Die Presse-Großhändler haben vor dem Bundesgerichtshof (BGH) eine schwere Niederlage einstecken müssen. Der Kartellsenat entschied am Montag in Karlsruhe, dass die Grossisten kein Anrecht darauf hätten, von Verlagen beliefert zu werden (KZR 7/19). Der Vorsitzende Richter und BGH-Präsident Klaus Tolksdorf legte jedoch Wert auf die Feststellung, dass nur in dem Einzelfall Bauer Media Group entschieden worden sei. Das traditionsreiche Grosso-System werde damit aktuell nicht infrage gestellt.
Die Bauer Media Group feierte das Urteil als Stärkung der Pressevertriebsfreiheit in Deutschland. Der unterlegene Kläger, Grossist Heinz-Ulrich Grade aus Elmshorn, zeigte sich dagegen schockiert. Der Bundesgerichtshof folge mit seiner Entscheidung der Scheibchenpolitik, mit der die Großverlage die Großhändler schwächen wollten.
"Die Verlage können jetzt mit der Androhung von Kündigungen enormen Druck auf die Grossisten ausüben, in ihrem Sinne zu handeln und damit das Neutralitätsgebot zu verletzen", sagte Grade. Zudem könnten die Verlage die zurzeit rund 70 Grossisten zu Fusionen zwingen, wie dies bei seinem Unternehmen geschehen sei. "Meinen Großhandel wird es im kommenden Jahr nicht mehr geben", sagte Grade.
Keine Pflicht zur Belieferung unabhängiger Grossisten
In dem seit Jahrzehnten bestehenden System haben sich die Großhändler Deutschland aufgeteilt und agieren in ihrer Region als Monopolisten. Sie verhandeln gemeinsam mit allen Verlagen über feste Vertriebspreise. Damit wird garantiert, dass nur über sie Produkte kleiner wie großer Anbieter zu den gleichen Konditionen auch in die entlegensten der 120.000 deutschen Verkaufsstellen geliefert werden. "Diese Netzneutralität, die die Politik bei Strom und Gas seit Jahren umzusetzen versucht, wird beim Pressevertrieb gerade zerschlagen", sagte Grade.
Tolksdorf ließ bei der Urteilsverkündung mehrfach seine Anerkennung für dieses System durchblicken. Aber die Rechtslage lasse keine andere Entscheidung zu. Die Grossisten könnten nur auf eine gemeinsame Erklärung aus dem Jahr 2004 verweisen, die damals auf Druck des Bundeswirtschaftsministeriums unterzeichnet worden war. Darin hatten sich etliche Großverlage freiwillig zum Grosso-Vertriebssystem bekannt - die Bauer Media Group war jedoch nicht darunter.
Es stelle auch keine unbillige Behinderung von Grade dar, dass Bauer den Vertrieb seiner Presseerzeugnisse übernimmt. Dies stehe dem Verlag grundsätzlich frei, lautete die Begründung. Auch aus Gründen der Pressefreiheit oder Pressevielfalt bestehe keine Pflicht zur Belieferung der unabhängigen Grossisten, erklärte Gerichtspräsident Tolkfsdorf weiter.
Die Befürchtungen der Großhändler kann Tolksdorf in der aktuellen Situation nicht teilen. Grossist Heinz-Ulrich Grade verfüge weiterhin über ein breites Sortiment und damit "über eine hervorragende Stellung in der Region". Zudem bleibe es der Politik unbenommen, die von ihr offensichtlich als vorbildlich angesehenen Regelungen des Presse-Grosso in Gesetzesform zu gießen.
Grünen werten Urteil als Angriff auf Pressefreiheit
Das sieht der Bundesverband Presse-Grosso allerdings nur als letzten Ausweg. Er bemüht sich weiterhin um eine einvernehmliche Lösung mit den Auftraggebern. In den vergangenen Monaten seien mit fast allen Verlagen langfristige Vereinbarungen getroffen worden, erklärte Verbandsvorsitzender Frank Nolte am Montag. Auch mit dem Bauerverlag werde das Gespräch gesucht.
Das ist auch dringend nötig, denn die Grossisten und Bauer stehen sich noch in einem weiteren Verfahren gegenüber. Das Kölner Landgericht verhandelt darüber, ob die Monopolstellung der Grossisten mit dem Kartellrecht vereinbar ist. Bauer will erreichen, dass er künftig mit jedem einzelnen Grossisten verhandeln kann. Das würde das Ende des bestehenden Grosso-Systems bedeuten, ist Nolte überzeugt. Das könne auch Bauer nicht wollen. Deshalb hofft er, dass er den Verlag noch dazu bewegen kann, die Klage zurückzuziehen.
Die medienpolitische Sprecherin der Grünen, Tabea Rößner, wertete das Urteil als Angriff auf die Pressevielfalt, die mit dem Grosso-System gewährleistet werde. "Dass die großen Verlage seit Jahren immer wieder versuchen, mit allen möglichen Tricks dort auszusteigen, ist eine Frechheit." Sie stellten das gesamte System infrage, nur um für ihre Produkte einen besseren Platz im Verkaufsregal zu bekommen.