Mindestlohn sorgt für Zündstoff bei "Tacheles"

Mindestlohn sorgt für Zündstoff bei "Tacheles"
In Hannover wurde wieder "Tacheles" geredet. In der gleichnamigen evangelischen Talkshow. Dieses Mal war das Thema der Fernsehdiskussion der "Streit um den Sozialstaat: Ist sich jeder selbst der Nächste?". Als Gäste waren eingeladen: der Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsen Jochen Bohl, der ver.di-Gewerkschaftsvorsitzende Frank Bsirske, die Bundesvorsitzende der Jungen Unternehmer Marie-Christine Ostermann und Lasse Becker, der Vorsitzende der Jungen Liberalen. Was als ruhige Gesprächsrunde am Sonntag auf Phoenix begann, entwickelte sich zu einer teilweise lautstarken Diskussion.
06.11.2011
Von Rosa Legatis

Gelassene Gemüter zeigten die Gäste von Moderator Jan Dieckmann noch als es um die Ist-Situation von armen und reichen Menschen in Deutschland ging. So unterstützte Lasse Becker von den Jungen Liberalen die Aussage von Sachsens Landesbischof Jochen Bohl, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander gehe. Und die Vorsitzende der Jungen Unternehmer, Marie-Christine Ostermann, betonte, dass sie nicht mittragen könne, dass die Gewinne der Banken privatisiert und die Verluste sozialisiert werden. Als politischen Fehler sah Frank Bsirske, ver.di-Gewerkschaftsführer und Mitglied der Grünen, heute die Hartz IV-Reform.

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Thema sorgt für hitzige Diskussion

Doch schon die Debatte um eine mögliche Erhöhung der Erbschaftssteuer sorgte für erste erhitzte Gemüter in der Talkshow. So wandte die Unternehmerin Ostermann ein: "Ich rede mit vielen jungen Menschen, die vor der Aufgabe stehen, ein Unternehmen zu übernehmen, da sind viele Ängste da."

So zum Beispiel vor der Verantwortung für Mitarbeiter und dem finanziellen Risiko. Eine hohe Erbschaftsteuer könnte dafür sorgen, dass weniger Firmenerben den Nachlass ihrer Eltern antreten würden. Die Behauptung, eine höhere Erbschaftssteuer "bringt Betriebe um ihre Existenz" sah hingegen Gewerkschaftschef Bsirske als "Humbug" an.

Der Mindestlohn sorgte für weiteren Zündstoff in der Runde. So warfen sich im Verlauf der Diskussion Frank Bsirske, Lasse Becker und Marie-Christine Ostermann gegenseitig vor, realitätsfern zu sein. Unter ging dabei der Einwand von Sachsens Landesbischof Bohl: "In mancher Branche wird es ohne Mindestlohn nicht gehen". Das Problem sei, die angemessene Höhe zu finden. "Wenn der Mindestlohn zu niedrig ist, hilft er niemandem. Wenn er zu hoch ist, ist die Gefahr, dass Arbeitsplätze vernichtet werden," so Bohl.

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Die Bundesvorsitzende der Jungen Unternehmer befürchtete, dass mit dem Mindestlohn vor allem die keinen Job mehr finden, die keine oder nur eine schlechte Ausbildung haben. "Jeder soll einen ausreichenden Betrag zum Leben haben", betonte Lasse Becker.

Aber auch er schloss sich der Meinung von Marie-Christine Ostermann an. Wobei der ver.di-Chef in der Diskussion einwarf, dass laut einer Studie die Einführung des Mindestlohns in England weder negativ noch positiv signifikante Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt gehabt hätten – vielmehr sei er eine "moralische Komponente".

Kirche verschafft sich "Wettbewerbsvorteil"

Auch ein Thema war in der "Tacheles"-Diskussion das Arbeits- und Entlohnungssystem der Kirchen, der so genannte "dritte Weg". Laut Bsirske verschaffen diese sich einen Wettbewerbsvorteil, indem die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen der Mitarbeiter schlechter sind als die der Konkurrenz. Und prangert an, dass "es kein Recht auf Tarifverträge, kein Recht auf Streik bei ihren Wirtschaftsunternehmen" gebe. Die Diakonie sei kein Wirtschaftsunternehmen, widersprach Sachsens Landesbischof Bohl: "Wir haben nicht vor, Vermögen zu erwirtschaften, es gibt überall das Gebot der zeitnahen Mittelverwendung."

Am Ende waren sich die Gäste der "Tacheles"-Runde nicht näher gekommen. Die derzeitige Staffel hat das Motto "Deutschland 2020 - nach welchen Werten wollen wir leben?". Eine Wiederholung der Sendung ist am 6. November um 24 Uhr auf Phoenix zu sehen. Die Talkshow "Tacheles" wird getragen von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der hannoverschen Landeskirche und der Klosterkammer Hannover.


Rosa Legatis ist freie Mitarbeiterin von evangelisch.de in Hannover.