Reformierte: Eine wichtige Farbe in der Kirche

Reformierte: Eine wichtige Farbe in der Kirche
Der Reformierte Bund (Hannover) repräsentiert über eine Million reformierter Christen in Deutschland. Im Gegensatz zur Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) und der Union Evangelischer Kirchen (UEK) ist er keine Kirche, sondern ein Verein, in dem neben den beiden reformierten Landeskirchen auch 400 reformierte Kirchengemeinden und zahlreiche Einzelmitglieder organisiert sind. Was aber genau unterscheidet Reformierte von Lutheranern und Unierten? Der Vorsitzende des Reformierten Bundes, Pfarrer Peter Bukowski, weiß die Antwort.
16.01.2012
Die Fragen stellte K. Rüdiger Durth

Ziemlich still ist es um die Reformierten innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) geworden. Fehlt es den Reformierten an Kraft oder begnügt man sich mit der sprichwörtlichen Rolle des Salzes in der Suppe?

Peter Bukowski: Das Bild vom Salz würde ich in diesem Zusammenhang nicht gebrauchen, denn ich bin nicht so vermessen zu unterstellen, ohne uns wäre der Protestantismus fad. Wohl aber würde der Evangelischen Kirche in Deutschland ohne die Reformierten eine wichtige und belebende Farbe fehlen – als solche werden wir auch von außen wahrgenommen. Und manchmal hat man dnn ja auch noch Anlass zur Freude. Als der Reformierte Bund vor acht Jahren der Bewegung "Attac" beitrat, da wurden wir belächelt. Nun kämpft sogar eine CDU-Kanzlerin dafür, das politisch durchzusetzen, wofür wir uns seit Jahren einsetzen.

Sind die Wirkungen des Calvinjahres 2009 auf dem Weg zum 500. Jahrestag der Reformation noch spürbar?

Bukowski: Das Calvinjahr war ein sehr gelungener Auftakt und es hat auf die folgenden Jahre gestaltbildend gewirkt. Es hat auch gezeigt, wie man ein Reformationsjubiläum feiern kann: als theologisches Ge- und Weiterdenken und nicht als Heldenverehrung oder gar als eine den Jubilaren vereinnahmende Selbstbeweihräucherung. Inhaltlich konnte in die Gemeinden und die Öffentlichkeit hinein vermittelt werden, dass die in der Genfer Reformation neu entdeckten Grundwahrheiten des Evangeliums auch heute orientierende Kraft haben. Calvin kämpfte ein Leben lang für eine Gott allein die Ehre gebende und an sein Wort gebundene, für eine ökumenische und um weltliche Gerechtigkeit ringende Kirche. Es lohnt sich, auf dieser Linie nach unserem Kirche-Sein zu fragen. Außerdem hat das Calvinjahr vielen Menschen Lust auf Theologie gemacht – das wünsche ich mir auch für die kommenden Jahre.

"Es hat sich in der EKD herumgesprochen,
dass eine geprägte Konfessionalität
kein zu überwindendes Übel darstellt"

 


Das 450-jährige Jubiläum des Heidelberger Katechismus wird ein weiteres Jahr auf diesem Weg bestimmen. Wie wichtig ist er noch für den Protestantismus?

Bukowski: In vielen reformierten und unierten Kirchen bildet der "Heidelberger" die Bekenntnisgrundlage. Sie alle haben begonnen, mit Blick auf das Jahr 2013, seinen bleibenden Gehalt neu auszuloten. Ich verspreche mir vor allem im Blick auf folgende Fragen neue Impulse: Wie können wir heute im Blick auf unseren Glauben auskunfts- und gesprächsfähig werden? Wie können wir den Kernbestand der biblischen Botschaft so plausibilisieren, dass er denen, die heute fragen, verständlich wird? Aber auch: Wo lassen sich im Blick auf Verkündigung und Unterricht heute "blinde" Flecken ausmachen? Was haben wir zu Themen wie Sünde, Gericht, Vorsehung Gottes, Opfertod Jesu zu sagen? Nicht darum wird es gehen, die damaligen Antworten schlicht zu wiederholen, aber der Katechismus gibt ein Niveau vor, an dem wir Maß nehmen sollen. 

Welche Bedeutung kommt heute noch der reformierten Theologie in den Evangelisch-Theologischen Fakultäten Deutschlands zu?

