"Irene" in New York: Alles halb so schlimm

"Irene" in New York: Alles halb so schlimm
Die New Yorker sind Katastrophen gewohnt, aber das war die Stadt noch nie: praktisch ausgestorben. Kein Mensch auf den Straßen, kaum ein Auto fährt, Läden, Kinos und Theater dicht. Der Wirbelsturm "Irene" hat die Stadt, die niemals schläft, gelähmt.
28.08.2011
Von Chris Melzer

So ein Wochenende hat New York noch nicht erlebt: Leere Straßen, leere U-Bahn-Stationen, leere Theater und leere Kinos. Das Baseball-Stadion der Mets - mitten in der Saison leer. Und auch leer: Die Regale in vielen Supermärkten, die allerdings zum ersten Mal seit Jahrzehnten später ohnehin schlossen. "Irene" hatte New York am Sonntag lahmgelegt. Der gewaltige Wirbelsturm verwandelte die ansonsten zu den lebendigsten Städten der Welt gehörende Millionenmetropole in eine Geisterstadt. Aber "Irene" zieht schneller vorbei als gedacht.

"Bleiben Sie, wo Sie sind!", hatte Bürgermeister Michael Bloomberg am späten Samstagabend (Ortszeit) in seiner betont sachlichen Art gesagt. "Es ist dunkel und windig, es regnet und keine U-Bahn und kein Bus fährt. Bleiben Sie drinnen, draußen fliegt zu viel herum." Und die New Yorker und ihre Gäste hielten sich dran. Der Times Square, sonst von Hunderttausenden Menschen bevölkert: eine leere Betonfläche. Der Broadway, sonst am Samstagabend verstopft von Musicalbesuchern: eine einsame Straße. Battery Park, sonst beliebter Aussichtspunkt auf die Freiheitsstatue: ein wellenumspülter, aber menschenleerer Ort. Das hatte es selbst in den drei Kriegen, die New York bisher erlebte, nicht gegeben.

Notunterkünfte gab es nur für jeden Fünften

In Atlantic City waren alle Kasinos geschlossen. Die New Yorker Universitäten, die eigentlich am Sonntag ihre neuen Studenten begrüßen wollten, mussten ihren "Fresh Men Day" verschieben. Tausende Flüge wurden an der Ostküste abgesagt, Hunderttausende Menschen hingen fest. Allein in New Jersey bekamen eine Million Menschen den Evakuierungsbefehl, auf Long Island 400.000. In der Stadt New York selbst waren es 340.000. Das Problem: Es gab nur Notunterkünfte für jeden Fünften. Die anderen mussten in Hotels oder bei Freunden unterkommen. Einige wollten aber auch nicht gehen. "So schlimm wird's schon nicht werden", sagte einer dem Fernsehsender CBS. "Außerdem habe ich kein Geld, um irgendwo unterzukommen."

Und so harrten die New Yorker hinter ihren mit Klebestreifen gesicherten Fenstern aus und hofften, dass es keine Stromausfälle geben würde. In den zuerst von "Irene" heimgesuchten Südstaaten waren mehr als drei Millionen Menschen ohne Strom. Und in New York fragten sich viele nicht "Ob?", sondern nur "Wann?" und "Wo?". Denn bei den in der Regel an Holzmasten baumelnden Stromleitungen gehören Sturmschäden dazu. Und tatsächlich: Auch im Norden waren noch einmal gut eine Million Kunden ohne Strom, mehr als 100.000 allein in New York. Wobei "ein Kunde" zuweilen ein ganzes Haus mit Tausenden Menschen ist.

"Frieren Sie Flaschen mit Wasser ein, solange Sie noch Strom haben", empfahl die Stadt. "Wenn dann der Strom ausfällt, halten die Eisblöcke die Kälte etwas." Auch Bloomberg gab gute Ratschläge: "Halten Sie sich von den Fenstern fern! Nehmen Sie Taschenlampen, keine Kerzen! Es gab schon erste Brände. Und füllen Sie ihre Badewanne mit Wasser!" Denn wenn der Strom weg ist, fallen auch die Pumpen aus. Ed Mangano vom nahen Nassau-Landkreis hielt noch einen anderen Tipp parat: "Wenn der Ofen ausfällt, grillen Sie nicht im Haus. Es droht Erstickungsgefahr!"

Viel Regen, aber sonst kaum Sturmschäden

Aber die New Yorker hatten Glück. Gerade als der Hurrikan über ihrer Stadt war, war er keiner mehr. Die Behörden stuften ihn zum tropischen Sturm herab, der zudem noch schneller als erwartet weiterzog. Schon gegen 10 Uhr (Ortszeit), zwei Stunden vor dem erwarteten Höhepunkt des Sturms, klarte der Himmel wieder auf und die ersten Neugierigen wagten sich aus ihren gut gesicherten Wohnungen. Sie sahen vor allem Wasser und ein paar umgestürzte Bäume: An den Ost- und Westrändern New Yorks reichte das Wasser von East und Hudson River zeitweise bis an die Stadtautobahnen, die allerdings ohnehin gesperrt waren.

Im Central Park stand das Wasser zum Teil kniehoch, in anderen Gebieten der Stadt sogar bis zur Hüfte. Zu allem Überfluss hat New York in den vergangenen Wochen den nassesten August seit Beginn der Aufzeichnungen registriert. Deshalb konnte der gesättigte Boden kaum noch Wasser aufnehmen.

In der Wall Street wurden schon die ersten Sandsäcke wieder weggeschafft. Entwarnung wollten die Behörden aber noch nicht geben. Aus einem Lautsprecherwagen der Polizei schallte es an der Ecke Broadway/Wall Street: "Gehen sie mit Vorsicht in überflutete Gebiete." Auch der Chef des Nationalen Hurrikanzentrums wollte noch keine Entwarnung geben. "Die Auswirkungen ändern sich damit aber nicht", sagte Bill Read bei CNN nach der Herabstufung von "Irene". Der Wind sei nach wie vor stark, es regne noch immer und der Sturm drücke weiter Wasser an die Küste. Auch New Yorks zweiter Bürgermeister Cas Holliway warnte davor, das Ereignis zu unterschätzen.

Die New Yorker ließen sich so oder so nicht unterkriegen. Auf den Brettern, mit denen ein paar Schaufenster in Manhattan vernagelt waren, war zu lesen: "Wenn Osama bin Laden uns nicht besiegt hast, schaffst du das ganz sicher nicht, "Irene"!"

dpa