Herr Adorf, gleich zu Jahresbeginn sind Sie in der Pavel-Kohout-Adaption „Die lange Welle hinterm Kiel“ zu sehen, Ihrem neuesten Film. Wie halten Sie es eigentlich mit Ihren alten Filmen, schauen Sie sich die gelegentlich noch an?
Mario Adorf: Ich bin kein Nostalgiker. Ich habe meine Filme nicht gesammelt und es kommt nur selten vor, dass ich sie mir ansehe – es sei denn, ich stoße im Fernsehen darauf, dann bleibe ich vielleicht mal hängen. Mein Interesse liegt beim Machen eines Films, beim Spielen. Wenn er dann da ist, ist er für mich ein Stück Vergangenheit.
Ihre Fans sehen das etwas anders: Viele erinnern sich noch immer lebhaft daran, dass Sie 1963 in dem Kassenschlager „Winnetou“ als Filmschurke Santer die Schwester des edlen Häuptlings Winnetou ermordeten...
Adorf: Das ist schon erstaunlich. Leute sagen heute noch zu mir: „Ich habe Sie früher gehasst, weil Sie Winnetous Schwester erschossen haben.“ Dabei hatte ich diese Rolle ursprünglich gar nicht spielen wollen, weil ich fand, dass sie nicht interessant war, sondern ein Bösewicht ohne jede wirkliche Motivation. Aber als ich schon absagen wollte, hat mir ein bekannter Filmkritiker geraten: „Das müssen Sie machen, Herr Adorf, Karl May ist Kulturgut!“ Deshalb habe ich es gemacht – aber es hat mir nicht gefallen, dass man mich danach immer als Bösewicht besetzen wollte.
Hatten Sie nicht schon Jahre zuvor, in „Nachts, wenn der Teufel kam“, einen negativen Charakter gespielt?
Adorf: Aber danach habe ich sehr darauf geachtet, keine Bösewichte zu spielen, und habe das auch bis „Winnetou“ durchgehalten. Bei „Nachts, wenn der Teufel kam“ hatte ich mir sogar in den Vertrag schreiben lassen, dass ich die Rolle nur unter der Bedingung spiele, dass mir die Filmfirma bei einem ihrer nächsten Projekte eine positive oder komische Rolle anbietet. Ich habe sogar die Gage reingeschrieben, und das als junger Schauspieler, das muss man sich mal vorstellen.
Und das hat funktioniert?
Adorf: Ja, das nächste Projekt war „Der Arzt von Stalingrad“ 1957, da spielte ich den Sanitäter, und ich weiß auch noch die Gage: 10.000 Mark.
Das war damals viel Geld, oder?
Zum Vergleich: 1954 habe ich bei „08/15“ für meine zwei Drehtage 250 Mark bekommen. Damals war ich noch auf der Schauspielschule in München, für ein Zimmer habe ich 30 Mark im Monat bezahlt. Ich wohnte allerdings in der Küche, wo morgens um sechs die Leute reinschlurften und sich Kaffee machten.
"Gut und Böse sind
nicht eindeutig auszumachen -
Mich hat die Gleichzeitgkeit
von zwei Möglichkeiten gereizt"
Die reinen Schurkenrollen, die Sie so wenig mögen, haben Sie mittlerweile längst hinter sich gelassen. In „Die lange Welle hinterm Kiel“ geht es sogar zentral darum, dass Gut und Böse oft gar nicht so eindeutig auszumachen sind.
Adorf: Ja, dieser Aspekt hat mich gereizt, diese Gleichzeitigkeit von zwei Möglichkeiten, je nach Blickwinkel. Ich habe mich schon immer gewundert über Leute, die kategorische Urteile fällen und ihre Meinung dann nie wieder ändern. Die sagen dann: Das ist Charakter, wenn man sich treu bleibt. Aber manchmal bleibt man ja vielleicht einfach nur der eigenen Dummheit treu. Ich mochte an der Rolle zwar nicht, dass das ein ganz alter Mann ist, der am Stock geht, das spielt man natürlich nicht so gerne. Aber ich habe es gemacht, weil mir die Thematik von Pavel Kohout einleuchtete, diese Schuldfrage.
Es geht um die deutsch-tschechische Aussöhnung. Ein Thema, das Ihnen besonders am Herzen liegt?
Adorf: Ich kann nicht sagen, dass es mir besonders am Herzen lag, aber ich war mir bewusst, dass es da ein nicht aufgearbeitetes Kapitel deutsch-tschechischer Geschichte gibt.
Die Geschichte spielt ja auf einem Kreuzfahrtschiff. Wie waren denn die Dreharbeiten?
Adorf: Die Reise begann harmlos. Venedig, Korfu, Kreta, Santorin, alles war ganz normal. Und dann stellte sich ganz plötzlich heraus, dass die Schifffahrtslinie Insolvenz angemeldet hatte und der ursprüngliche Eigentümers des Schiffes, ein Grieche, in Griechenland schon ein Schwesterschiff von der Polizei beschlagnahmen ließ. Da bekam man natürlich Angst, dass das mit unserem Schiff genauso passiert, und wir mussten schleunigst griechische Hoheitsgewässer verlassen. Wir sind um den ganzen Peloponnes gefahren bis nach Zadar in Kroatien, 41 Stunden am Stück, dort haben wir den Film dann zu Ende gedreht. Später sind wir in Venedig von Bord gegangen, und dort wurde das Schiff tatsächlich beschlagnahmt.
Wie haben eigentlich die normale Passagiere reagiert, als plötzlich die Stars Mario Adorf, Veronica Ferres und Christiane Hörbiger mit an Bord waren?
Adorf: Wir mussten da und dort Autogramme geben, aber die Leute waren sehr nett. Wir haben unsere Arbeit allerdings überwiegend neben dem eigentlichen Tagesablauf der Touristen absolviert, zum Beispiel oft nachts gedreht, wenn die schliefen.
In letzter Zeit sind Sie ja fast täglich auf dem Bildschirm zu sehen: Sie werben für Hörgeräte, in einem der Spots zusammen mit „Winnetou“-Darsteller Pierre Brice...
Adorf: Ich habe das Angebot gerne angenommen, Werbung für eine Hörgerätefirma zu betreiben, denn schlechtes Hören ist ein Tabuthema. Dieses Tabu gehört aber beseitigt, weil Menschen Lebensqualität zurückgewinnen, wenn sie ein Hörgerät tragen, ich spreche da ja aus eigener Erfahrung. Es kostet immer noch Überwindung zu sagen: Ja, ich bekenne mich dazu, dass ich ein Hörgerät brauche. Es hat sich zufällig ergeben, dass mein Freund Pierre Brice auch Schwierigkeiten mit dem Hören hat, und so kam dieser Spot zustande, den ich übrigens wie alle meine Spots selber geschrieben habe. Und ganz nebenbei: Wir hatten viel Spaß dabei.
Der 81-Jährige Mario Adorf, der in Paris und St. Tropez lebt, ist in der Verfilmung eines Romans des Schriftstellers Pavel Kohout zu sehen: In „Die lange Welle hinterm Kiel“ (4. Januar, 20.15 Uhr, ARD) spielt Adorf einen wohlhabenden Herrn, der mit seiner Schwiegertochter Sylva (Veronica Ferres) eine Kreuzfahrt unternimmt. Als die deutsche Millionärin Margarete Kämmerer (Christiane Hörbiger) ihn als jenen Tschechen wiedererkennt, der 1945 ihren Mann liquidieren ließ, entbrennt zwischen den beiden ein erbittertes Duell.