Piratenpartei kritisiert neue Netzpolitik in Berlin

Piratenpartei kritisiert neue Netzpolitik in Berlin
Das Land Berlin widmet der Netzpolitik erstmals ein eigenes Ressort. Die Berliner Piratenpartei hält das dahinter stehende politische Konzept jedoch für halbgar.
18.11.2011
Von Christiane Schulzki-Haddouti

Als vergangene Woche erste Details der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und CDU an die Öffentlichkeit sickerten, war die Berliner Piratenpartei überrascht: Die neue Landesregierung will demnach "künftig die Netzpolitik neben der Medienpolitik zu einer eigenständigen Säule entwickeln und in einem Ressort abbilden". In der deutschen Politik gibt es damit erstmals in einer Regierung einen zentralen Anlaufpunkt für netzpolitische Themen. Bislang waren alle Ressorts irgendwie dafür zuständig.

Mit einem solchen Vorgehen hatte ausgerechnet die Piratenpartei nicht gerechnet, die sich im Berliner Wahlkampf am prominentesten für die Themen eingesetzt hatte. Gestern Nachmittag arbeitete sie gerade noch an der Fertigstellung ihres Antrags für einen Ausschuss "Bürgerbeteiligung, digitale Verwaltung und Transparenz" im neuen Landtag.

"Lobenswerter Ansatz"

In einer ersten Stellungnahme sagte Martin Delius, parlamentarischer Geschäftsführer der Piratenpartei, ein eigenes Ressort Netzpolitik sei ein "lobenswerter Ansatz". Doch Netzpolitik sei ein Querschnittsthema, dessen Aspekte alle möglichen Themen beträfen. So beträfen etwa Jugendschutzmaßnahmen in Bildungsreinrichtungen vor allem das Bildungsressort, offene Standards in der Verwaltung sei hingegen ein Thema für die gesamte Verwaltung. Delius: "Das neue Ressort muss daher vor allem den Wissenstransfer in die anderen Ressorts managen."

Inzwischen sieht Delius die Entwicklung positiver, da "uns der zukünftige Senat so doch einen eigenen Angriffspunkt bietet". Und er pflückt die im Koalitionsvertrag genannten netzpolitischen Anliegen der SPD-CDU-Koalition gleich auseinander. Zur Netzpolitik gehören nach Vorstellung der neuen Regierung ein modernes Urheberrecht, Netzneutralität, Open Data sowie eine Digitalisierungsstrategie für die Stadt.

Die rot-schwarze Landesregierung will unter anderem die unter Rot-Rot im Sand versickerten Pläne für einen drahtlosen Internetzugang für Bürger wiederbeleben. So soll "ein freies und gebührenfreies WLAN an zentralen Orten der Stadt" gestartet werden. Von einem stadtweiten, frei zugänglichen Funknetz ist allerdings keine Rede mehr. Viel mehr sollen bestehende oder individuelle WLANs ausgeweitet werden. Damit Betreiber keine Angst haben, dass Surfer die freien Zugangspunkte nutzen, um sich Raubkopien allerlei Art aus dem Netz zu laden, will sich das Land auf Bundesebene für eine Änderung der Betreiberhaftung einsetzen. Außerdem will man den Ausbau des Glasfasernetzes mit privaten Betreibern voranbringen.

Freies WLAN vorgesehen

Für Martin Delius ist das zu kurz gesprungen: Statt die Menschen in der Stadt etwa mit einer dezentralen Freifunk-Technologie dazu befähigen, selbst den Netzausbau voranzutreiben, werde der Glasfaserausbau mit privaten Partnern präferiert. Die Regierung verkenne damit das gegenwärtige Problem völlig. Es bestehe darin, dass die Telekom die hochmodernen Glasfasern heute nicht nutzen könne, da sie die Menge an gleichzeitigen Zugriffen auf das Netz nicht bewältigen könne.

Auch bei Thema Open Data greifen die Pläne nach Auffassung von Delius zu kurz: So will die Koalition eine "weitgehende Offenlegung von öffentlichen Daten" wie der Geoinformationsdaten "unter Wahrung des persönlichen Datenschutzes" prüfen. Delius sieht hier einen Widerspruch zu der Open-Data-Initiative des Landes, die weiterhin unterstützt werden soll.

Berlin hatte als erstes Land Anfang des Jahres einen App-Wettbewerb durchgeführt, für den Programmierer freigegebene Behördendaten für die Entwicklung neuer Anwendungen nutzen konnten. Begleitet wurde dies von der Freigabe einiger städtischer Datensätze. Ein Ausbau der Initiative erfordere allerdings, so Delius, "eine generelle Offenlegung von staatlich finanzierten Daten und die Abkehr vom Geschäftsmodelle öffentlicher Daten." Eventuell spiegelt sich hier auch das Dilemma der SPD wieder, die das Thema voranbringen möchte, aber mit einem Koalitionspartner arbeiten muss, der hierzu noch keine eigene Position entwickelt hat. Delius: "Ich unterstelle der Koalition, dass sie sich völlig unzureichend mit dem Themen der Netzpolitik und deren direkte Bedeutung für Berlin beschäftigt hat." Man arbeite mit Schlagworten, die in der Regel auf Bundesebene verabschiedet werden. Für Berlin fehle eine netzpolitische Gesamtstrategie.

Domain berlin.de soll ausgebaut werden

Das Land will außerdem die Domain berlin.de als zentrale Plattform des Landes ausbauen. Zudem unterstützt es die Einrichtung der neuen Top-Level-Domain ".berlin". Delius zeigt sich enttäuscht darüber, dass sich die Vorstellungen der Koalition von einer bürgerfreundlichen Stadt mit digitalen Schnittstellen zur Stadt und zu ihren Bewohnern "offensichtlich auf eine kommerziell vertriebene Webseite und eine eigene Domain beschränkt". Delius: "Von der Klärung wichtiger Fragen wie der Verwendung offener Lizenzen für die Werke der Stadt, offener Formate und freier Software für einen freieren und kostenlosen Zugang zu Behördenabläufen fehlt jede Spur."

Markus Beckedahl, Vorsitzender des Berliner Netzpolitik-Vereins "Digitale Gesellschaft" zeigt sich von dem Koalitionsvertrag hingegen positiv überrascht. Das Kapitel "Fortschrittliche Netzpolitik" im Koalitionsvertrag klinge "vernünftig". Allerdings vermisst Beckedahl beim Thema Innere Sicherheit den Abbau von Überwachungsmaßnahmen. Die Koalition lehnt zwar "eine flächendeckende Videoüberwachung von Straßen und Plätzen wie in einigen anderen 25 europäischen Großstädten" ab. Demgegenüber kündigte sie an, sich bei der Deutschen Bahn dafür einzusetzen, "dass die Videoüberwachung auf den Anlagen der S-Bahn ausgebaut wird."


Christiane Schulzki-Haddouti lebt und arbeitet als freie Journalistin in Bonn.