evangelisch.de: Die Biomedizin versucht, tierische und menschliche Zellen zu kombinieren. Die Forschung legt Hoffnung auf neue Therapien für bislang unheilbare Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson. Ist es grundsätzlich nicht erst einmal gut, wenn dadurch künftig menschliches Leben gerettet werden kann?
Christoph Kähler: Ich bin froh über jeden Fortschritt in der Medizin, der Menschen hilft, schwere Krankheiten zu besiegen oder mindesten zu lindern. Alle Kollegen des Deutschen Ethikrates vertreten die Auffassung, dass die Forschung an Tieren mit diesem Ziel sinnvoll und angemessen ist. Das gilt auch für die Fälle, in denen mit Bestandteilen des menschlichem Erbmaterials transgene Tiere [gentechnisch veränderte Tiere; Anm. d. Red.] erzeugt werden, um am Tiermodell Erkenntnisse zu gewinnen.
Ist es bei der Schaffung von Mensch-Tier-Mischwesen überhaupt realistisch, dass künftig zum Beispiel menschliche Schweineorgane in einen menschlichen Körper verpflanzt werden können?
Kähler: Es ist nach neuestem Stand nicht auszuschließen, dass Gewebe aus Tieren, etwa aus Schweinen, dazu dienen kann, neues menschliches Gewebe – gewissermaßen zur Reparatur – herzustellen. Wobei man die Erwartungen derzeit nicht zu hoch schrauben darf. Alles braucht noch Zeit, aber es gibt erste Erfolge. Eine Kollegin aus dem Deutschen Ethikrat hat uns vorgestellt, wie sie mit Hilfe von tierischem Gewebe menschliches Knorpelgewebe erzeugte.
Durch solche Experimente wird die biologische Artgrenze zwischen Mensch und Tier immer mehr infrage gestellt. Ab wann spricht man von einem menschlichen Wesen, ab wann von menschlichem Leben?
Kähler: Die Artgrenze zwischen Mensch und Tier wird dort nicht in Frage gestellt, wo nur einzelne Gene übertragen werden. Das wird nämlich schon lange praktiziert. So hat etwa die berühmte Krebsmaus ein menschliches Krebsgen und damit kann man am Tiermodell experimentieren, was sich an Menschen von selbst verbietet. In diesem Fall überschreitet man nicht die Artgrenze, weil die Maus eine Maus bleibt und nur leicht verändert wird. Auch der Mensch, der zum Beispiel ein Knorpelgewebe implantiert bekommt, bleibt ein Mensch. Wir sind uns im Deutschen Ethikrat einig, dass der Mensch, und das unterstreiche ich als Theologe gern, sich auszeichnet durch seine Sprachfähigkeit, durch sein Selbstbewusstsein, durch seine Kulturfähigkeit und die Verantwortung, die er trägt. Denken Sie nur an die erste der beiden Schöpfungsgeschichten in der Bibel, da heißt es: "Seid fruchtbar und mehret euch" bei Tieren und Menschen. Aber nur die Menschen werden von Gott direkt angesprochen, weil sie diejenigen sind, die Antwort geben und Verantwortung tragen können. Diese Grenzen gehören zur Gottebenbildlichkeit des Menschen, die für uns die Menschenwürde begründet.
Wird durch solche Experimente das Selbstverständnis des Menschen angetastet, wird die Würde des Menschen beeinträchtigt?