Bukowski: Wir sind dankbar, dass jüngst der reformierte Lehrstuhl an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Göttingen mit Professor Martin Laube kompetent besetzt werden konnte. Insgesamt ist zwar die Zahl reformierter Lehrstühle zurückgegangen, was bedauerlich ist, aber natürlich gibt es in allen theologischen Disziplinen Professorinnen und Professoren, die einen dezidiert reformierten Hintergrund mitbringen und diesen in ihr Forschen und Lehren einfließen lassen. Insofern ist mir um den bleibenden Einfluss reformierter Theologie nicht bange. Erfreulich ist auch, dass zur Leiterin des EKD-Kompetenzzentrums Predigt jüngst die reformierte Pfarrerin Kathrin Oxen berufen wurde. Sie ist Gewinnerin des Deutschen sowie des Internationalen Predigtpreises, der im Calvinjahr ausgelobt wurde.

In Kürze steht eine reformierte Superintendentin als Präses an der Spitze der Evangelischen Kirche von Westfalen. Ist dies ein Zeichen für die Erstarkung der Reformierten?

Buckowski: Wir müssen nicht erstarken. Ich deute die Wahl vielmehr so: Superintendentin Annette Kurschus vermochte die Synode der westfälischen Landeskirche mit ihren außerordentlichen theologischen, pastoralen und menschlichen Qualitäten zu überzeugen. Und wenn jemand das tut, dann spricht es in dieser unierten Kirche, wiewohl mehrheitlich eher lutherisch geprägt, nicht gegen diese Person, dass sie sich als dezidiert reformierte Theologin versteht und daraus auch keinen Hehl gemacht hat. Darin spiegelt sich ein erfreulicher Trend: Es hat sich in der EKD herumgesprochen, dass eine geprägte Konfessionalität eine Ressource und kein zu überwindendes Übel darstellt. Wir müssen nicht erstarken, aber natürlich dürfen wir uns darüber freuen, dass es im Kreis der leitenden Geistlichen nun eine weitere Persönlichkeit gibt, die das reformierte Spektrum bei uns und weltweit aus einer inneren Verbindung heraus kennt. 

"Reformierte Gottesdienste leben
von ihrer Konzentration auf die
Auslegung des Wortes Gottes"

 

Was macht eigentlich den Unterschied zwischen reformierten und lutherischen Gemeinden im kirchlichen Alltag aus?

Bukowski: Am augenfälligsten ist der Unterschied wahrscheinlich im Gottesdienst erlebbar: Reformierte Gottesdienste leben von ihrer Konzentration auf die Auslegung des Wortes Gottes; die Gebete und der Psalmengesang sind der Predigt zugeordnet. Einziges "Schmuckstück" bilden die aufgeschlagene Bibel und die Abendmahlsgeräte. Dadurch wirkt dieser Gottesdienst schlichter als der lutherische Messtyp (dem ich persönlich durchaus etwas abgewinnen kann). Aber Schlichtheit bedeutet eben auch Konzentration und Niederschwelligkeit. Den reformierten Gottesdienst kann auch ein liturgisch Ungeübter unmittelbar mitfeiern – und vielleicht wird er oder sie die bilderlose Kirche nicht als kärglich empfinden, sondern als wohltuende Oase einer von immer neuen Bilderfluten heimgesuchten Welt.

Nicht nur in den USA spielt die Theologie Karl Barths eine große Rolle. Gibt es Anzeichen für eine Barth-Renaissance in Deutschland?

Bukowski: Selbstverständlich hat die Beschäftigung mit dem Werk Karl Baths nie aufgehört. Wir haben auch in Deutschland renommierte Barthkenner und sein Werk bleibt Gegenstand theologischer Forschung. Aber eine Barth-Renaissance kann ich im Blick auf unsere Theologischen Fakultäten nicht erkennen. Umso mehr erfreut es mich, dass die UEK, der wir Reformierte angehören, in ihrer theologischen Arbeit das Erbe der Theologie wach hält und weiter entwickelt. Ich verweise nur auf die jüngste Ausarbeitung zur Personalität Gottes. Der von der UEK (alle zwei Jahre) verliehene Karl-Barth-Preis ist die höchste Auszeichnung innerhalb der evangelischen Kirche. Durch den letzten Preisträger, den US-Amerikaner George Hunsinger (2011) wird eine "lebendige Brücke" zur Barthszene in den USA geschlagen.


Pfarrer Dr. h.c. Peter Bukowski (60), gebürtiger Bonner, studierte Theologie, Musik und ist ausgebildeter Psychotherapeut. Der Direktor des Seminars für Pastorale Aus- und Fortbildung am Theologischen Zentrum Wuppertal ist seit 1990 Moderator (Vorsitzender) des Reformierten Bundes. Er gehört dem Exekutivausschuss der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) und der Weltgemeinschaft reformierter Kirchen an. Er ist Mitglied der Synode der EKD und Ehrendoktor der Universität für Reformierte Theologie in Debrecen (Ungarn). (Foto: epd-Bild/Ralf Maro)

K.Rüdiger Durth, Journalist und Theologe in Bonn und Berlin, arbeitet als freier Journalist für evangelisch.de.