Wie viel Religion passt in einen Staat?

Wie viel Religion passt in einen Staat?
"Der Islam ist ein Teil unseres Landes." Mit diesem Satz leitete der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) 2006 eine neue Etappe in der deutschen Debatte über den Islam und das Religionsrecht ein. Denn neben den beiden großen christlichen und den orthodoxen Kirchen sowie den kleinen Freikirchen sind auf der religiösen Deutschlandkarte auch Juden und vor allem rund vier Millionen Muslime unübersehbar.
31.08.2011
Von Rainer Clos

Bei der Tagung "Religion im öffentlichen Raum" der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung, die am Mittwoch im norditalienischen Cadenabbia zu Ende ging, loteten Politiker, Rechtswissenschaftler und Kirchenvertreter aus, wie sich das Nebeneinander alter und neuer Religionsgemeinschaften auf das gewachsene Verhältnis von Staat und Religionen auswirkt.

Den Blick auf die unterschiedlichen Modelle der Staat-Kirche-Beziehungen in Europa lenkte der Bevollmächtigte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bernhard Felmberg. Einige Länder kennen noch Staatskirchen, für andere wie die Bundesrepublik ist eine fördernde Neutralität kennzeichnend, und schließlich gibt es die radikale Trennung wie etwa in Frankreich. Diese Vielfalt religionsrechtlicher Traditionen, so legte Prälat Felmberg dar, trug auch dazu bei, dass die Aufnahme eines Gottesbezuges in den EU-Reformvertrag scheiterte.

Der langjährige bayerische Kultusminister Hans Maier (CSU) argumentierte, für das Zusammenleben der Religionen in Deutschland sei das friedliche Miteinander die Regel. Religionskämpfe seien nicht denkbar. Probleme und Konflikte, die sie sich etwa an Kopftuch, Kreuz, Schächten von Tieren, Moscheebau und Ruf des Muezzins entzündeten, seien lösbar mit den Mitteln des Rechts, gab er sich zuversichtlich.

Das Wort der Kirchen ist gefragt

Für eine öffentliche Theologie warb der designierte bayerische evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm. Von Gesellschaft und Politik werde erwartet, dass sich die Kirche in öffentliche Debatten einmische. Gerade in den Feldern Bioethik, soziale Gerechtigkeit, Wirtschafts- und Friedensethik sei das orientierende Wort der Kirchen gefragt. Dabei gehe es nicht darum, bekannte Standpunkte zu wiederholen, sondern biblisch-theologisches Profil zu zeigen. Zur öffentlichen Theologie gehört für Bedford-Strohm neben der pastoralen Dimension auch Politikberatung, wie sie etwa Kammern der Evangelischen Kirche in Deutschland und Kommissionen der katholischen Kirche leisteten. Prophetische Kritik aus den Kirchen sollte sich aber auf ganz bestimmte Situationen beschränken, empfahl der Theologe.

Vor Beschädigungen des deutschen Staatskirchenrechts warnte der Philosoph und Politikwissenschaftler Hermann Lübbe. Versuche, die muslimischen Religionsgemeinschaften analog zu den Kirchen zu behandeln, seien auf absehbare Zeit nicht aussichtsreich. Bestrebungen, einen islamischen Religionsunterricht analog zum konfessionsgebundenen einzuführen, ohne die rechtlichen Bedingungen dafür einzuhalten, missachteten das Neutralitätsgebot, gab er zu bedenken.

Kultursteuer statt Kirchensteuer? 

Hingegen verteidigte der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Rachel die Initiative von Bundesbildungsministerin Annette Schavan (beide CDU) zum Aufbau von Zentren für islamische Theologie an deutschen Universitäten, die Lehrer für den islamischen Religionsunterricht ausbilden sollen. Um ein flächendeckendes Angebot für die rund 700.000 muslimischen Schüler zu erreichen, würden etwa 2.000 Lehrkräfte benötigt. "Wir wollen, dass die Kinder muslimischen Religionsunterricht erhalten und die Religionsgelehrten aus den Reihen der deutschen Muslime kommen", argumentierte Rachel.

Zu einer Revision des Staatskirchenrechts könnte Lübbe zufolge das bundesdeutsche System des staatlichen Kirchensteuereinzugs führen, in dem er das Hauptmotiv für die Austrittsbewegung bei Katholiken und Protestanten ausmacht. Als Alternative empfahl er eine Kultursteuer nach italienischem Vorbild, bei der die Steuerpflichtigen entscheiden, welcher gemeinnützigen Institution sie die Kultursteuer widmen.

Widerspruch erntete Lübbe vom Präsidenten des Kirchenamtes der EKD, Hans Ulrich Anke: Die Kirchensteuer gewährleiste eine verlässliche effiziente und weithin akzeptierte Finanzierung der kirchlichen Arbeit. Bei einer Familie mit zwei Kindern und einem Brutto-Monatseinkommen von 4.000 Euro betrage die Kirchensteuer monatlich 16 Euro und sei damit vergleichbar Mitgliedsbeiträgen für einen Sportverein: "Die Kirchensteuer ist ein wesentlicher Bestandteil des verfassungsrechtlichen Angebotes für das öffentliche Wirken der Religionsgemeinschaften und soll es bleiben." 

epd