Kähler: Die Grenze ist dort erreicht, wo man versucht echte Mischwesen zu erzeugen: wo ein menschlicher Zellkern in eine entkernte tierische Eizellen eingebracht wird und zu einem Lebewesen heranwachsen soll. Der Versuch, ein echtes Mischwesen herzustellen, das wesentliche Fähigkeiten des Menschen erhalten soll, etwa sein Gehirn und die aus ihm resultierenden Fähigkeiten, würde die Menschenwürde verletzen. Deswegen sind alle Ethikratsmitglieder der Meinung, dass die Kombination eines menschlichen Zellkerns mit einer tierischen Eizelle auf keinen Fall in einen tierischen Uterus oder sogar in die Gebärmutter einer Frau eingepflanzt werden darf. Das ist die absolute Grenze. Aber es gibt eine Gruppe von Mitgliedern im Deutschen Ethikrat, die Experimente mit entkernten tierischen Eizellen, in die ein menschlicher Zellkern eingelagert ist, sozusagen in der Petrischale für vertretbar halten, um weitere biologische und medizinische Erkenntnisse zu gewinnen. Ich bin aber mit anderen der Auffassung, dass menschliches Leben dort beginnt, wo Eizelle und Samenzelle miteinander verschmelzen und sich ein menschliches Wesen mit seiner Individualität entwickeln kann. Darum kann ich auch solche Experimente im extrauterinen Stadium [außerhalb der Gebärmutter; Anm. d. Red.] nicht gutheißen.
Wenn Tiere solche Experimente überleben, leiden viele an den Folgeschäden. Gibt es auch eine Würde der Tiere, die es zu achten gilt?
Kähler: Tiere müssen in jedem Fall angemessen geschützt werden. Die Frage, wie viel Tiere leiden müssen, um hilfreiche Erkenntnisse für die Behandlung von Menschen zu erzielen, wird man generell so beantworten müssen, dass es kein unnötiges Leiden für Tiere geben darf. Der Tierschutz ist in dieser Hinsicht ernsthaft zu bedenken. Es ist nicht nur eine Frage der Menschenwürde, sondern auch eine Frage des Tierschutzes und wovor man Tiere als Mitgeschöpfe bewahren muss. Anderswo in der Welt gibt es durchaus robustere Forschungen. Da bin ich froh, dass im Deutschen Ethikrat in der Frage des Tierschutzes Übereinstimmung herrscht. Experimente mit Primaten müssen gesondert begründet werden, die Forschungsziele müssen klar sein. Versuche mit Menschenaffen werden seit 20 Jahren in Deutschland nicht mehr gemacht. Das ist zu begrüßen.
Wann ist ein Tier ein Tier, wann ein Mensch ein Mensch. Wo ziehen Sie die Grenze?
Kähler: Wenn ein Tier nur Gene oder auch Chromosomen des Menschen trägt und ansonsten ein Tier bleibt, ist es ein Versuchstier, an dem geforscht wird. Wenn wesentliche Teile des Gehirns betroffen sind und ausgetauscht werden und wenn wesentliche zentrale Erbanlagen, die das ganze Wesen prägen, eingebracht werden sollen, dann wird man von Mischwesen ausgehen müssen, die wesentliche Züge des Menschen tragen könnten. Die Erzeugung von solchen Chimären, also von Wesen, die wesentliche menschliche Eigenschaften haben, wird von keinem Vertreter im Deutschen Ethikrat befürwortet.
Welchen Weg schlagen Sie vor, wie die Würde von Menschen und auch Tieren künftig zu wahren ist, ohne sich dabei möglichen Heilungschancen von Krankheiten zu verschließen?
Kähler: Der Gesetzgeber hat Verfahren geschaffen, den Tierschutz zu festzulegen und durchzusetzen. Jeder Versuch, der auch gerade mit höher entwickelten Tieren, etwa Affen, stattfinden soll, wird von Tierschutzkommissionen und von Ethikkommissionen geprüft: Ist der Versuch überhaupt zwingend nötig ist oder nicht? Ich halte das für richtig und zwingend, Tiere sind unsere Mitgeschöpfe, wir haben daher eine Verantwortung für sie. Experimente, in denen ein menschlicher Zellkern in eine tierische Eizelle eingebracht werden soll, halte ich um der Menschenwürde willen nicht für vertretbar. Sie sollten gesetzlich verboten werden.
Christoph Kähler ist Mitglied im Deutschen Ethikrat. Er ist lutherischer Theologe und war von 2001 bis 2008 der Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen. Vom 1. Januar bis zum 1. Juni 2009 war er einer von zwei Bischöfen der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland. Außerdem war er stellvertretender Ratsvorsitzender der EKD bis Oktober 2009.
Markus Bechtold ist Redakteur bei evangelisch.de.