Tote Frühchen in Bremen: Gab es Informationspannen?

Tote Frühchen in Bremen: Gab es Informationspannen?
Drei frühgeborene Babys von nicht einmal 1.000 Gramm Gewicht sterben auf einer Bremer Intensivstation an einem resistenten Keim. Während Experten nach der Quelle suchen, rückt die Frage in den Vordergrund: Flossen alle Informationen rechtzeitig an die richtigen Stellen?
04.11.2011
Von Sönke Möhl

Der Schock über den Tod von drei winzigen frühgeborenen Babys sitzt tief. Krankenhausleitung und Behörden suchen nach der Infektion im Bremer Klinikum Mitte ebenso ratlos wie fieberhaft nach der Quelle des multiresistenten Bakteriums. Gleichzeitig entbrennt eine Debatte über die Frage, ob es Informationspannen gegeben hat.

Hygiene-Vorschriften sollen geprüft werden

Das Bundesgesundheitsministerium will die Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes nochmals auf den Prüfstand stellen. "Wir werden uns eng mit der Landesregierung und den Bremer Behörden abstimmen, um möglichst rasch Schlussfolgerungen aus dem aktuellen Vorfall zu ziehen", sagte die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Ulrike Flach, der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Freitagausgabe). "Sofern sich Schutzlücken im Gesetz zeigen, werden wir nachsteuern", sagte Flach. Nach Aussage der Staatssekretärin wird die Hygiene in Krankenhäusern in den Bundesländern sehr unterschiedlich gehandhabt. "Es bestehen nach wie vor Defizite im Vollzug der Vorschriften vor Ort."

Weil Infektionen bei Frühgeborenen nach Angaben der Ärztlichen Klinik-Geschäftsführerin, Brigitte Kuss, kaum zu verhindern sind, gingen die Ärzte nach ersten Fällen Ende Juli und Anfang August nach bestehenden Hygiene- und Behandlungsstandards vor. Ein Baby starb am 8. August, doch dann schienen die Maßnahmen zu greifen. Die Lage entspannte sich, bis sich das Bakterium plötzlich erneut ausbreitete. Am 7. September informierte die Klinik nach Angaben von Sprecherin Karen Matiszick das Gesundheitsamt. Am 16. und 27. Oktober starben zwei weitere Frühchen. Nachgewiesen wurde der Keim bei insgesamt 15 Neugeborenen auf der spezialisierten Intensivstation, sieben von ihnen erkrankten an einer Sepsis. Den vier Überlebenden geht es inzwischen besser.

Bremer Senatorin will Informationspanne aufklären

Dass sich die Klinikleitung und die Gesundheitsbehörde erst am Mittwoch entschlossen, die Öffentlichkeit zu informieren, sorgt für Aufregung. Politiker rufen nach Aufklärung und Konsequenzen. Die zuständige Gesundheitssenatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD) bemängelte im Verwaltungsausschuss der Bürgerschaft, dass sie erst am Montag von dem Fall erfahren habe - und kündigte Konsequenzen an. Medienberichten zufolge meinte die Senatorin damit die Klinikleitung.

Offensichtlich muss sie aber im eigenen Haus suchen. Mit der Zeitspanne vom 7. September bis zur Information durch das Gesundheitsamt sei sie nicht einverstanden: "Ich finde, dass man zu einer anderen Einschätzung kommen kann." Jürgens-Pieper vermied am Donnerstag jedoch scharfe öffentliche Kritik. Es gehe jetzt in erster Linie darum, die Quelle der Infektion zu finden und auszuschalten.

Fachlich nahm ihr Abteilungsleiter Gesundheit, Matthias Gruhl, das Gesundheitsamt und die Klinik in Schutz. Das dreiköpfige Krisenteam des Robert-Koch-Instituts (RKI) habe bestätigt, dass die Reaktionen auf die Infektionen richtig gewesen seien. Jürgens-Pieper: "Es sind die Maßnahmen ergriffen worden, die zu ergreifen waren."

Expertenbericht frühestens Mitte November

Nach Angaben der ärztlichen Klinikleiterin Kuss sterben mehr als 50 Prozent der Frühchen mit so geringem Gewicht. "Das ist Medizin an der Grenze des Lebens." Ohne Intensivmedizin hätte keines dieser Babys eine Überlebenschance. Infektionen bei den Winzlingen, deren Immunsystem noch nicht leistungsfähig ist, seien kaum zu vermeiden.

Warum ist der Bremer Fall besonders schwerwiegend? Drei unterschiedliche Bakterien hätten die Mediziner nicht so ratlos gemacht. Aber es handelt sich in allen Fällen um exakt die gleiche Mutation. Dass heißt, es gibt eine nicht erkannte Quelle, die auch durch alle ergriffenen Hygienemaßnahmen nicht ausgeschaltet werden konnte. Konsequenz: Weitere Fälle sind möglich. Die Quelle können auch Menschen sein, die mit den Neugeborenen umgehen, obwohl alle bisherigen Tests beim Personal negativ verlaufen seien.

Die Lösung des Problems erhoffen sich die Verantwortlichen von den Experten des RKI. Diese verfügen über große Erfahrung und werden immer dann zur Hilfe gerufen, wenn betroffene Einrichtungen nicht mehr weiter wissen. Ihr Bericht werde aber erst Mitte bis Ende November vorliegen, sagte Gesundheitssenatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD) am Donnerstag. Sie selbst habe erst vor zwei Tagen von den Todesfällen erfahren.

Ermittler wollen Krankenakten der Frühchen prüfen

Die Vorfälle riefen auch die Bremer Staatsanwaltschaft auf den Plan. Der Sprecher der Behörde, Frank Passade, bestätigte, die Ermittler hätten erst am Mittwoch durch Medienberichte davon erfahren. Ermittelt werde wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung und Körperverletzung.

Die Staatsanwaltschaft will in den Ermittlungen um den Tod von drei Frühgeborenen in Bremen zunächst die Krankenakten der infizierten Kinder prüfen. Für die Auswertung werden die Ermittler medizinische Sachverständige hinzuziehen, wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft am Freitag sagte. "Ob dann noch Zeugen gehört werden, wird man im weiteren Verlauf sehen."

dpa