"HbbTV": Auch Fernseher gehen ins Internet

"HbbTV": Auch Fernseher gehen ins Internet
Internetfähige Fernsehgeräte werden sich immer mehr durchsetzen. Dies meint der IT-Branchenverband Bitkom. Laut dessen Prognose soll 2012 die Zahl dieser HbbTV-Geräte in Deutschland auf rund 4,3 Millionen steigen. Sie verbinden klassische Fernseh-Angebot mit Internetinhalten.
28.12.2011
Von Ralf Siepmann

Ein Trend für das kommende Medienjahr ist bereits so sicher wie die Tatsache, dass es 2012 einen 29. Februar geben wird: Der Absatz von Hybrid-TV-Geräten, Flachbildfernsehern mit Internetanschluss, wird weiter rasant wachsen. 2012 sollen es nach Branchenprognosen in den EU-Haushalten über 13 Millionen Endgeräte auf Basis des HbbTV-Standards sein, die die Option eröffnen, Inhalte aus dem Web mit dem Medium TV zu verknüpfen. Rund 4,3 Millionen davon werden in deutschen Wohnzimmern stehen. Eine Steigerung um rund 60 Prozent von 2,2 Millionen auf 3,4 Millionen Hybrid-TV-Geräte im zu Ende gehenden Jahr hatte der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien(Bitkom) bereits im Sommer vorausgesagt.

Weil der Breitband-Zugang zum Internet in immer mehr Wohnungen Standard wird, war 2011 jedes zweite ausgelieferte TV-Gerät mit Schnittstelle zum Web ausgestattet. Der Absatz an Hybrid-Geräten in 2011 repräsentiert einen Umsatz von nahezu 3,5 Milliarden Euro. "Internetfähige Fernsehgeräte", bewertet Ralph Haupter, Vorsitzender der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland und Mitglied des Bitkom-Präsidiums die Entwicklung, "sind der Top-Trend in der Unterhaltungselektronik".

Der vernetzte Fernseher gilt als Medienrevolution

Das Kürzel "HbbTV" steht für "Hybrid broadcast broadband TV" und meint die jüngste Stufe der neuen Konvergenz. Hybride Empfangsgeräte, für die in der Branche auch die Begriffe Connected TV, Interactive TV oder Smart TV anzutreffen sind, agieren gleichzeitig als TV-Monitore und Oberflächen für Internet-PC. Sie bilden die technische Basis des "vernetzten Fernsehens", vor allem eine Brücke zwischen klassischem Fernsehen und Video on Demand.

Das hat weitreichende, womöglich explosiven Folgen für Inhalteanbieter und Mediennutzer. Den Fernsehunternehmen öffnen hybride Endgeräte die Tore zu den vernetzten Strukturen des Internets, zu Aktualität und Interaktivität, zu Entertainment in allen Varianten, zu Abermillionen von Bewegtbildern. Dies vollzieht sich jedochum den Preis ihrer Exklusivität. Anders als in der Vergangenheit, betont Jürgen Sewczyk, Gründungsmitglied der Deutschen TV-Plattform, "gehört der Bildschirm nicht mehr nur den Fernsehsendern, sondern ist er nun für alle Inhalteanbieter, wie zum Beispiel auch Verlage, zugänglich". Der Druck auf die Vollprogramme, zumal die öffentlich-rechtlichen in gesamtgesellschaftlicher Verantwortung, wird weiter wachsen.

Und der "Viewser"? So nennen manche den Web-2.0-affinen Mediennutzer im Zeitalter von HbbTV. Per Knopfdruck auf seiner Fernbedienung pendelt er zwischen TV-und PC-Monitor, bleibt vielleicht an einer linearen Sendung wie "Das Supertalent" hängen, switched sich dann durch auf der Suche nach einer bestimmten Folge von "Two and a half men" zu einer Mediathek, um danach durch eine Fülle von Applikationen zu surfen, wie sie von iPhone und iPad geläufig sind - Sportberichte, Reiseangebote, aktuelles Wetter, Video-Telefonieren, E-Commerce und Online-Banking, was auch immer dabei sein mag. Anschließend hat er vielleicht Lust, zum klassischen Fernsehen zurückzukehren. "Hybrid-TV öffnet einen neuen Weg ins multimediale Internet", sagt Haupter: "Für die Zukunft wünschen wir uns, dass hybride TV-Geräte den Zuschauern die komplette Internetwelt öffnen."

