Mit der Roboter-Robbe gegen die Isolation kuscheln

Mit der Roboter-Robbe gegen die Isolation kuscheln
Sie heißt "Ole" oder "Paro", ist dick und weich und weiß und soll verschüttete Erinnerungen bei Demenzkranken hervorholen, wo Menschen nichts mehr ereichen: die Roboter-Robbe. Eingesetzt wird sie zum Beispiel im Bremer Seniorenheim "Haus O'land". Aber kann ein Roboter besser einen Zugang zu einem Kranken schaffen als ein Mensch? Nein, natürlich nicht. Für ein gutes Gefühl kann sie jedoch trotzdem sorgen.
19.12.2011
Von Cornelia Kurth

Die dicke weiße Babyrobbe sieht wirklich niedlich aus. Große schwarze Augen, lange Schnurrbarthaare und ein rundes Knuddelköpfchen, über dessen weiches Fell man sofort streicheln will. Man könnte sie für ein normales Kinderzimmer-Kuscheltier halten, würde sie einem nicht als "Roboter-Robbe" vorgestellt, dazu gedacht, die Arbeit mit altersverwirrten Menschen in Seniorenheimen zu erleichtern. Eine ausgefeilte Technik im Inneren des knapp drei Kilo schweren Pelztierchens reagiert feinfühlig mit Augenaufschlag, Kopfdrehung und Piepsen auf Streicheln, Drücken und die menschliche Stimme. Ein Roboter, der mit dementen Menschen kommunizieren soll? Gar als Ersatz für die Ansprache durch das Pflegepersonal?

Als die Filmemacherin Annette Wagner vergangenes Jahr im Bremer Seniorenheim "Haus O'land" auftauchte und fragte, ob sie hier eine arte-Dokumentation über den Einsatz dieses kleinen Roboters bei der Altenpflege drehen dürfe, waren Heimleitung und Pflegedienstleiterin Susanne Greulich nicht gerade begeistert. "Einerseits reizte uns das Experiment durchaus. Andererseits fürchteten wir geradezu um den Ruf unseres Hauses", so Susanne Greulich. "Die Angehörigen sollten ja nicht am Ende denken, dass wir Personal sparen wollen, indem wir Maschinen statt Menschen einsetzen. Eine Roboter-Robbe, die vorspielt, sie könne eine Beziehung zu unseren Bewohnern haben, das klang für uns schon beinahe zynisch."

Damit drückt sie aus, was viele Menschen denken, wenn sie von dem "Therapie-Roboter" hören. Darf man sich dem oft sehr schwierigen Umgang mit altersverwirrten Menschen entziehen, indem man ihn Robotern überträgt? Die oft verdrehte Wahrnehmung von Alzheimer-Erkrankten ausnutzen und - sie erkennen ja eh oft nicht mehr, mit wem sie eigentlich sprechen - ein künstliches Gegenüber beauftragen, sich mit ihnen zu beschäftigen? Wäre es moralisch vertretbar, wenn insgesamt Roboter Aufgaben von Pflegern übernehmen und damit die angespannte Personalsituation in Pflegeheimen entlasten würden?

"Was das 'Ding' kann? Unsere Fantasie hat uns wohl einen Streich gespielt"

Die Roboter-Robbe kommt aus Japan und ist eine von vielen Erfindungen, die im japanischen Alltag bereits selbstverständlich geworden sind. Roboter stehen an Hotelrezeptionen oder arbeiten in Unternehmen. Auch das "Tamagotchi" stammt aus Japan, dieses Mini-Haustier, das auf dem Bildschirm eines Elektro-Gerätes erscheint und rund um die Uhr versorgt sein will. So intensive Gefühle entwickelten auch deutsche Kinder für dieses Kunstwesen, dass viele Tränen flossen, wenn ein Tamagotchi krank wurde oder gar "starb".

So süß und kuschelig: Roboter-Robbe "Ole". Foto: Cornelia Kurth

Takanori Shibata, der die Roboter-Robbe entwickelte und ihr den Namen "Paro" gab, fand nichts dabei, ein Kuscheltier zu entwerfen, das zunächst als Gesellschafter für einsame Menschen gedacht war, die vielleicht gern Hund oder Katze hätten, sich aber - eher typisch für Japaner -vor den dabei unvermeidlichen Hygieneproblemen fürchten. Bisher wurden weltweit etwa 1.700 "Paros" verkauft, nicht wenig, wenn man den Anschaffungspreis von knapp 5.000 Euro bedenkt. Takanori Shibata kam selbst nach Deutschland, um seine Erfindung hier vorzustellen und für sie zu werben. Bisher allerdings sind es nur eine Handvoll Altenheime, die sich auf die Kuschelrobbe eingelassen haben.

"Inzwischen lache ich über all unsere Befürchtungen", sagt Susanne Greulich aus dem Haus O'land. "Unsere Fantasien darüber, was dieses 'Ding' alles kann, hat uns da wohl einen Streich gespielt." Neben ihr, in einer Art Hundekörbchen, liegt die dicke Robbe, die hier "Ole" heißt, friedlich schlummernd, mit einem Nucki im Maul, der ihren Akku auflädt. Wie ein "Roboter", der das Leben und die Arbeit im Seniorenheim revolutionieren könnte, sieht sie wirklich nicht aus. "Die Robbe ist eher soetwas wie eine weiterentwickelte Handpuppe", meint Greulich. "Ohne jemanden, der mit ihr unter dem Arm auf die dementen Bewohner zugeht und sie anspricht, passiert nicht viel." Die Technik gaukle ein lebendiges Wesen vor, aber eigentlich seien es die Pfleger, die ihr das Leben einhauchen.

