Nahostkonflikt: Kirche will einseitige Schritte Israels

Nahostkonflikt: Kirche will einseitige Schritte Israels
Wie sind Frieden und Versöhnung im Nahen Osten zu erreichen? Beide Seiten, Israelis und Palästinenser, müssen sich bewegen, meint Pfarrer Burkhard Müller in den "Gedanken zur Woche", die heute um 6.35 Uhr im Deutschlandfunk zu hören waren.
06.10.2011
Von Burkhard Müller

Jeden Morgen dieselben schweren Themen! Griechenland und Italien, die Banken und der Euro, Wirtschaftskrise und Terrorismus. Afghanistan, Irak, Israel und Palästina. Das letzte Thema allerdings ist im Moment wie weggetaucht. Noch am letzten Wochenende war es ganz heiß: Die Palästinenser wollen in die UNO, US-Präsident Obama ist dagegen, das Nahostquartett startet eine neue Friedensinitiative, aber Israel baut provokativ neue Siedlungen im arabischen Teil Jerusalems. Ist es die Ruhe vor dem Sturm? Was geschieht, wenn die UNO über die Aufnahme der Palästinenser entscheidet: ja oder nein?

Christen in Deutschland denken darüber sehr verschieden. Bisher haben sich die Kirchen mit Kritik an Israel sehr schwer getan. Man war mit dem Herzen bei den Menschen, die nach dem von Deutschen organisierten Holocaust eine Heimat in Israel gefunden hatten. Die Evangelische Kirche im Rheinland konnte dazu sogar sagen: Wir verstehen den Staat Israel als Zeichen der Treue Gottes zu seinem Volk.

Schweigen zu überzogenen Militärmaßnahmen

Nach dem Holocaust waren die christlich–jüdischen Gespräche alles andere als selbstverständlich. Es war wie ein Wunder, dass die Juden wieder mit uns sprachen! Und wie viel haben wir durch sie auch über unseren eigenen Glauben lernen können! So sind wir ihnen sehr dankbar. Die neue Freundschaft und Geschwisterlichkeit wollten wir auf keinen Fall gefährden. Manche mieden jede Kritik an Israels Politik, um nicht mit dem braunen Antisemitismus verwechselt zu werden. Sie sagten nichts zu überzogenen militärischen Maßnahmen, weil das so klingen könnte, als stelle man das Existenzrecht Israels dadurch infrage.

Palästinensische Christen haben unseren Schulterschluss mit Israel wahrgenommen. Umgekehrt empfanden sie, wie fern wir ihrer Not und ihrem Leid sind. 2009 haben sie das in einer eindrücklichen Erklärung dargelegt. Die rheinische Kirche hat nun diese Mahnung gehört und will deshalb stärker als bisher das Schicksal der Palästinenser mitbedenken. Darum ist sie jetzt mit einem "Diskussionsimpuls zur Lage in Israel/Palästina" hervorgetreten. Kritik an Israel wird darin nicht unterdrückt. Noch immer wird der Staat Israel als Zeichen der Treue Gottes zu seinem Volk gedeutet. Aber was, wenn dieses Zeichen (bis zur Unkenntlichkeit) entstellt wird?

Ein asymmetrischer Konflikt

Menschenrechtsverletzungen Israels werden genannt, die widerrechtliche Besatzungspolitik, der teilweise rechtswidrige Verlauf der riesigen Grenzmauer und der fortgesetzte Ausbau israelischer Siedlungen in besetzten Gebieten. Vom Staat Israel erhofft die Kirche ausdrücklich erste einseitige Schritte, weil Israel in diesem asymmetrischen Konflikt die militärisch weit überlegene Partei ist. Auch die Palästinenser müssen sich ändern: Die Besatzung ist ein Nährboden, aber keine Rechtfertigung für ihren Terror. Nur gewaltfreien Widerstand dürfe es geben. Aber nicht mehr den Terrorismus der Raketen und Selbstmordattentate.

All diese kirchliche Kritik zielt auf Frieden und Versöhnung. Wir sollen kräftig und sichtbar alle unterstützen, die sich in Israel für den Frieden mit den Palästinensern und unter den Palästinensern für einen Frieden mit Israel einsetzen. Und dann folgt eine ganze Sammlung von Beispielen und Ideen: Dreiecksbegegnungen zwischen Deutschen, Israelis und Palästinensern könne man organisieren, Partnerschaften von Kirchengemeinden mit israelischen und palästinensischen Gruppen etablieren, Begegnungen von Lehrern durchführen und ein multinationales Lehrbuch gemeinsam schreiben. Und vieles mehr.

Wunderbar an diesem Papier ist, dass es uns nicht zu frustrierter Rechthaberei gegenüber den
friedensunfähigen Konfliktparteien führt, sondern uns Versöhnungsimpulse gibt. 


Burkhard Müller, Jahrgang 1938, ehemaliger Sprecher des "Wortes zum Sonntag", war viele Jahre lang Gemeindepfarrer in Bonn. Seit seiner ersten Pfarrstelle in Oberhausen ist ihm die soziale und politische Dimension des Evangeliums wichtig. Neben dem Pfarrdienst engagierte er sich als Beauftragter seiner Landeskirche für den kirchlichen Entwicklungsdienst, den Dialog von Christen und Muslimen sowie die Migrationsarbeit. Bis zu seiner Pensionierung Ende 2000 wirkte Burkhard Müller als Superintendent in Bonn.