An diesem Samstag wurden die Karten in Malaysias großem Machtpoker neu gemischt. Himpunan Sejuta Umat – die "Versammlung der einen Million Muslime" - war als vorläufiger Höhepunkt einer seit der Parlamentswahl im März 2008 laufenden massiven Kampagne gegen Christen in Malaysia gedacht. Eine Million Teilnehmer war von Anfang an sehr hoch gegriffen. Aber die Veranstalter, eine Reihe ultrakonservativer islamische Organisationen, hatten schon damit gerechnet, die 80.000 Sitzplätze des Stadiums in Shah Alam zu füllen. Erschienen zu dem Protest gegen eine vorgeblich in Malaysia stattfindende Massenkonvertierung von Muslimen zu Christen waren am Samstag letztlich nur 5.000 Muslime.
Der Misserfolg von Himpunan hat mit überraschender Deutlichkeit die malaysische Politikrealität offenbart. Unterstützt wurde Himpunan von der malaiisch-nationalistisch-islamischen Partei Umno und ihren Medien. Die Umno ist Malaysias größte Regierungspartei und erklärte Sachwalterin der Vorrechte der ethnischen Malaien, die wiederum per Verfassung Muslime sind und den Islam nicht verlassen dürfen. Zusammen mit einer Reihe kleiner Parteien der anderen Ethnien Malaysias – Chinesen und Inder – bildet die Umno die Regierungskoalition Barisan Nasional (BN), die Malaysia seit der Unabhängigkeit vor mehr als fünf Jahrzehnten selbstherrlich regiert.
Auf der anderen Seite steht die Oppositionskoalition Pakatan Rakya (PR), der auch die islamische Partei PAS angehört, mit ihrem charismatischen Führer Anwar Ibrahim. Sowohl PR als auch PAS haben ihre Anhänger vor einer Teilnahme an Himpunan gewarnt. Einmal mehr hat offenbar die Opposition Herz und Verstand der Mehrheit der malaiischen Muslime erreicht. Wie schon damals im März 2008, als die Opposition Umno und BN an den Rand einer Niederlage gebracht hatte, zum ersten Mal seit mehr als fünf Jahrzehnten. Mit zwei zentralen Wahlversprechen punktete die Opposition: Gleichheit der Ethnien und Religionen sowie Kampf gegen die Korruption.
Umno versucht, Christen zu dämonisieren
Entscheidend für den Wahlerfolg bei Indern, Chinesen, Christen und liberalen Muslimen aber war die Abkehr der PAS von ihrem lange verfolgten Ziel eines islamischen Staates. Obwohl sich die PAS seither immer wieder deutlich für die Rechte von Christen und anderer Minderheitsreligionen in Malaysia einsetzt, muss sie bis zur nächsten Wahl jedoch noch einige Überzeugungsarbeit leisten. Die jüngst verkündete Absicht der PAS, im Föderationsstaat Kelantan für Muslime das islamische Strafrecht Hudud einzuführen wie auch die Unterstützung von Himpunan durch die mächtige Jugendorganisation der PAS, hat die Zweifel am säkular-demokratischen Kurs der PAS wiederbelebt.
Umno dagegen versucht seit der empfindlichen Wahlschlappe, mit zwei Schmierenkampagnen die konservativen muslimischen Malaien als ihre Wählerbasis zu umgarnen. Zum zweiten Mal seit 1999 soll der charismatische Oppositionsführer Anwar Ibrahim durch eine Verurteilung wegen angeblicher Homosexualität politisch kaltgestellt werden. Die andere Kampagne hat die Dämonisierung der Christen zum Ziel. Mit immer neuen Behauptungen versuchen Umno und BN mit Hilfe der von ihnen kontrollierten Medien (das sind alle Tageszeitungen und elektronischen Medien), den Malaysiern den Vorwurf der anti-islamischen Christenverschwörung glaubhaft zu machen.
