Die großen christlichen Kirchen in Deutschland sind nach dem Staat der größte Arbeitgeber in Deutschland: 1,3 Millionen Menschen sind bei ihnen beschäftigt, darunter rund 900.000 bei der kirchlichen Wohlfahrt. Bei den Kirchen werden Löhne und Gehälter nicht zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften ausgehandelt. Das Grundgesetz erlaubt den Kirchen vielmehr, einen tariflichen Sonderweg zu gehen - der Gewerkschaften und Streiks ausschließt.
LAG Hamm kippt Streikverbot - Revision eingelegt
Dieses Privileg der Kirchen ist unter "öffentlichen und rechtlichen Legitimationsdruck" geraten, wie die Hamburger Diakoniechefin Annegrethe Stoltenberg am Rande der Diakonischen Konferenz in Halle einräumte. Der Grund für das Glaubwürdigkeitsproblem der Kirche sind Lohndruck in kirchlichen Sozialunternehmen sowie eine schwere juristische Niederlage der evangelischen Kirche vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) in Hamm, das das absolute Streikverbot kippte.
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Kirchliche Sozialbetriebe praktizieren verschiedene Methoden, um im Wettbewerb die Lohnkosten zu senken. Einige Einrichtungen bezahlen nicht mehr die in überregionalen Gremien ausgehandelten Gehälter. Wie verbreitet die "Tarifflucht" ist, weiß allerdings niemand.
Evangelische Betriebe sind dazu übergegangen, Leiharbeiter zu beschäftigen. Das hat zwar der evangelische Kirchengerichtshof nur in engen Grenzen für zulässig erklärt, aber den diakonischen Verbänden fehlen oft die Möglichkeiten, wirkungsvoll gegen Mitgliedsunternehmen einzuschreiten. Genaue Zahlen zum Ausmaß der Leiharbeit bei der Kirche gibt es nicht.
Interne Umfrage zu Leiharbeit bringt keine Ergebnisse
Eine vor wenigen Monaten vom diakonischen Bundesverband gestartete Umfrage unter Mitgliedsunternehmen über Leiharbeit und Ausgliederung von Betriebsteilen brachte keine aussagekräftigen Ergebnisse. Vor allem Großeinrichtungen hätten sich auf Drängen des diakonischen Arbeitgeberverbandes VdDD und dem Diakonischen Werk Rheinland-Westfalen-Lippe geweigert, den Fragebogen auszufüllen, heißt es beim Verband.
Die Gewerkschaft ver.di beklagt, dass sich ein großer Teil der Diakonie von der früheren "Leitwährung", dem Tarif für den öffentlichen Dienst (TVöD), abgekoppelt habe. Nach den sogenannten Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes, also dem Kirchentarif, werden nach Angaben der Gewerkschaft die langjährig Beschäftigten deutlich schlechter bezahlt als ihre Kollegen im öffentlichen Dienst.
Pflegefachkräfte der Diakonie erhalten nach den von ver.di vorgelegten Zahlen ab dem 16. Berufsjahr 8,8 Prozent weniger Gehalt als ihre bei einem kommunalen Krankenhaus angestellten Kollegen. Bei den Erzieherinnen liegen die Tariflöhne noch weiter auseinander: Erzieherinnen städtischer Kindergärten verdienen laut ver.di ab dem 18. Berufsjahr 12,85 Prozent mehr als ihre Kolleginnen in evangelischen Kitas.
Gewerkschaften unerwünscht: Kirche regelt Arbeitsbedingungen selber
Fast alle Landeskirchen und ihre Diakonie verweigern den Gewerkschaften das Recht, die Interessen der Angestellten zu vertreten - sowohl in den Einrichtungen selbst als auch als Tarifpartner auf überregionaler Ebene. Dabei können sie sich auf das Grundgesetz berufen. Denn darin heißt es, dass die Kirchen ihre Angelegenheiten "selbst ordnen".
Sie können also die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung der Mitarbeiter nach ihren Regeln bestimmen. Dies geschieht in sogenannten Arbeitsrechtlichen Kommissionen. In diesen Gremien sind zwar gleich viele Arbeitnehmervertreter beteiligt wie Arbeitgebervertreter. Mitarbeitervertreter sind aber der Auffassung, dass von Parität trotzdem keine Rede sein kann. Denn in diesem Gremium sitzen sich häufig Profis aus den Personalabteilungen und ehrenamtlich tätige Arbeitnehmervertretern gegenüber - was die vielgerühmte Parität zur Farce mache.
Das sieht auch das LAG Hamm so. In seinem Urteil vom Januar lehnte das Gericht unter anderem wegen dieses Ungleichgewichts eine Klage von Kirche und Diakonie gegen einen Streikaufruf ab. Die Richter stellten damit das Streikverbot infrage. Das Bundesarbeitsgericht entscheidet im nächsten Jahr über die Revision. Nach diesem Urteil, darin sind sich die Beobachter einig, wird die unterlegene Partei das Bundesverfassungsgericht anrufen.