Gewaltsamer Bartraub in den USA

Gewaltsamer Bartraub in den USA
Die Täter kommen heimlich und schneiden ihren Opfern Bärte und Haare ab. In der kleinen Welt der Amischen in den USA ist so etwas noch nie passiert. Nun sind die Gläubigen in Aufruhr.
20.10.2011
Von Konrad Ege

Sie sind strikte Pazifisten, leben zurückgezogen und meiden den Staat und alles Moderne, vom Auto bis zum Fernsehapparat. Nun haben mehrere Attacken in der Amisch-Gemeinschaft in den USA für Unruhe gesorgt: Gläubige schnitten Mitbrüdern und -schwestern in den vergangenen Wochen gewaltsam Bärte und Haare ab. Laut Medienberichten wurden fünf Tatverdächtige festgenommen. Sie gehören angeblich einer autoritären amischen Splittergruppe in Bergholz im Bundesstaat Ohio an.

Schnipp schnapp - Haare ab

Bei einem Fall Anfang Oktober haben mehrere Täter den 45-jährigen amischen Bischof Myron Miller nachts aus seinem Haus in Mechanicstown (Ohio) gezerrt und ihm ein Stück seines Vollbarts abgeschnitten. Bereits Anfang September überfielen mehrere Personen das Ehepaar Barbara und Martin Miller in Mesopotamia (Ohio), schnitten der Frau mehrere Büschel Haare ab und dem Mann einen Teil seines Vollbarts. Der Polizei seien vier derartige Vorkommnisse bekannt, berichtete die Tageszeitung "New York Times".

Nach Angaben des "Young Zentrums zum Studium des Anabaptismus und des Pietismus" am Elizabethtown College im Bundesstaat Pennsylvania leben rund 260.000 Anhänger der Glaubensgemeinschaft in den USA. Sie haben ihre Wurzeln in den Wiedertäufern (Anabaptisten) im 16. Jahrhundert vor allem in der Schweiz und im Elsass. Wiedertäufer beharren auf Erwachsenentaufe und Gewaltlosigkeit sowie eine strikte Trennung von Kirche und Staat.

Die Bewegung der Wiedertäufer hat sich in Dutzende Kirchen und Gemeinschaften aufgespalten. Die Amischen sonderten sich bereits 1693 unter Führung des aus der Schweiz stammenden Predigers Jakob Ammann ab, nach dem sie benannt sind. Von Katholiken und Protestanten verfolgt, fand die Gruppe der Amischen schließlich ihren Weg nach Amerika. Sie leben auf dem Land, vor allem in Pennsylvania, Ohio und Indiana, und halten sich von der Welt fern.

Ein Leben fernab der modernen Welt

Das bedeutet gewöhnlich: keine Elektrizität, kein Telefon im Haus, keine Autos. Die Amischen lassen sich nicht fotografieren. Ihre Kinder schicken sie nur bis zur achten Klasse in die Schule. Sie haben keine Altersversicherung, die Gemeinschaft versorgt Bedürftige. Ihr Leben ist strikten Regeln unterworfen. Wer gegen die Ordnung der Gemeinschaft verstößt, wird geächtet und ausgeschlossen.

Alle verheirateten Männer tragen Vollbart mit rasierter Oberlippe, die Frauen hochgestecktes langes Haar. Dass mehrere Opfer der Bart- und Haareschneider mit der Polizei kooperieren, ist ungewöhnlich innerhalb der Glaubensgemeinschaft. Denn die Amischen gehen höchst ungern zur Polizei, "da dies ihrer religiösen Überzeugung der Gewaltlosigkeit" widerspreche, sagte der Religionswissenschaftler Donald Kraybill im Fernsehsender ABC.

Der überfallene Myron Miller und seine Ehefrau Arlene gaben einem örtlichen Fernsehsender sogar ein Interview. Sie hätten die Polizei eingeschaltet, damit nicht noch mehr Menschen terrorisiert werden, sagte Arlene Miller im Sender WKYC.

Tatverdächtige gehören zu den Amisch

Zwei festgenommene Verdächtige sind Söhne des amischen Bischofs Sam Mullet. In den Medien wird spekuliert, Mullet habe Amische bestrafen wollen, die sich ihm widersetzt hatten. Mullet sagte Reportern, die Attacken seien vollkommen in Ordnung, die Polizei solle sich nicht in religiöse Angelegenheiten einmischen. Er habe die Übergriffe aber nicht befohlen.

Die Zahl der Amischen in den USA habe sich zwischen 1991 und 2010 verdoppelt, berichtete das "Zentrum zum Studium des Anabaptismus und des Pietismus", obwohl die Amischen kaum missionierten. Amische hätten durchschnittlich fünf oder mehr Kinder. 85 Prozent der Kinder träten als Erwachsene der Kirche bei. Zuletzt stand die Glaubensbewegung nach dem Mord an fünf amischen Mädchen in Nickel Mines (Pennsylania) im Oktober 2006 im Licht der Öffentlichkeit. Damals sorgt es für Erstaunen, als Angehörige sagten, sie verziehen dem Täter.

epd