Auch die private Schuldenkrise drückt die Länder Europas

Auch die private Schuldenkrise drückt die Länder Europas
Alle reden von den Staatsschulden - doch auch private Miese verschärfen die internationale Krise. Auf der anderen Seite gibt es genügend Reichtum auf dieser Welt. Wie steht es um die finanzielle Balance?
11.10.2011
Von Hermannus Pfeiffer

Die Schulden-Lage ist kniffliger, als sie erscheint: In den vergangenen drei Jahrzehnten sind in den Industrieländern nicht nur die öffentlichen, sondern auch die privaten Schulden kräftig gestiegen. "Die Diskussion wird im Allgemeinen viel zu eng geführt", mahnt Andreas Mayert. Es gebe nur ein einziges Land, dessen aktuelle Krisensituation allein auf zu hohe Staatsschulden zurückgeführt werden könne: Griechenland.

In anderen Ländern bereiten Bankschulden oder die Verbindlichkeiten der Bürger weit größere Probleme. Mayert, der als Volkswirt am Sozialwissenschaftlichen Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland (SI)  arbeitet, fordert daher "eine Erweiterung der Diskussion".

"Die Finanzkrise ist von Privatschulden ausgelöst worden"

Daran hatte sich vor einem Jahr schon einmal der italienische Finanzminister und Rechtswissenschaftler Giulio Tremonti versucht. Er preschte mit seinem Plan vor, private Schulden bei der Euro-Diskussion zu berücksichtigen. Dem Mann stand politisch seinerzeit das Wasser bis zum Halse, trotzdem verdient sein Kernargument Beachtung: Die Finanzkrise sei von übergroßen Privatschulden ausgelöst worden.

Aus diesem Blickwinkel sei Italien durchaus solide aufgestellt, argumentierte Minister Tremonti. Zwar sei der italienische Staat mit 120 Prozent des BIP relativ hoch verschuldet, doch auf der Apenninhalbinsel seien die Schulden der privaten Haushalte mit 220 Prozent des BIP vergleichsweise niedrig - viel niedriger jedenfalls als in Ländern wie Irland (890 Prozent) oder Nicht-Euroland Großbritannien (460 Prozent).

Einfluss auf die Sparprogramme

Das Kalkül von Ministerpräsident Berlusconi lautetet damals: Wenn die anderen Mitgliedsländer zuließen, dass sich Italien auf die Klausel mit den Privatschulden beruft, könnten die italienischen Schatzminister künftig einschneidende Sparprogramme für einen Abbau des Schuldenberges vermeiden, Tremonti veröffentlichte dann in seinem mittelfristigen Finanzplan bis 2013 sogar erstmals Tabellen über öffentliche plus private Schulden der EU-Länder.

Nach dieser Statistik kommt Italien auf eine Gesamtsumme der Verschuldung von öffentlicher Hand, privaten Haushalten, Unternehmen und Banken von 340 Prozent des BIP; die scheinbar so soliden Niederlande schneiden dann aber mit 680 Prozent geradezu katastrophal ab, Deutschland mit 290 Prozent noch vergleichsweise solide.

Bald wurde diese europapolitische Finte von Ratingagenturen und anderen Finanzmarktakteuren überrollt. Und Tremonti war seither überwiegend damit beschäftigt, ein milliardenschweres Sparpaket zu schnüren und bereitet Italien nun auf noch weitere Sparmassnahmen vor. Weniger richtig (oder falsch) ist seine Argumentation deshalb jedoch nicht.

"Reformierter Stabilitätspakt muss private Schulden mitzählen"

So rechnet bei ihren Analysen auch die in München ansässige Hypovereinsbank, eine Tochtergesellschaft der Mailänder Unicredit-Gruppe, die Schulden von Staat, Privaten und Unternehmen für einzelne Länder zusammen. Spanien liegt damit gleichauf mit den quasi offiziellen Euro-Krisenländern Griechenland, Irland, Portugal. Dagegen ruht Italien im gesicherten Mittelfeld der Europäischen Wirtschaftsunion; Frankreich und Deutschland schneiden besser ab als der Durchschnitt.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Studie der in Basel beheimateten Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), einer Art Oberbank der Zentralbanken. In den vergangenen drei Jahrzehnten sind in den Industrieländern nicht allein die öffentlichen, sondern auch die privaten Schulden scheinbar unaufhaltsam und zudem kräftig nach oben geklettert: Im Zeitraum 1980 bis 2010 von 170 auf 310 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. In diesen Tenor stimmen auch Wissenschaftler des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung in Düsseldorf mit ein. Private Schulden müssten mitgezählt werden, wenn der europäische Stabilitätspakt zukunftsfähig reformiert werden soll.

"Schuldenprobleme sind schlimmer als befürchtet"

Die Basler BIZ-Autoren machen für die steigenden Privatschulden unter anderem die Liberalisierung der Finanzmärkte verantwortlich. Banken konnten dadurch ihren Kunden einen leichteren, wenn nicht leichtsinnigen Zugang zu Krediten verschaffen. "Eine klare Schlussfolgerung lautet", so die BIZ, "dass die Schuldenprobleme, mit denen sich die Industrienationen auseinanderzusetzen haben, noch schlimmer sind als befürchtet."

Doch, wo ein Minus, ist auch ein Plus, wo ein Kreditnehmer, ist auch ein Kreditgeber. Das Vermögen der privaten Haushalte alleine in Deutschland beträgt rund zehn Billionen Euro, über 400 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Daran gemessen erscheinen die deutschen Gesamtschulden von 290 Prozent noch recht moderat.

Daher besteht ausreichend Spielraum, um das Schuldenloch abzudichten. Dazu könnten Reiche, Banken und Unternehmen ihren Beitrag leisten. Etwa durch eine Finanztransaktionssteuer, für die sich auch der evangelische Forscher und Buchautor Andreas Mayert ausspricht. Eine solche Umsatzsteuer wäre nur für Geldgeschäfte neu. Bei Malerarbeiten, dem Kauf von Handys oder dem täglichen Brot ist sie längst üblich.


Hermannus Pfeiffer arbeitet als freier Wirtschaftspublizist in Hamburg.