Besitzer nutzen nur begrenzt die Möglichkeiten

So verführerisch auf den ersten Blick das scheinbar grenzenlose "vernetzte Fernsehen" anmuten mag, so zurückhaltend verhält sich ein beträchtlicher Teil der "Viewser", zumindest noch. Nach Angaben des Bitkom schließt zurzeit nur etwas mehr als die Hälfte aller Besitzer von Hybridgeräten ihren Fernseher auch tatsächlich ans Netz an – für medienhistorisch Interessierte eine Reminiszenz an die Zeit der Einführung der Videorekorder. Damals schafften sich viele ein entsprechendes Aufzeichnungsgerät an, doch blieb deren Nutzung in vielen Haushalten weit unter den Möglichkeiten. Dabei sein, galt damals als Devise.

Für eine Gruppe der Bevölkerung gilt dies auch heute wieder. Nach einer Forsa-Umfrage sind 60 Prozent der 14- bis 26-Jährigen interessiert, ihren Fernseher ans Internet anzuschließen, um so gleichzeitig Zugang zu Web-Inhalten auf dem TV-Gerät haben zu können. Im Ausland sind die Zahlen übrigens noch höher. Junge US-Amerikaner wünschen sich das vernetzte TV zu 74 Prozent, junge Briten zu 77 Prozent. Es ist diese unter den Bedingungen des Internets sozialisierte Bevölkerungsgruppe, die auch besonders aktiv in den sozialen Netzwerken unterwegs ist. Ergo erfährt die neue Konvergenz an dieser Schnittstelle ihre eigentliche Explosivität. "Die Zukunft des Fernsehens ist social", bringt Uwe Schnepf, Geschäftsführer des Volldienstleisters Nacamar, die Verschmelzung von TV, Web und Social Media auf einen Begriff.

Eine schöne neue Medienwelt

Was erst einmal unverdächtig klingt, erfährt mit ein bisschen Phantasie seine Brisanz in der vorstellbaren Praxis. "Viewser" tauschen sich als Teil eines sozialen Netzwerks mit "Freunden" zum laufenden Programm aus. Sie bilden so auf Facebook oder Twitter Standards heraus, die bestimmten TV-Programmen einen Wert zuschreiben, anderen wiederum nicht. Welche Genres werden davon profitieren? Unterhaltung, Casting-Shows, Doku-Soaps, die Menschen eher vorführen als ernst nehmen? Welche nicht? Etwa Angebote, die Relevantes vermitteln wollen, politische Sendungen, Dokumentationen, die mit notwendigen, vielleicht sperrigen Erkenntnissen vertraut machen wollen? Das Rennen um Gewinner und Verlierer im Fernsehprogramm ist völlig offen.

Wird im vernetzten Fernsehen Social Media mehr sein als ein reiner Vertriebsweg für traditionelle und neue Angebote? Dafür spricht sehr viel. Die direkte Interaktion der Zuschauer mit dem Programm und untereinander könnte die letzten Funken jenes gesellschaftlichen Lagerfeuers auslöschen, das das traditionelle Fernsehen über Jahrzehnte war - oder dieses Feuer neu entfachen. Eine schöne neue Medienwelt: Die "Viewser" schauen gemeinsam fern, sind aber räumlich voneinander getrennt. Der eine ist im Büro am Laptop eingeloggt, der andere in der Bahn via Smartphone. Nicht das Medium an sich wird dann das verbindende Element, sondern die Interaktion in Echtzeit.

Wie, sagte Uwe Schnepf werde die Zukunft von TV sein? "Social"? ARD und ZDF wie andere klassische TV-Anbieter haben sicherlich noch einige Jahre Zeit, sich dieser Erkenntnis zu stellen und ihre Strukturen auf Erwartungen eines wachsenden Publikums hin auszubauen, das sich schon längst an Interaktivität gewöhnt hat. Länger als ein paar Jahre werden die Sender auf keinen Fall haben. Denn beim vernetzten Fernsehen ist eines sicher: Es wird kommen. Die klassischen Fernsehanstalten müssen zusehen, dass sie nicht abgehängt werden.


Ralf Siepmann ist Medienjournalist und freier Autor in Bonn.