Nach dem Burnout-Bekenntnis und Rücktritt von Schalkes Trainer Ralf Rangnick hat der renommierte Psychiater Florian Holsboer ein rasches Umdenken im Showgeschäft Fußball-Bundesliga gefordert. Schleifer-Methoden à la Felix Magath hält der Direktor des Münchner Max-Planck-Instituts für Psychiatrie für den völlig falschen Ansatz. "Der 'Typ Magath', der 'Typ harter Hund', ist out. Das ist eine Schule, die sich hoffentlich nicht ausbreitet", erklärte Holsboer in einem Interview der Nachrichtenagentur dpa, "ein Trainer, der die Leute vor sich herscheucht, mag gelegentlich erfolgreich sein, ist aber nicht das Zukunftsmodell."
"Die Vereine müssen offen damit umgehen"
Vor dem Hintergrund steigenden Erfolgsdrucks gehört die Rolle der sensiblen Vertrauensperson für die unterschiedlichsten Spielerseelen zu den wichtigsten Herausforderungen eines modernen Coaches. Deshalb wünscht sich Holsboer "die Kultivierung eines einfühlsamen Trainers, der auch eine Autorität ist." Das Zukunftsmodell sei Ottmar Hitzfeld. Der langjährige Bayern-Coach und jetzige Trainer der Schweizer Nationalmannschaft habe die richtige Mischung aus Strenge und Menschlichkeit. "Wenn man einen Magath hat, braucht man einen Plan B, der solche Kollateralschäden abfängt", befürchtet Holsboer.
Professor Florian Holsboer, Direktor des Münchner Max-Planck-Instituts für Psychiatrie. Foto: dpa/Axel Griesch
Der Mikrokosmos Profi-Fußball muss sich seiner Meinung nach weiter öffnen. "Jeder Verein sollte einen Psychologen haben, so wie er einen Physiotherapeuten hat. Die Vereine müssen offen damit umgehen, sie müssen wissen, dass man sich auf Bundesliga-Level eben auch leicht psychisch verletzen kann", warnt Holsboer, "und wenn ein Bundesliga-Verein erfolgreich sein will, muss er auch auf das mentale Verletzungsrisiko achten."
Rangnick hat auf die Signale seiner Seele gehört und durch sein überraschendes Outing die Enttabuisierung psychischer Erkrankungen seit dem Suizid von Hannovers Torhüter Robert Enke weiter vorangetrieben. "Ich erkläre ihn höchstpersönlich zum Helden. Wenn solche Identifikationsfiguren mit solchen Beschwerden so offen umgehen, hat das Signalwirkung für andere Menschen und kann lebensrettend sein", betont Holsboer, der Nationalspieler Sebastian Deisler wegen Depressionen behandelt hatte.
Ein Problem des gesamten Hochleistungssports
Mit zunehmender Zahl der Fälle werde das Bewusstsein geschärft, so der Wissenschaftler. "Psychische Erkrankungen sind kein Problem des Profi-Fußballs, sondern des gesamten Hochleistungssports. Die Bekanntgaben psychischer Erkrankungen nehmen zu, vom Gefühl her nimmt auch die Zahl der Erkrankungen zu, aber belastbare Zahlen gibt es nicht." Vor knapp zwei Wochen hatte sich Hannovers Ersatz-Torhüter Markus Miller mit einem Erschöpfungssyndrom in Behandlung begeben.
Schalke-Trainer Ralf Rangnick ist nach seinem Burnout-Bekenntnis zurückgetreten. Foto: Carmen Jaspersen
Die öffentliche Gier nach unverletzbaren Helden ist Teil des Problems. Im Spannungsfeld zwischen Forderung und Überforderung verlieren immer mehr Spieler und Athleten die Orientierung. Auch die Verantwortlichen an der Seitenlinie sind durch den zunehmenden Mediendruck stärker denn je gefährdet. Holsboer empfiehlt einen Trainer für die Trainer: "Begleitarbeit für Menschen unter maximalem Stress ist die beste Vorbeugung. Wenn ein Trainer überproportionale Empfänglichkeit für negative Signale spürt, sollte er sich beraten oder behandeln lassen. Oft reichen da zehn Stunden."
Schalke-Trainer Ralf Rangnick hatte am Donnerstag mitgeteilt, er sei "aufgrund eines Erschöpfungssyndroms momentan nicht in der Lage, die Kraft und Energie aufzubringen, die Mannschaft weiter zu führen". Der 53-Jährige hatte im März als Nachfolger von Felix Magath das Amt beim FC Schalke 04 übernommen.