Der zivile Blick auf Afghanistan kommt zu kurz

Der zivile Blick auf Afghanistan kommt zu kurz
Obwohl die Bundesregierung dem Einsatz in Afghanistan ein "ziviles Gesicht" geben möchte, dominiert in der öffentlichen Wahrnehmung das Militär. Das liegt auch daran, dass Bundeswehr-Soldaten am Hindukusch inzwischen offener sprechen dürfen als staatliche Entwicklungshelfer.
03.01.2012
Von Can Merey

Wer in Deutschland vom Engagement in Afghanistan spricht, denkt dabei in aller Regel an die Bundeswehr. Dabei sind am Hindukusch auch Hunderte zivile Experten etwa der staatlichen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Einsatz. Das deutsche Budget für den Wiederaufbau lag im vergangenen Jahr mit 430 Millionen Euro immerhin fast halb so hoch wie das für den Einsatz der Truppe. Im gerade angebrochenen Jahr beginnt nun der Abzug der Soldaten. Doch der Bundesregierung fällt es schwer, dem politisch sensiblen Einsatz das von ihr gewünschte "zivile Gesicht" zu geben.

Das liegt wohl nicht nur, aber auch an der Öffentlichkeitsarbeit der staatlichen Stellen, die mit dem Einsatz befasst sind. An die Zeit unter Verteidigungsminister Franz Josef Jung erinnern sich Presseoffiziere noch heute mit Schrecken, manche von ihnen sprachen damals von einer Informationsblockade. Als 2009 Karl-Theodor zu Guttenberg das Ministerium übernahm, verordnete er der Truppe mehr Transparenz. Zwar gibt es bei der Berichterstattung auch heute noch Einschränkungen. Dennoch ist die Bundeswehr in Afghanistan inzwischen offener, als es die zivilen deutschen Institutionen dort sind.

Eschborn hört mit

Deutsche Diplomaten und GIZ-Helfer liefern Journalisten in sogenannten Gesprächen "Unter Drei" - also nicht zitierfähig - wichtige Hintergrundinformationen. Ohne Genehmigung der Pressestellen dürfen ihre Aussagen nicht wiedergegeben werden. Anders liegt der Fall bei deutschen Soldaten in Afghanistan: Ihnen ist erlaubt, Reportern offen ihre Meinung über das umstrittene Engagement zu sagen, auch wenn sie kritisch ausfällt.

Das schlägt sich zum Beispiel in bemerkenswerten Porträts von zehn Bundeswehr-Soldaten im "Zeit Magazin" (1. Dezember) nieder, die vor dem Einsatz und an dessen Ende befragt wurden - und die dem Engagement in der Tat ein Gesicht verleihen. Einer der Männer sagt am Ende seiner Zeit in Afghanistan: "Ich hatte noch nie so sehr das Gefühl, Steuergelder zu verschwenden." Einen solchen Artikel über GIZ-Helfer, meint ein Mitarbeiter des staatlichen Hilfswerks, würde seine Pressestelle "auf überhaupt keinen Fall" genehmigen.

Neben der üblichen Praxis, sich Zitate vor der Veröffentlichung vorlegen zu lassen, will die GIZ-Pressestelle inzwischen zumindest in Einzelfällen Interviews per Telefon mithören. Dann verfolgt jemand, der nicht im Raum in Kabul, sondern im Tausende Kilometer entfernten Eschborn sitzt, das Gespräch mit. Als Kontrolle der Mitarbeiter - viele von ihnen verwalten Staatsgelder und sind der Öffentlichkeit mithin rechenschaftspflichtig - will GIZ-Sprecherin Dorothee Hutter das aber nicht verstanden wissen.

"Abgestimmte Pressearbeit", nicht Staatskontrolle

"Interviews begleiten wir, wenn unsere Kollegen noch nicht so erfahren sind im Umgang mit den Medien", sagt Hutter. "Daraus abzuleiten, dass staatliche deutsche Stellen versuchen, den Informationsfluss aus Afghanistan zu kontrollieren, ist aus unserer Sicht nicht nachvollziehbar." Auch das Auswärtige Amt (AA) will einen solchen Vorwurf nicht geltenlassen. Ein AA-Sprecher sagt: "Aufgrund der weltweit eng vernetzen Nachrichtenlage wird die Pressearbeit zwischen Zentrale und Auslandsvertretungen eng abgestimmt."

Ein GIZ-Mitarbeiter, der anonym bleiben will, spricht von Misstrauen seiner Zentrale. "Die denken, wir sind zu blöd und verantwortungslos, um mit Journalisten zu reden", sagt er. "Es wird ganz systematisch verhindert, dass wir offen sprechen." Daher drehe sich beim Einsatz auch alles ums Militär. Dabei sei die eigentliche Aufgabe der Bundeswehr in Afghanistan, den zivilen Wiederaufbau zu ermöglichen, "über den dann aber nicht offen gesprochen werden darf. Deswegen findet der Wiederaufbau in der öffentlichen Wahrnehmung so gut wie gar nicht statt - weder in Deutschland noch in Afghanistan."

Zivile Organisationen könnten von der Bundeswehr lernen

Auch die freie Journalistin Friederike Böge, die unter anderem für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" regelmäßig aus Afghanistan berichtet, hält die Pressearbeit ziviler Stellen für ausbaufähig. "Seit Jahren beschweren sich Entwicklungshelfer, dass viel mehr über die Bundeswehr berichtet wird als über den zivilen Wiederaufbau", sagt sie. "Das liegt aber auch daran, dass die Soldaten im Gegensatz zu GIZ-Mitarbeitern offen über ihre Arbeit reden dürfen. Was die Öffentlichkeitsarbeit angeht, können die zivilen Organisationen einiges von der Bundeswehr lernen."

Transparenz schaffe "Glaubwürdigkeit und Authentizität", meint Böge. Und an der Glaubwürdigkeit hapert es, wie eine Umfrage vom vergangenen Oktober belegt: Darin zeigte sich eine große Mehrheit der Deutschen von der Informationspolitik der Bundesregierung in Sachen Afghanistan enttäuscht. Nur 12 Prozent der Befragten glaubten, dass ihnen ein "ungeschminktes Bild" der Lage vermittelt wird. 78 Prozent fühlten sich dagegen nicht korrekt informiert.

dpa