Libyen: Gaddafi "in der Wüste" beerdigt

Libyen: Gaddafi "in der Wüste" beerdigt
Erst stellte der Übergangsrat den toten Gaddafi tagelang zur Schau. Nun ist der Leichnam an einem geheimen Ort in der Wüste beerdigt worden. Eine Explosion mit Dutzenden Toten in Sirte zeigt, dass die neuen Machthaber die Situation noch nicht unter Kontrolle haben.

Der frühere libysche Machthaber Muammar al-Gaddafi ist an einem geheimen Ort in der Wüste begraben worden. Arabische Nachrichtensender berichteten, Vertreter des Übergangsrates aus der Stadt Misrata hätten zusammen mit Gaddafi in der Nacht zum Dienstag auch dessen Sohn Mutassim und den früheren Verteidigungsminister Abu Bakr Junis beerdigt. Die Nachricht von der Beisetzung Gaddafis wurde von einer tödlichen Explosion in Gaddafis Heimatstadt Sirte überschattet. Es handelte sich nach ersten Erkenntnissen um einen Unfall und nicht um einen Anschlag.

In der Küstenstadt kamen am Dienstag Dutzende von Menschen ums Leben, als Autofahrer auf einem Gelände der staatlichen Öl-Gesellschaft Benzin in ihre Tanks abfüllen wollten. Augenzeugen sprachen von einem Unfall, wahrscheinlich habe in dem Gedränge ein Kurzschluss oder ein Funken einen großen Benzintank in Brand gesetzt. Der Nachrichtensender Al-Arabija sprach von bis zu 100 Toten und zahlreichen Verletzten.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kritisierte derweil, die zurückgelassenen Waffen der Gaddafi-Truppen in der Region rund um die Stadt Sirte seien nicht rasch genug von den neuen Machthabern sichergestellt worden. In den vergangenen Tagen hätten sich Plünderer bereits eine große Zahl von Schusswaffen angeeignet. Große Waffenlager in der Wüste seien gänzlich unbewacht.

Die Leiche des Diktators war vor der Bestattung von den Revolutionstruppen in der Stadt Misrata mehrere Tage lang gezeigt worden. Gaddafi war am vergangenen Donnerstag in seiner Heimatstadt Sirte verletzt und kurz darauf unter bislang noch nicht vollständig geklärten Umständen getötet worden. Westliche Diplomaten und Menschenrechtsorganisationen hatten in den vergangenen Tagen an den Übergangsrat appelliert, genau festzustellen, wie Gaddafi ums Leben kam. Die libysche Führung sicherte dies zu, nachdem sie dieser Frage selbst zunächst keine allzu große Bedeutung beigemessen hatte.

Übergangsrat soll Massaker an Gaddafi-Anhängern untersuchen

Die Milizen des Übergangsrates geraten unterdessen zunehmend ins Zwielicht. Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch fanden Anhaltspunkte für ein Massaker unter 53 Gaddafi-Anhängern in Sirte. Das wäre das schwerste Kriegsverbrechen der neuen Machthaber.

Bei einigen der Toten waren die Arme mit Plastikbändern hinter dem Rücken zusammengebunden, hieß es in dem Bericht, den die Organisation am Montag veröffentlichte. Mit Hilfe von Bewohnern der Umgebung konnten einige der Männer als örtliche Gaddafi-Kader und -Anhänger identifiziert werden.

Human Rights Watch forderte den Übergangsrat auf, "eine unverzügliche und transparente Untersuchung der offensichtlichen Massenhinrichtung einzuleiten und die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen". Die Leichen lagen auf einem Grundstück nahe einem Hotel, das zum Zeitpunkt des Todes der Männer von Anti-Gaddafi-Kämpfern kontrolliert worden war. Die Blutspuren, Einschüsse im Grasboden und die Verteilung der Geschosshülsen deuteten darauf hin, dass die meisten Opfer gemeinsam an dieser Stelle erschossen worden seien, hieß es in dem Bericht.

Sollte sich die Massenerschießung eindeutig Anti-Gaddafi-Milizen zuschreiben lassen, wäre dies das schwerste Kriegsverbrechen, das diese in ihrem acht Monate währenden Kampf gegen das Regime begangen haben. Bislang wurden vor allem Übergriffe gegen Gaddafi-Anhänger wie willkürliche Verhaftungen und Misshandlungen bekannt. Außerdem wurden mancherorts Dorfbewohner vertrieben, weil sie der Sympathien für Gaddafi verdächtigt wurden.

Der Vorsitzende des Übergangsrates, Mustafa Abdul Dschalil, gerät damit bereits am ersten Arbeitstag nach dem Neubeginn in Libyen weiter unter Druck. Weil die Vorwürfe einer gezielten Tötung Gaddafis nicht verstummen wollen, kündigte Dschalil eine seit Tagen geforderte Untersuchung an.

Nato rechtfertigt Angriff: "Potenzielle Bedrohung der Zivilbevölkerung"

"Alle Libyer brannten darauf, Gaddafi wegen seiner Verbrechen vor Gericht zu sehen", erklärte Dschalil auf einer Pressekonferenz in Bengasi. "Die Libyer wollten ihn im Gefängnis und gedemütigt sehen", fügte er hinzu. Am Tag zuvor hatte der führende Politiker der Nach-Gaddafi-Ordnung das Land für befreit erklärt. Darüber hinaus hatte er zu Toleranz und Respekt sowie zur Einhaltung von Menschenrechten und Rechtstaatlichkeit aufgerufen. Die neuen Machthaber wollen sich außerdem an der islamischen Rechtsprechung Scharia orientieren.

Die Nato sieht das Ziel ihres Militäreinsatzes in Libyen erreicht. Alle Gebiete Libyens seien heute unter Kontrolle des Nationalen Übergangsrates, sagte der Kommandeur des Einsatzes, der kanadische General Charles Bouchard, am Montag in seinem Hauptquartier in Neaple. "Die Gefahr organisierter Angriffe von Resten des Gaddafi-Regimes ist vorbei."

Zugleich verteidigte Bouchard den Angriff auf einen Konvoi von 175 Fahrzeugen, mit dem Gaddafi am Donnerstag versucht hatte, aus Sirte zu flüchten. "Wir hatten die Befürchtung, dass die Kämpfer aus Sirte sich mit Resten der Kämpfer aus Bani Walid zusammenschließen und dann Zivilisten in einer Stadt als Geiseln nehmen könnten", berichtete Bouchard. "Wir haben daher beschlossen, den Konvoi aufzubrechen und in kontrollierbare Teile aufzuspalten. Wir haben unsere Waffensysteme zweimal auf den Konvoi gerichtet und dieses Ziel erreicht." Auf einigen Pickup-Fahrzeugen hätten sich Raketen und Maschinengewehre befunden: "In unserer Einschätzung war das eine eindeutige potenzielle Bedrohung der Zivilbevölkerung."

dpa