Die deutsche Kirche ist das Sorgenkind des Vatikan

Die deutsche Kirche ist das Sorgenkind des Vatikan
Rebellische Theologen, unbotmäßige Bischöfe, dazu jede Menge Säkularismus: Die Kirche im Lande Luthers gilt aus vatikanischer Sicht als "Sorgenkind". Der deutsche Katholizismus nimmt in der Weltkirche eine Sonderstellung ein.
14.09.2011
Von Bettina Gabbe

Die Zeiten des erbittert geführten Streits zwischen dem Vatikan und der katholischen Deutschen Bischofskonferenz über die Schwangerenkonfliktberatung gehören längst der Vergangenheit an. Nach wie vor prägen jedoch auch vor dem Besuch von Papst Benedikt XVI. vom 22. bis 25. September in seiner Heimat tiefe Mentalitätsunterschiede das Verhältnis zwischen Rom und der katholischen Kirche in Deutschland.

Im Unterschied zu seinem Vorgänger als Vorsitzendem der Bischöfe, Kardinal Karl Lehmann, bemüht sich der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch um einen guten Kontakt zur römischen Kurie. Die Angst vor der Selbstständigkeit des "Sorgenkinds" aus dem Land des Reformators Martin Luther (1483-1546) kann jedoch auch er nicht völlig ausräumen.

An staatlichen Universitäten

Bei allem Unbehagen über rebellische Theologen, die offen Kritik an Rom üben, stehe die deutsche Kirche im Vatikan in hohem Ansehen, heißt es in der römischen Kurie. Nirgends sonst werde Theologie auf derart hohem Niveau betrieben, selbst an den zahlreichen päpstlichen Universitäten in Rom nicht. Allein die Tatsache, dass in Deutschland Theologie an staatlichen Universitäten gelehrt wird, verleiht ihr einen einzigartigen Sonderstatus.

Für ein hohes Ansehen der deutschen Katholiken in Rom sorgt auch deren starkes finanzielles Engagement zugunsten sozial-karitativer Projekte weltweit. Doch zugleich macht der gern gesehene Geldgeber Angst durch offen geäußerte Kritik namhafter katholischer Theologen an Papst und Vatikan. Lehmann musste vermutlich auch deshalb unverhältnismäßig lang auf den Kardinalshut warten. Bis zu seiner Berufung in die Gruppe der Kirchenführer, die im Konklave den nächsten Papst wählen, stand er gar im Ruf eines Rebellen gegen Rom. Seit er Kardinal ist, hält Lehmann sich mit Kritik am Vatikan spürbar zurück.

"Hier macht man die Gesetze, in Deutschland hält man sich daran", beschreibt ein Kurienmitglied mit einem Schuss Ironie die Mentalitätsunterschiede. Zu einer wesentlichen Verbesserung der persönlichen Beziehungen trug in den vergangenen Jahren eine bewusste Charme-Offensive des derzeitigen Vorsitzenden der Bischofskonferenz bei. Zollitsch sorgte dafür, dass nach jeder Frühjahrs- und Herbstvollversammlung des deutschen Episkopats in Rom Bericht über deren Ergebnisse erstattet wird. Gemeinsame Abendessen mit den rund 20 deutschen Kurienmitarbeitern sorgen darüber hinaus für ein verbessertes gegenseitiges Verständnis zwischen der Bischofskonferenz und dem Vatikan.

Domkapitel bei Bischofswahl beteiligt

Kirchliche Strukturen in Deutschland wie die Diözesanräte wirken aus vatikanischer Sicht übermächtig und dominant. Dass deutsche Bischöfe nicht allein von Rom, sondern auf Vorschlag des Domkapitels ernannt werden, stellt ebenfalls eine Ausnahme dar.

Was in Deutschland mit den etwa gleich starken Konfessionen von Katholiken und Protestanten selbstverständlich ist, gilt in Rom ebenso als einzigartig. In kaum einem anderen Land schlägt sich die Kirchenspaltung des 16. Jahrhunderts bis heute so klar nieder. Nur in England nimmt der Vatikan aggressivere Säkularisierungstendenzen als in Deutschland wahr. Und nur in der Tschechischen Republik ist die Entchristianisierung aus römischer Sicht so weit fortgeschritten wie ausgerechnet im Heimatland von Papst Benedikt XVI.

epd