Das Ich im Internet: Die digitale Welt und das Urheberrecht

Das Ich im Internet: Die digitale Welt und das Urheberrecht
Das Internet stellt das Urheberrecht in Frage: Hier wird verlinkt, geklaut und gesamplet. Manchmal ist nicht mehr klar, wer Autor, Urheber oder Rechteinhaber eines so neu entstandenen Artikels, Videos oder Kunstproduktes ist. Muss die Idee des geistigen Eigentums neu formuliert werden?
28.11.2011
Von Thomas Klatt

Die Wahrung des Urheberrechtes beschäftigt seit Jahren die Medienbranche und die Politiker. Auf dem anstehenden Bundesparteitag der Grünen zum Beispiel soll diskutiert werden, ob gerade im Bereich des Internets dieses Grundrecht auf geistiges Eigentum gelockert werden soll. Denn Eigentum verpflichtet, sagt das Grundgesetz, und die Frage ist, ob auch das geistige Eigentum nicht der Allgemeinheit gehört?

Auch der deutsche Förderverein von Wikipedia, der Verein Digitale Gesellschaft und die Open Knowledge Foundation Deutschland haben sich jetzt in einer gemeinsamen Erklärung für die Neufassung und Lockerung des deutschen Urheberrechtes ausgesprochen. Denn das geltende Urheberrecht zementiere eine "Kultur der Abschottung". Nur, wie sollen dann Autoren und Künstler noch von ihrer freien Arbeit leben können, wenn sie nicht mehr angemessen entlohnt werden und ihre Leistung nicht mehr urheberrechtlich geschützt ist?

Das Internet steht für neue Kulturtechniken

Der österreichische Jurist und Betriebswirt Leonhard Dobusch hat die Initiative "Freie Netze, freies Wissen" mitgegründet. Für ihn ist das Urheberrecht ein Rechtsvehikel, das erst seit dem Beginn des Buchdrucks existiert, aber bis heute dieser analogen Kulturepoche verhaftet ist. Mittlerweile habe das Internet aber Kulturtechniken der digitalen Revolution hervorgebracht, die mit diesem alten analogen Rechtsinstrumentarium nicht mehr kompatibel sind. Heute gebe es eben transformativen Konsum: Werke verändern sich bei ihrer Benutzung und Verbreitung und es ist kaum noch auszumachen, wer nun der Autor, der Urheber und der Rechteinhaber des neu entstandenen Kunstproduktes ist.

"Es ist heute zum Beispiel für viele junge Leute völlig normal, Musik, Kunst, Fotos, Bewegtbilder zu sampeln und daraus einen Remix zu machen. Oder sie tanzen beim Musikhören, filmen das und stellen alles anschließend als Video in ein soziales Netz", weiß Dobusch.

Hinter solchen millionenfachen Nutzungen ständen eben nicht mangelnde Medienkompetenz oder gar kriminelle Absichten. Im Prinzip sei das Internet an sich eine ständige Urheberrechtsverletzung. Lebensfrohen Jugendlichen könne man eben nicht zumuten, nun für ihr Privatvideo GEMA-Gebühren zu entrichten, auch wenn es streng genommen dem geltenden Urheberrecht entsprechen würde.

"Das Recht ist falsch"

"Dazu sind soziale Netzwerke da, so etwas zu teilen. Und wenn das nicht legal ist, dann ist das Recht falsch. Oder die Kulturtechnik des Bloggens besteht unter anderem darin, ein Zitat aus einem Artikel zu nehmen und darunter zu schreiben, finde ich cool. Vom Zitatrecht her rein formal juristisch ist das nicht gedeckt, weil das Verhältnis Zitat zu eigenem Beitrag ungleich ist", beschreibt Dobusch die Schieflage zwischen Gesetz und täglicher Praxis.

