Islamisten steuern auf Wahlsieg in Tunesien zu

Islamisten steuern auf Wahlsieg in Tunesien zu
Bei den ersten freien Wahlen in Tunesien seit der Unabhängigkeit zeichnet sich ein Wahlsieg der gemäßigt islamistischen Ennahda-Partei ab. Das vorläufige Endergebnis der tunesischen Wahlen vom Sonntag soll Montagabend vorliegen. Die OSZE lobt den Wahlverlauf.

Das vorläufige Endergebnis der ersten freien Wahlen in Tunesien soll voraussichtlich heute Abend feststehen. Schon jetzt zeichnet sich aber ein deutlicher Wahlerfolg der islamistischen Ennahdha-Bewegung ab. In den bereits ausgezählten Wahlkreisen liege die Partei mit einem Stimmanteil zwischen 25 und 50 Prozent weit vorn, sagte ein Mitglied der Ennahdha-Führung am Montag der Nachrichtenagentur dpa. Eine Sprecherin der sozialdemokratischen PDP bestätigte den Trend. Die Partei lag in Wahlumfragen auf Platz zwei.

Liberale Tunesier befürchten Fundamentalismus

Liberale Tunesier fürchten im Falle einer islamistischen Regierung einen für sie dramatischen Wandel des Landes - bis hin zu Kopftuchzwang und Alkoholverbot. Die Ausrichtung der Islamisten bleibt in vielen Bereichen unklar. Im Wahlkampf verkaufte sich die Ennahdha-Bewegung als moderne Partei nach dem Vorbild der türkischen AKP.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) lobte den Wahlverlauf. "In dieser frühen Phase des demokratischen Übergangs - nur Monate nach gewalttätigen Protesten - haben wir wahre frei Wahlen gesehen", sagte der Leiter der OSZE-Wahlbeobachter im Land, Riccardo Migliori, am Montag laut Mitteilung. 75 OSZE-Wahlbeobachter aus 21 Ländern hatten die Abstimmung im Vorfeld und am Wahltag in mehreren tunesischen Städten unter die Lupe genommen.

Neun Monate nach dem Sturz von Langzeitherrscher Zine el Abidine Ben Ali waren rund sieben Millionen Wahlberechtigte aufgerufen, die 217 Mitglieder einer verfassungsgebenden Versammlung zu bestimmen. Diese soll einen neuen Übergangspräsidenten ernennen und ein Grundgesetz erarbeiten. Für die 217 Sitze in der Versammlung kandidierten insgesamt 11.618 Bewerber.

In Umfragen lag die Ennahdha von Islamistenführer Rachid Ghannouchi mit bis zu 30 Prozent der Stimmen klar vorn. Sie war unter Ben Ali verboten und ist in der Bevölkerung stark umstritten. Vor allem liberale Frauen fürchten eine Machtübernahme der Islamisten. Trotz der Einschränkungen vieler Bürgerrechte galt Tunesien unter Ben Ali als eines der fortschrittlichsten Länder in Nordafrika. In keinem anderen muslimischen Staat der Region haben Frauen so viele Rechte.

Bewährungsprobe für Revolutionsbewegung

Über die Wahlbeteiligung gab es zunächst nur ungenaue Informationen. Ein Mitarbeiter der Wahlkommission sagte, dass von den 4,1 Millionen registrierten Wahlberechtigten mehr als 90 Prozent abgestimmt hätten. Zudem gab es aber rund drei Millionen nichtregistrierte Wahlberechtigte. Sie durften ebenfalls in speziellen Wahllokalen ihre Stimme abgeben.

Nach Angaben von EU-Wahlbeobachtern verlief der historische Tag im großen und ganzen problemlos. "Es gab vereinzelte Unregelmäßigkeiten, aber das waren alles Dinge, die in keiner Weise dramatisch sind", sagte Delegationschef Michael Gahler. "Da lernt man daraus und macht es beim nächsten Mal besser."

Als nicht optimal bezeichnete der deutsche Europaabgeordnete die stundenlangen Wartezeiten vor den Wahlurnen. Die Menschen hätten aber mit viel Geduld reagiert, sagte Gahler. Es sei beeindruckend gewesen, wenn 50-jährige Männer stolz von der ersten Stimmabgabe in ihrem Leben berichtet hätten.

Sowohl in Tunesien als auch im Ausland wurde die Abstimmung als wichtige Bewährungsprobe für die Revolutionsbewegung in der ganzen arabischen Welt gewertet. Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Werner Hoyer (FDP) nannte die Wahlen einen "wahrhaft historischen Schritt". Jetzt sei es wichtig, dass sich die Wahlsieger verpflichtet fühlten, Demokratie, Rechtsstaat und die Wahrung der Menschenrechte zu verankern.

Im Januar hatten die Tunesier als erstes Volk in der Region erfolgreich gegen die autoritäre Herrschaft ihrer Führung rebelliert. Das seitdem auch die Ägypter und Libyer ihre Langzeitherrscher stürzten, gilt Tunesien als Mutterland des "arabischen Frühlings".

dpa