"Maria Frieden": Ein Zuhause für kranke Menschen

"Maria Frieden": Ein Zuhause für kranke Menschen
Die Atmosphäre ist heimelig, die Betreuung liebevoll: Im Haus "Maria Frieden" im Schwarzwald wohnen Aids-Kranke und Krebspatienten in ihrer letzten Lebensphase. Bei einem Besuch wird deutlich, dass Patientinnen und Personal sich hier wohlfühlen - obwohl das Haus auch ein Ort des Sterbens ist.
13.01.2012
Von Marijana Babic

Das Haus "Maria Frieden" war vor 20 Jahren das erste Hospiz für Aids-Kranke bundesweit. Jüngst feierte das besondere Haus, das hoch über der beschaulichen Gemeinde in Oberharmersbach im Schwarzwald gelegen ist, 20-jähriges Jubiläum. Getragen wird es von den Gengenbacher Franziskanerinnen, die die Einrichtung 1990 gründeten, um der ersten Aids-Welle in der Region zu begegnen. Mittlerweile nimmt die Einrichtung auch Krebspatienten im Endstadium auf, denn Nächstenliebe soll vor keinen Diagnosen Halt machen.

So befinden sich derzeit ein Wachkoma-Patient, drei Krebserkrankte und fünf Aids-Kranke in Pflege. Einzelschicksale, die Einblicke in eine ganze Gesellschaft gewähren, weil die Ankunft in "Maria Frieden" für die Betroffenen häufig eine Endstation markiert. Denn das Hospiz mit elf Plätzen ist vor allem ein Ort, wo Menschen die Möglichkeit haben sollen, in Frieden ihre letzte Lebensphase zu begehen. Aus diesem Grund soll auch die Zimmerkapazität nicht ausgebaut werden, denn das Hospiz zeichnet sich gerade durch die persönliche, familiäre Atmosphäre aus, das Menschen am Ende ihres Lebens einen sicheren Ort bieten soll. Denn insbesondere hinter den Aids-Kranken, die im fortgeschrittenen Stadium hierher kommen, liegt oft eine Odyssee aus Drogen, Prostitution und Gewalt. Nach wie vor ist Aids eine Krankheit, die vor allem in sogenannten Randgruppen auftritt - letztlich aber vor niemandem Halt macht.

Erholung ist dank liebevoller Pflege möglich

Vor elf Jahren strandete die Aids-kranke Melissa todkrank in Oberharmersbach. Mittlerweile ist sie hier zu Hause und bezeichnet sich selbst als "topfit mit unverschämt guten Blutwerten" – wenn da nur nicht ihr "Gehirnkobold" wäre, wie sie den Verlust ihres Kurzzeitgedächtnisses nennt. Denn die aufgeschlossene 48-Jährige kann sich jüngere Ereignisse nicht merken: Sie fragt bei Ausflügen nachts bisweilen acht Mal, wo die Toilette ist, kann sich nicht erinnern, einen Witz eben schon erzählt zu haben. Grund dafür ist die Tatsache, dass AIDS im fortgeschrittenen Stadium das Gehirn angreift.

Krankenschwaster Inge Brücker mit Patientin Melissa im Hospiz "Maria Frieden". Foto: privat

Aber Melissa hat sich mit ihrer Erkrankung arrangiert und auch im Haus trifft sie auf Verständnis. An "Maria Frieden" schätzt sie vor allem die Rückzugsmöglichkeit in ihr eigenes Zimmer und die Ruhe. Wie sie sich mit HIV angesteckt hat? "Durch das Anschaffen", erzählt die gebürtige Augsburgerin freimütig. Da zu Hause schlimme Verhältnisse herrschten und der Vater die drei Schwestern missbraucht habe, habe sie schon mit 13 zu trinken begonnen. Dann sei das Kiffen hinzugekommen, schließlich Kokain. Um sich die Drogen zu besorgen, sei sie in Berlin auf den Strich gegangen, wo sie sich infizierte.

