Präses Buß: Nach Ursachen des Rechtsextremismus fragen

Präses Buß: Nach Ursachen des Rechtsextremismus fragen
Nach Ansicht von Präses Alfred Buß reicht es nicht aus, rechtsextreme Gewalt durch Polizei und Verfassungsschutz zu bekämpfen. Nötig sei auch eine Untersuchung der Ursachen, so der leitende Theologe der Evangelischen Kirche von Westfalen mit Blick auf den neuen Rechtsterrorismus. Einen neuen Vorstoß für ein Verbot der NPD beurteilt Buß skeptisch.
15.11.2011
Die Fragen stellten Holger Spierig und Ingo Lehnick

Ist die Gewaltbereitschaft von Rechtsextremisten unterschätzt worden?

Buß: Zweifelsohne. Es ist schon seltsam, dass eine Gruppe, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, in unserem Staat über Jahre hinweg solche Verbrechen begehen konnte, ohne dass dies bemerkt wurde. Wäre das in der linken oder muslimischen Szene passiert, hätte es einen Aufschrei gegeben. Rechtsextremismus wächst vor allem im Osten Deutschlands. Die Schwäche der Kirche und anderer zivilgesellschaftlicher Gruppen ist dort ein Vorteil für die Neonazis: Sie bauen nicht nur Terrornetze, sondern auch soziale Netzwerke auf, machen sich für alte Menschen und Kinder stark. In der DDR war die Partei alles. Nachdem ihre Organisationen weg waren, sind Rechtsextreme in die Lücken gestoßen.

Politik und Gesellschaft äußern jetzt Betroffenheit. Was ist darüber hinaus nötig?

Buß: Wenn es eine Gewaltszene gibt, die Terrornetzwerke aufbaut, muss das präventiv aufgedeckt und mit den Mitteln des Rechtsstaates verfolgt werden. Mit polizeilichen Maßnahmen allein ist es jedoch nicht getan. Wir müssen auch nach den Ursachen fragen. Hintergrund der kriminellen Gewalt ist auch eine weniger stark ausgeprägte Zivilgesellschaft im Osten Deutschlands, die Abwanderung von Jugendlichen sorgt für Frust, es gibt viele Zukunftsängste. Auch wir als Kirche sind jetzt gefragt: Wenn wir Rechtsradikale aus ihrer Szene herausbekommen wollen, müssen wir sie auch als Menschen wahrnehmen und uns für sie interessieren. Die Parole "Nazis raus" ist keine Lösung - wo sollen sie denn hin?

Debattiert wird erneut über ein mögliches Verbot der rechtsextremen NPD. Was halten Sie davon?

Buß: Die braune Ideologie hat in Deutschland schon aufgrund unserer Vergangenheit nichts zu suchen. Schon deshalb sollten rechtsextreme Gruppierungen am Ende verboten werden. Wir müssen aber sehen, dass der erste Verbotsversuch vor Jahren gescheitert ist, weil die rechtsradikale Szene stark mit V-Männern durchsetzt war. Zunächst muss also aufgearbeitet werden, welche Verquickungen es zwischen der rechtsextremen Szene und dem Verfassungsschutz gibt.

epd