Die Roboter-Robbe hilft, verschüttete Erinnerungen wieder hervorzuholen

Im Haus O'land wohnen etwa 100 Senioren, die alle an Demenz erkrankt sind. Mit dieser Erkrankung verbunden ist oft ein depressives Gefühl der Leere und existenziellen Verlorenheit, das sich nicht ohne Weiteres von außen durchbrechen lässt. In dem Therapiezimmer, wo sich auch 'Ole' ausruht, befinden sich jede Menge Utensilien, die dazu dienen, die alten Menschen anzustupsen, Erinnerungen wachzurufen, einen Gesprächsanlass zu bieten oder einfach nur die Stimmung aufzuhellen: Bilderbücher, eine altmodische Pelzmütze, Massagebälle, wohlriechende Öle, Spielzeug, Klangkörper.

"Die meisten Demenzkranken haben ihre Erinnerung verloren. Und das bedeutet: Ihre Identität", so Greulich. "Es gibt viele Möglichkeiten, verschüttete Erinnerungen wieder hervorzurufen. Die Roboter-Robbe ist eine davon. Von 'Ole' gehen ziemlich starke Reize aus. Es ist vor allem Fürsorge, die er auslöst, Fürsorge und Zärtlichkeit."

[listbox:title=Mehr im Netz[Das arte-Filmprojekt von Annette Wagner##Die Interaktive Website "squeezeme" zum Thema Kuschelrobbe]]

Wenn die Mitarbeiter des Hauses die Robbe auf den Arm nehmen und damit durch die Flure oder auf ein Zimmer gehen, müssen die alten Menschen nicht reden, nicht auf verwirrende Fragen antworten, sie können einfach streicheln, die Robbe am Hals kraulen und schon schlägt sie die Augen auf, fiepst aufmunternd, bewegt den Schwanz und scheint sich anzuschmiegen. Bei schwer dementen Menschen ist es schon viel, wenn dann ein Lächeln auf ihrem Gesicht erscheint: "Da öffnet sich dann ein Spalt, aber den kann nicht 'Ole' offenhalten, den müssen wir Pflegende nutzen", sagt Greulich.

"5.000 Euro soll sie kosten?" Da kann ich nur lachen!"

Barbara Klein, Professorin im Fachbereich Pflege und Gesundheit der Fachhochschule Frankfurt, forscht mit ihren Studenten über den Einsatz von "Emotionaler Robotik" bei alten Menschen, Behinderten und Kindern. "Bisher haben wir in Bezug auf 'Paro' nur positive Beobachtungen gemacht", sagt sie. Die starken Signale der Roboterrobbe würden auch Menschen erreichen, die sonst für alles verschlossen sein. "Ich sehe kein moralisches Problem darin, solche Hilfsmittel einzusetzen - die moralische Frage ist eher, ob die Pflege dementer Menschen es uns wert ist, dafür auch finanziell erheblich zu investieren."

Deutschlandweit ist die Therapie-Robbe nur in zehn Häusern im Einsatz, fast alle davon im Süden des Landes. "5.000 Euro soll sie kosten?", fragt zum Beispiel Karsten Lindenau, Leiter des Seniorenheimes "Ramsauers Mühle" in Hessisch Oldendorf bei Hameln. "Da kann ich nur lachen! Dieselbe Wirkung lässt sich doch ganz einfach auf andere Weise erreichen, mit lebendigen Wesen!" Zum Konzept seines Hauses - und das ist auch in anderen guten Heimen üblich - gehört es, dass kleine Kinder der Angehörigen gern gesehene Gäste sind. Regelmäßig auch kommen Hundebesitzer aus dem nahen Hundesportverein vorbei, damit die alten Leute mit den freundlichen Tieren schmusen können. "Das sind wahre 'Seelenöffner'" meint Lindenau. "Außerdem haben wir Kaninchen und Meerschweinchen - wir brauchen keine Roboter-Robbe." Ralf Ober, Leiter eines Seniorenheimes im niedersächsischen Rinteln, kann das nur bestätigen. "Bei uns gibt es auch zwei von vielen geliebte Hauskatzen", sagt er. "Die sind so selbständig, dass sie oft von ganz allein in ein Zimmer reinspazieren."

Soetwas kann die Roboter-Robbe nicht. Bei aller Sensorik in ihrem Körper benötigt sie doch den "Puppenspieler" als Vermittler zwischen Mensch und Maschine. So ist es wohl kein Wunder, dass "Ole" im Bremer Haus O'land längst nicht mehr so viel zu tun hat, wie in der fünfmonatigen Drehzeit im letzten Jahr zum Dokumentarfilm "Roboter zum Kuscheln – Heilsam für Demenzkranke?". Er wurde zu einem Therapie-Mittel unter vielen anderen - und die Frage, ob es richtig sein kann, dass es Roboter statt pflegende Menschen sind, die sich um demenzkranke Heimbewohner kümmern, sie stellt sich im Ernst wohl erst in ferner Zukunft.


Cornelia Kurth ist freie Journalistin im südwestlichen Niedersachsen.