1999 kam Melissa in schlechtem Zustand nach "Maria Frieden", erholte sich aber unter der liebevollen Pflege gut. Ein Fall, der als typisch gelten mag, wie Krankenschwester Inge Brückner weiß, die seit zehn Jahren hier tätig ist: "Aids-Patienten stammen im Gegensatz zu Krebskranken oft aus zerrütteten Familien. Durch ihre Erkrankung verwahrlosen sie häufig, denn die Angehörigen lehnen sie meist ab. Durch die Einnahme der Medikamente und den geregelten Tagesablauf mit der richtigen Unterstützung und Zuwendung kann sich der Zustand wieder bessern." Allerdings hätten die Medikamente gravierende Nebenwirkungen. So führten sie beispielsweise zu einer Fettverteilungsstörung im Körper.

Krankenschwester: "Ich bin gerne hier"

Inge Brückner ist 44 Jahre alt, stammt aus dem benachbarten Nordrach und bringt "viel Erfahrung unter einem großen Herzen" mit, wie Heimleiter Thile Kerkovius lobend betont. "Ich bin gerne hier, weil man Zeit für die Menschen hat", sagt sie. Dies habe sie bei ihrer letzten Arbeitsstelle vermisst. Dort musste sie zuletzt sieben Nachtschichten nacheinander absolvieren und schob dann kurzerhand der Pflegedienstleitung die Kündigung unter der Tür durch. Dann sprach sie Heimleiter Kerkovius an, bat um einen Job und ist seitdem feste Mitarbeiterin in dem Hospiz, mit dem sie sich gut identifizieren kann. Vor allem in der schweren Phase des Endstadiums bräuchten Patienten und Angehörige viel Zuwendung, so Brückner.

Während Aids-Patienten heute dank fortgeschrittener Medizin nicht mehr an Infektionen, sondern eher an Spätfolgen und an den Nebenwirkungen der Medikamente sterben, sind die Krebspatienten in "Maria Frieden" eine völlig andere Klientel: "Da ist die Sterberate höher", berichtet die Krankenschwester, "Krebspatienten hadern oft mit ihrem Schicksal, weil sie noch so viel vorhatten. Denn sie sind hier, weil keine Therapie gegriffen hat." Dementsprechend liege der Schwerpunkt im Hospiz nicht auf Heilung (die nicht möglich ist), sondern auf palliativer Medizin.

Drogenprävention für die eigenen Kinder

Mit dem Schicksal hadern, das ist allerdings nicht die Sache von Angela B. aus Schuttertal, obwohl die 69-Jährige an einem Gehirntumor leidet, der ihr das Sprechen erschwert und sie an den Rollstuhl fesselt. Sie zeigt sich liebenswürdig und lädt in ihr Zimmer ein, das sie mit Spitzenvorhängen und warmen Farben gemütlich eingerichtet hat. Abgesehen von dem funktionalen Bett und dem Rollstuhl erinnert nur wenig an ihre Krankheit. Sie sei gern in "Maria Frieden" berichtet sie und ja, die Familie komme sie oft besuchen. Im Gegensatz zu den Aids-Patienten, die aus dem ganzen Bundesgebiet stammen, haben Krebskranke meist ihre Wurzeln in der Region.

Doch ist es trotz der familiären Atmosphäre nicht schwer, umgeben von Krankheit und Tod zu arbeiten? "Meine Tätigkeit hier hat mein Leben verändert", sagt Inge Brückner nachdenklich. Als ihre Kinder klein gewesen seien, habe sie sie mangels Alternative oft mit ins Hospiz genommen. Aus nächster Anschauung habe der Nachwuchs erlebt, was Alkohol und Drogen anrichten können. Beide seien daher heute in dieser Hinsicht sehr vorsichtig: "Dafür bin ich dankbar", sagt die Krankenschwester. Zum Schluss wünscht sich Melissa noch ein Foto. Fest umarmt sie Inge Brückner und lächelt in die Kamera. So als wollte sie sagen: Endlich bin ich zu Hause.


Marijana Babic ist freie Journalistin.