Die Stimmung erinnert viele an die Tage der Revolution im Januar. Seit dem Wochenende ist die ägyptische Hauptstadt Kairo erneut Schauplatz von Kämpfen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. Friedliche Proteste schlugen am Samstag in Gewalt um. Aktivisten warfen Steine und Molotow-Cocktails, die Polizei setzte Tränengas und Gummigeschosse ein. Am Montag gingen die gewaltsamen Auseinandersetzungen weiter, mindestens 20 Menschen starben, meldete der britische Sender BBC am Vormittag. Die Aktivisten sprechen von mehr als 1.500 Verletzten. Eine Woche vor den geplanten Parlamentswahlen, den ersten nach dem Sturz der alten Regierung, steckt Ägypten in einer schweren Krise.
Im Januar hatten die Demonstranten nach 18 Tagen des Protestes Präsident Husni Mubarak zum Rücktritt gezwungen. Doch wirklichen politischen Wandel hat es aus ihrer Sicht seitdem nicht gegeben. "Das System ist noch das alte. Die Revolution muss weitergehen", sagt die Studentin Salmar Mohammed. Am Freitag hatten sich mehrere Zehntausend Aktivisten zu einer Demonstration unter dem Slogan "Rettet unsere Revolution" versammelt. Auch islamische Gruppierungen beteiligten sich in großer Zahl. Zunächst protestierten sie friedlich, doch am Samstag kam es zu Kämpfen, als die Polizei ein Zeltlager der Aktivisten auf dem Tahrir-Platz räumte. Auch in anderen ägyptischen Städten wird seitdem demonstriert.
Die Enttäuschung ist groß
Viele Aktivisten sprechen bereits von einer neuen Revolution. "Wir sind enttäuscht, denn es hat sich viel zu wenig geändert. Die Generäle haben die Macht übernommen, doch sie führen Ägypten nicht wie versprochen zur Demokratie, sondern regieren schlimmer als Mubarak", sagt der Demonstrant Scherif Hassan. "Wir wollen, dass die Militärregierung aufhört, Zivilisten vor Militärgerichte zu stellen und endlich einen Termin nennt, wann sie die Macht an eine zivile Regierung abgibt."
In den vergangenen Wochen ist der Frust vieler Ägypten über die Generäle zunehmend gewachsen. Mehrere Blogger wurden festgenommen, und die Bürger leiden unter der Wirtschaftskrise und der steigenden Kriminalität. "Der Militärrat hat im politischen Spektrum massiv an Unterstützung verloren", sagt auch Stephan Roll, Ägypten-Experte der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik. Eine erneute Massenbewegung erwartet er in nächster Zukunft dennoch nicht. "Es ist ein kleiner Teil der Gesellschaft, der hochpolitisiert ist." Gerade in ländlichen Gebieten schätzen nach Rolls Ansicht viele Ägypter das Militär als einzige Ordnungsmacht.
Wahltermin fraglich
In der ägyptischen Presse wird derzeit diskutiert, ob die für den 28. November geplanten Wahlen wegen der Unruhen verschoben werden. Bisher dementierte die Regierung das. Die Muslimbruderschaft, deren Partei gute Siegchancen eingeräumt werden, hat vor einer Verschiebung der Abstimmung gewarnt.
Auch Roll glaubt, dass das Militär die Wahlen wie geplant abhalten will. Die Armee wolle die unpopuläre direkte Verantwortung für den politischen und wirtschaftlichen Wandel so schnell wie möglich abgeben. Dennoch hätten die Generäle kein Interesse an einer starken Demokratie. "Das Militär will sich nicht zivilen politischen Institutionen unterordnen", sagt der Ägypten-Experte. Aber auch die Aktivisten sind seiner Ansicht nach nicht bereit, das Feld zu räumen. Wenn die Situation weiter eskaliere, sei nicht auszuschließen, dass die Wahlen doch verschoben würden.
Einige Demonstranten wittern eine Verschwörung. "Vielleicht hat die Regierung diese neue Krise angezettelt, um einen Vorwand zu haben, die Wahlen abzusagen", sagt Mahmoud M., der einen Kopfverband trägt und sich am Rande des Tahrir-Platzes ausruht. "Im Grunde ist es auch egal, denn die Wahlen sind bloßes Theater." Tatsächlich sind viele Ägypter misstrauisch, denn die Vertreter des alten Regimes wurden nicht von der Wahl ausgeschlossen. Sie verfügen über Macht und Geld und könnten im Parlament eine starke Fraktion stellen. Viele Aktivisten befürchten, dass die Regierung Mubarak so auf ganz legalem Weg wieder zu Macht kommt.