Schon vor drei Jahren verbot Malaysias Innenministerium der katholischen Kirchenzeitschrift "Herald", in ihrer Ausgabe in der Landessprache "Gott" mit "Allah" zu übersetzen. Vor wenigen Monaten warnte die regierungsnahe malaiische Tageszeitung Utusan mit dicken Schlagzeilen vor einer angeblichen Verschwörung der Christen für einen Staatsstreich gegen den Islam als Malaysias vorherrschende Religion.
Premier Najib - der falsche Gesprächspartner für den Papst?
Im August dieses Jahres sorgte die malaiische Tageszeitung Sinar Harian mit einer "Enthüllungsgeschichte" über eine "christliche Bekehrungsbewegung", die durch "Förderung der Prostitution" und "Ermutigung zur freiem Sex" die "Zerstörung moralischer Werte durch wilde Aktivitäten" zum Ziel habe, für Aufregung. Im Frühjahr beschlagnahmten die Behörden mehr als 30.000 aus dem mehrheitlich muslimischen Nachbarland Indonesien.
Als Premierminister Najib Ende Juli in Rom mit Papst Benedikt XVI. die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Malaysia und dem Vatikan vereinbarte, warnten über 300 christliche Geistliche und Intellektuelle aller Konfessionen in einem offenen Brief vor Najib. Der Premierminister sei für das Anliegen des Papstes, den Dialog zwischen Christen und Muslimen zu fördern, nicht der richtige Partner. International präsentiere sich Najib als Regierungschef eines moderaten muslimischen, aus vielen Ethnien zusammengesetzten Landes. Zu Hause aber "manipulieren und mobilisieren" Najib und andere Regierungspolitiker "um des Machterhalts willen unverfroren die ethno-religiösen Vorurteile ".
Auch in ihrer Propaganda gegen die Oppositionsbewegung Bersih 2.0 für saubere und faire Wahlen spielte Malaysias Regierung die religiöse Karte: Bersih werde von christlichen und jüdischen Organisationen aus dem Ausland finanziert. Der Versuch blieb vergebens: Mehr als 50.000 Malaysier kamen am 9. Juli zur Bersih-Demonstration in Kuala Lumpur, obwohl sie verboten war und Polizei und Militär alle großen Zufahrtsstraßen zur malaysischen Hauptstadt abgesperrt hatten.
Malaysische Internetnutzer spotten über die Staatsdemo
Die Leser des unabhängigen Onlinemagazins Malaysiakini (dessen Webseite in politisch kritischen Situationen immer wieder von unbekannten Hackern lahmgelegt wird) kommentierten mit spannenden Analysen und beißendem Spott die Himpunan-Pleite. Ein Kgen zog den Vergleich zu Bersih. "5.000 Teilnehmer sind peinlich für eine von der Umno gebilligte und der Polizei beschützten friedlichen Demonstration. Trotz des Verbots, trotz der Androhung von Verhaftungen, Tränengas und Wasserwerfern [...] kamen zu Bersih 50.000." Ein Gerard Samuel Vijayan schreibt, die große Mehrheit der 62 Prozent Muslime sehe ihren Glauben weder durch Christen noch durch andere Nicht-Muslime bedroht. Für die meisten seien vielmehr Armut, Arbeitsplätze, Bildung, Korruption und Machtmissbrauch die großen Probleme.
Ein "Geschäftsmann" spottete über die Absicht von Najib, vermutlich für Anfang 2012 vorgezogene Neuwahlen anzusteuern: "Zu einer total von der Regierung sanktionierten Demonstration sind nur 5.000 Menschen erschienen. Wie wäre es, jetzt Neuwahlen auszurufen?" Die Angst vieler Malaysier vor der weiteren Schürung von Konflikten zwischen Ethnien und Religionen im Kampf um die Seele und die Zukunft Malaysias beschreibt der Nutzer "My THOR": "Rassisten, religiöse Extremisten und politische Opportunisten lauern mitten unter uns... in der Hoffnung, ohne Rücksicht auf die Folgen mit allen Mitteln die Oberhand zu gewinnen."
Michael Lenz arbeitet als Journalist in Südostasien und schreibt regelmäßig für evangelisch.de.