Bisher erlischt das Recht an einem Werk nach der deutschen Gesetzgebung erst 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers, auch wenn es bei Filmen etwa Ausnahmen gibt. Besser sei aber eine open-commons-Regelung, die Medien und Inhalte für die Allgemeinheit frei zugänglich machen würde. Das derzeit geltende starre Urheberrecht sei aber eine Behinderung von Kultur. So würde nur aufgrund der Gesetzeslage wertvolles historisches Filmmaterial nicht vor der endgültigen Zerstörung bewahrt, weil die viel zu teure und zeitaufwendige Rechteabklärung einer Digitalisierung für die Nachwelt im Wege steht.

"Das ist das Problem der verwaisten Werke. Bei Büchern kann man das ja vielleicht noch in 100 Jahren digitalisieren, aber die alten Filme haben sich dann schon in Staub aufgelöst", warnt Dobusch.

Angst vor illegalen Downloads

Andererseits fürchten etwa Filmverleihe um ihre Einnahmen. Napster oder kino.to sind nur zwei Beispiele ruinöser Musik- und Videopiraterie, deren kriminelle weil ungesetzliche Machenschaften mittlerweile jedoch unterbunden wurden. Allerdings entstehen dadurch auch neue Geschäftsmodelle. Verlage versuchen längst Verwertungskette umzudrehen. Früher galt das Auswertungsfenster: erst Kino, dann Fernsehen, dann Video-DVD und zuletzt Online-Vermarktung. Heute ist das immer öfters schon umgekehrt. Das Internet sollte also nicht als Gefahr, sondern als Basis für neue Vermarktungsmöglichkeiten ausprobiert werden, meint Christian Sommer vom Medienmulti Warner-Brothers Entertainment.

"Es gibt schon verschiedene Vermarktungs-Tests in den USA. Da gibt es home premiere, 60 Tage nach Kinostart sind Filme online verfügbar, bevor er dann 2 Monate später auf DVD erscheint", sagt der Filmverleiher.

Problematisch sei die Rechteabklärung auch deshalb, weil besonders der Filmbereich sehr kleinteilig ist und höchst diversifiziert wie fast in keiner anderen Branche von Videotheken, Kinobetreibern, Produzenten bis hin zu Drehbuchautoren.

Die Demokratisierung der Produktionsmittel führe allerdings zur Verzerrung des Marktes. Jeder könne heute schon mit geringen Kosten Autor oder Filmemacher werden und sein geistiges Eigentum kostenfrei ins Netz stellen. Klassische Verlage wird es in Zukunft wohl immer weniger geben.

Die Urhheberrechtsdiskussion nutzt nur großen Konzernen

Nur gibt es auch weiterhin professionelle Autoren, die von ihrer Arbeit leben wollen. Deren Tantiemen werden immer geringer. Ob es demnächst eine generelle Kulturabgabe der provider für Kulturschaffende geben wird, ähnlich wie heute schon beim Kauf von Leer-CDs, ist völlig offen. Doch die Gefährdung ihres Berufsstandes gehe weniger von Internetpiraterie als vielmehr von Knebelverträgen der Vermarkter aus, warnt die Berliner Regisseurin Beate Neumann.

"Dass die Urheberrechtsdiskussion jetzt geführt wird, ist bezeichnend, weil die großen Konzerne Interesse haben, ihre Rechte zu schützen. Solange es nur um die Autorenrechte, um den Schutz der Urheber ging, gab es diese Diskussion nicht", beklagt die stellvertretende Vorsitzende des Berliner Journalistenlandesverbandes djv.

"Es kann um Nutzungsrechte gehen, die man eine Zeitlang weggeben kann, aber das Recht des Urhebers kann man nicht verkaufen. Aber genau das machen Konzerne wie Warner Bros. Entertainment. Sie zwingen uns Autoren, Verträge zu unterschreiben, so genannte buy out-Verträge, in denen man mit einer einzigen Unterschrift seine Rechte für alle Medien, alle Verwertungsformen, alle Länder dieser Welt abgibt. Buy out ist unmoralisch", klagt Neumann.


Thomas Klatt ist evangelischer Theologe und freier Autor in Berlin.