"Das Bein muss ab!" Mediziner sind wenig einfühlsam

"Das Bein muss ab!" Mediziner sind wenig einfühlsam
Fast jeder Patient hat das schon erlebt: Die Visite im Krankenhaus gerät zum Kommunikationsdebakel. Gestresste Ärzte reden über, nicht mit dem Patienten, Zeit für eigene Fragen bleibt nicht. Ein Ratgeber für Mediziner zeigt: Es geht auch anders.
16.01.2012
Von Barbara Driessen

Eine Patientin sitzt mit Durchblutungsstörungen in einer chirurgischen Praxis. Die behandelnde Ärztin studiert den Untersuchungsbefund und informiert dann mit nur einem Satz: "Das Bein muss ab!" Nach einer kurzen Erklärung, wie nun weiter vorzugehen ist, kann die Patientin gehen. Im Fahrstuhl nach unten erleidet sie dann ihre erste Panikattacke. Der Fall ist ein Paradebeispiel für ein völlig misslungenes Patientengespräch. Ärzte sind oft wenig einfühlsam beim Übermitteln schlechter Nachrichten.

"Es gibt Ärzte, die das können und denen das liegt, und manche, die es nicht können", sagt der Unfallchirurg Peter-Michael Hax, Oberarzt in einer Duisburger Unfallklinik. Zwar sähen sich heute Ärzte nicht mehr wie früher als Halbgötter. Doch Hax sieht trotzdem großen Handlungsbedarf: "In der Medizin kann es nicht immer gut laufen. Und wenn der Arzt dann auch noch die Kommunikation einstellt, dann ist das eine Katastrophe." Zusammen mit seinem Bruder Thomas Hax-Schoppenhorst hat er deshalb einen Ratgeber für Ärzte mit dem Titel "Kommunikation mit Patienten in der Chirurgie" herausgegeben.

"Der Patient kommt nicht nur mit seinem Gesundheitsproblem zum Arzt, sondern er bringt stets seine Geschichte, seine Scham, seine Ängste mit. Und auf den ganzen Menschen einzugehen, ist nicht unbedingt das, was Ärzte in der Ausbildung gelernt haben", sagt Hax-Schoppenhorst.

Frust bei den Kranken

Selbst wenn sich ein Arzt um ein eine gute Kommunikation bemüht, kommt dies keineswegs immer auch so beim Patienten an. Hax erinnert sich an eine eigene Patientin, die nach einer an sich gelungenen Operation am Fußknöchel dennoch starke Beschwerden hatte. Er wollte seiner Patientin zeigen, dass er bemüht war, ihr zu helfen und ihre Beschwerden ernst nahm. Gleichzeitig wollte er ehrlich sein und sagte, dass er und sein Team alles in Betracht zögen, im Moment aber mit ihrem Latein etwas am Ende seien. "Die Patientin hat dies als sehr negativ aufgefasst. Sie dachte sich: 'Die besten Unfallchirurgen können mir nicht mehr helfen, die haben mich aufgegeben?'"

Für viel Frust aufseiten der Kranken sorgt regelmäßig die Visite im Krankenhaus, was im Praxis-Ratgeber als der "kommunikative Super-Gau" bezeichnet wird: Ein ganzer Schwarm von Ärzten, Krankenschwestern und Pflegern hastet früh am Morgen ins Zimmer, unterhält sich im Fachchinesisch kurz über und nicht mit dem Patienten - und eilt wieder hinaus.

Dahinter stecke, dass das Team nur 45 Minuten Zeit habe, um die ganze Station abzuarbeiten, weil die Ärzte anschließend in den OP müssten, erläutert Hax. Deshalb rät er zu zwei Visiten: eine für das behandelnde Team und eine für den Patienten, dem deutlich werde, dass der Arzt morgens nur wenig Zeit hat, ihm dafür aber mittags für all seine Fragen zur Verfügung steht.

Frauen kommunizieren oft besser

Frauen seien oft die besseren Ärzte, weil sie besser mit ihren Patienten kommunizierten und ihre Patienten oft zufriedener seien, meint Hax. Auch würden sie deutlich seltener wegen Kunstfehlern verklagt: "Das geht dann allerdings oft auch auf Kosten der Karriere, denn gut zu kommunizieren, kostet Zeit." Doch das Problem sei längst erkannt. Während des Medizinstudiums gehört die Kommunikation mittlerweile zum Pflichtstoff: "Und amerikanische Haftpflichtversicherungen senken ihre Beiträge für Ärzte, wenn Kommunikationskurse nachgewiesen werden."

Die Patienten könnten ihren Teil zum Dialog beisteuern. Auf ein wichtiges Gespräch sollte man sich vorbereiten, rät Hax. Informationen gebe es im Internet, bei Krankenkassen oder anderen Ärzten. "Während des Gespräches sollte man mit nichts hinterm Berg halten", rät Hax-Schoppenhorst: "Jede Frage ist berechtigt. Will ein Arzt das nicht hinnehmen, ist der Patient wohl an der falschen Adresse gelandet." Gleichzeitig sollten Patienten versuchen, "ein tragendes Bündnis" mit dem Arzt einzugehen: "Habe ich einmal Vertrauen gefasst, sollte ich nach Klärung aller Fragen mein Schicksal in die Hände des Fachmannes legen."

epd

Peter-Michael Hax, Thomas Hax-Schoppenhorst (Hrsg.): Kommunikation mit Patienten in der Chirurgie. Praxisempfehlungen für Ärzte aller operativen Fächer, Kohlhammer, 276 S., 36,90 Euro