Zwölf Monate, zwölf Religionen: Projekt für Toleranz nach 9/11

Zwölf Monate, zwölf Religionen: Projekt für Toleranz nach 9/11
Nach den Anschlägen des 11. September 2001 sann Andrew Bowen nach Rache. Er wollte sogar zu den Marines, um in Afghanistan zu kämpfen. Heute wirbt der einstige Islam-Hasser mit einem vielbeachteten Blog für das friedliche Miteinander der Religionen.
11.09.2011
Von Silvia Ayuso

Es ist September, und nach Andrew Bowens Kalender ist diesen Monat das Eintauchen in die Sikh-Religion dran. Im August hatte er wie ein Muslim gelebt, im Juli wie ein Mormone. So geht das schon seit Januar, als der 28-Jährige aus North Carolina mit seinem "Project Conversion" (Projekt Verwandlung) anfing. Begonnen hat er mit dem Hinduismus, es folgten die Bahai-Religion und der Zoroastrismus.

Zwölf Monate, zwölf Religionen: Das ist die Idee hinter Bowens Projekt, das er mit Blick auf den zehnten Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 in den USA ins Leben gerufen hat. Bowen bezeichnet sich zwar als Agnostiker. Er hat sich aber zum Ziel gemacht, den "Anderen" über dessen Religion besser kennenzulernen und damit ein wenig zum besseren Verständigung zwischen den verschiedenen Kulturen und Zivilisationen beizutragen.

"Angesichts der zahlreichen Konflikte habe ich mich gefragt, ob die Existenz so vieler Religionen überhaupt Sinn macht", erklärt Bowen im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. "Mir fielen zwei Lösungen ein: Entweder wir schaffen alle Religionen ab oder wir finden eine Möglichkeit des friedlichen Miteinanders." Der 28-Jährige ist überzeugt: "Wenn Du jemand besser kennenlernst, schließt Du irgendwann mit ihm Freundschaft und es ist weniger wahrscheinlich, dass Du ihm wehtun möchtest."

"Ich kam nie dazu, einen Muslim zu töten"

Ist Bowen ein Idealist, ein Träumer oder schlichtweg naiv? Fest steht jedenfalls, dass sein Projekt das Medieninteresse in aller Welt geweckt und dass sein Blog, wo er seine Erfahrungen, Gedanken und Fragen veröffentlicht, Hunderte Anhänger gefunden hat. "Bislang ist es noch nie zu Konflikten gekommen, einen Religionsstreit gibt es bei uns nicht."

Andrew Bowen bei einem zoroastrischen Ritual. Foto: dpa/Andrew Bowen

Einige der regelmäßigen Nutzer haben inzwischen sogar ihre eigenen Blogs ins Leben gerufen, um andere Religionen zu studieren. "Das Motto lautet: Lerne Deinen Nachbarn kennen und behandele ihn so, wie Du behandelt werden möchtest", erklärt der 28-Jährige.

Die Welle religiöser Intoleranz nach den Anschlägen vom 11. September waren einer der Auslöser für Bowens Projekt. Denn diese haben auch sein eigenes Leben verändert: "Nach den Attentaten habe ich mich bei den Marines beworben. Ich wollte Rache nehmen. An wem, war mir egal - solange es Muslime waren."

"Ich wollte in Afghanistan so viele Muslime töten wie möglich. Meine einzige Überzeugung damals war, dass sie alle blutrünstige Selbstmordattentäter seien, die die USA und alle Nicht-Muslime zerstören wollten", gesteht Bowen in seinem Blog. Aber er schaffte die Eignungsprüfung für die Marines nicht. "Ich kam nie dazu, einen Muslim zu töten. Und heute, zehn Jahre später, verbringe ich einen Monat damit, den Islam und die Muslime zu verstehen."

Millionen friedliche Muslime auf der Welt

Wenn er die Schahada, das Glaubensbekenntnis des Islams, aufsage, stelle er sich immer wieder die selbe Frage, erzählt Bowen: "Waren das auch die Worte, die die Terroristen des 11. September sprachen, ehe sie 3.000 Menschen umbrachten?"

Doch dann müsse er daran denken, dass im World Trade Center auch Muslime starben - obwohl er das nie in den Nachrichten wahrgenommen habe. "Die Wahrheit ist doch, dass es Millionen friedliche Muslime auf der Welt gibt und diese genauso entsetzt über den 11. September waren wie ich." Deshalb steht für Bowen fest: "An dem Tag wurden nicht nur Flugzeuge entführt, sondern auch eine Religion."

Dass er mit seinem Blog die Welt nicht wird verändern können, das ist dem 28-Jährigen klar. "Aber wenn ich nur einen Menschen zum Umdenken oder dazu bringen kann, sich mit dem Anderen besser zu verständigen, ist das schon ein Erfolg."

dpa