier Prozent des gesamten Verkaufsvolumens ausmacht. Da muss man doch mal ganz naiv fragen dürfen, warum wir uns nicht so verhalten wie wir behaupten.

Kann eigentlich jeder Idealist werden?

Friedrichs: Ich glaube, das ist für jeden möglich. Jeder von uns hat in seinem Leben Spielräume, die allerdings unterschiedlich groß ausfallen. Jedem bleibt der Weg als Bürger aktiv zu werden, zu demonstrieren, zu protestieren, sich einzubringen. Gerade wir jungen Menschen denken, wir hätten wenig Spielräume, weil wir erst einmal funktionieren müssen. Wir haben aber mehr Möglichkeiten, als wir oftmals denken.

Am 22. Februar 2012 startet die Fastenaktion der evangelischen Kirche "Sieben Wochen ohne falschen Ehrgeiz". Wann sind für Sie Ideale falsche Ideale? Gibt es überhaupt falsche Ideale?

Friedrichs: Ja, es gibt massenhaft falsche Ideale. In der Weltgeschichte ist im Namen von Idealen viel Grausames passiert. Für mich ist ein wichtiges Maß, ob derjenige, der für seine Ideen kämpft auch bereit ist sie aufzugeben, falls er keine Mehrheit für sie gewinnt. Das höchste Ideal ist für mich die Demokratie in der wir leben. Die muss auch jeder Idealist akzeptieren.

Wer sich als Idealist für eine Idee stark macht und dann erkennt, für sie keine Mehrheit gewinnen zu können, der muss das akzeptieren. Für mich wäre es ein falscher Idealismus, weiterhin auf seine Meinung zu beharren und auf der Richtigkeit der eigenen Sichtweise zu bestehen. In der Vergangenheit hat es Menschen gegeben, die dachten, sie hätten Recht: Dann haben sie anderen Menschen ihr Recht auf Leben abgesprochen.


Julia Friedrichs, geboren 1979, studierte Journalistik in Dortmund. Heute arbeitet sie als freie Autorin von Fernsehreportagen und Magazinbeiträgen, unter anderem für die WDR-Redaktionen „Monitor“, „die story“ und „Aktuelle Dokumentation“. Für eine Sozialreportage wurde sie 2007 mit dem Axel-Springer-Preis für junge Journalisten und dem Ludwig-Erhard-Förderpreis ausgezeichnet. Julia Friedrichs lebt in Berlin. Bei Hoffmann und Campe veröffentlichte sie "Ideale - Auf der Suche nach dem, was zählt" (2011).