TV-Tipp des Tages: "Hierankl" (3sat)

TV-Tipp des Tages: "Hierankl" (3sat)
Zum 60. Geburtstag ihres Vaters kehrt Lene nach Hierankl zurück, einem abgelegenen Gehöft in den Bergen - Ort ihrer Kindheit, den sie mit 17 verließ, um in Berlin ein neues Leben zu führen. Die alten Wunden reißen wieder auf: die Verletzungen, die ihr die Mutter zugefügt hat, das Schweigen ihrer Familie, die Lügen und Geheimnisse.
27.12.2011
Von Tilmann P. Gangloff

"Hierankl", 28. Dezember, 21.45 Uhr bei 3sat

Es gibt drei wichtige Fragen im Leben: Hast du Sex? Hast du Familie? Bist du in Bewegung? Wer dreimal mit "Ja" antworten kann, dem geht es paradiesich gut. Zwei "Ja" braucht man, um glücklich zu sein; eines, um zu überleben. Die junge Lene stellt sich die drei Fragen zu Beginn des Films. Ihre Antworten: zweimal "nein", einmal "vielleicht". Am Ende der Geschichte wird sie die Fragen erneut stellen; nun bleibt die Antwort dem Zuschauer überlassen.

Schlicht "Hierankl" hat der später durch Filme wie "Winterreise" bekannt gewordene Hans Steinbichler sein szenisches Debüt nach einigen Dokumentarfilmen genannt; das Erstlingswerk hat mehr Kraft als die Ergebnisse vieler anderer Regisseure, die schon seit Jahren Filme machen. Im Zentrum der Inszenierung stehen allerdings auch zwei Schauspielerinnen, die sich ein eindrucksvolles darstellerisches Duell liefern: die junge Johanna Wokalek und die erfahrene Barbara Sukowa, die sich in den letzten Jahren recht rar gemacht hat. Mit ihnen erzählt Steinbichler ein Heimatdrama, das die Züge einer klassischen Tragödie trägt, denn hinter den eindrucksvollen Bildern vom imposanten Bergpanorama (Kamera: Bella Halben) tun sich familiäre Abgründe auf.

Der fehlende Flügel

Die Geschichte beginnt harmlos. Am Münchener Hauptbahnhof entscheidet sich Lene (Wokalek) spontan, nicht zurück nach Berlin, sondern in ihre Heimat ins Chiemgau zu fahren; fünf Jahre ist sie nicht mehr in Hierankl, dem Hof ihrer Eltern, gewesen. Ihr Vater (Joseph Bierbichler) wird sechzig und hat Freunde und Verwandte eingeladen. Selbst sein uralter Studienfreund Götz (Peter Simonischek), der sich dreißig Jahre lang nicht hat blicken lassen, schaut vorbei. Götz gilt als frühe Jugendliebe von Mutter Rosemarie (Sukowa). Spontan verliebt sich auch Lene in ihn – ein weiterer Stich ins Herz ihrer Mutter.

Ein tiefes Zerwürfnis trennt die beiden Frauen. Für Lene hat immer ein kleiner Porzellanengel mit nur einem Flügel symbolisiert, wie sie sich fühlt. Kinder, erzählt sie, seien wie Engel; die Eltern sind die beiden Flügel. Doch Lene kam es stets so vor, als habe sie bloß einen Flügel gehabt. Ihr fehlte die Liebe eines Elternteils; der fehlende Flügel, das war ihre Mutter. Am Ende des Festes, als sich das Ehepaar mit einigen unangenehmen Wahrheiten konfrontiert und alte Rechnungen beglichen hat, muss Lene entsetzt erfahren, dass ihr gesamtes Leben auf einer Lüge basiert; der fehlende Flügel steht mitnichten für ihre Mutter.

"Hierankl" war eines der stärksten Debüts der letzten Jahre. Beim Filmfest München wurde Steinbichler für seine Regie und Johanna Wokalek als beste Darstellerin mit dem Förderpreis Deutscher Film ausgezeichnet. Beim Fernsehfilmfestival Baden-Baden gab es den Nachwuchspreis der Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).