Studieren und Pendeln ist für viele Alltag

Studieren und Pendeln ist für viele Alltag
Knapp ein Viertel aller Studenten leben in Deutschland noch im "Hotel Mama". Trotz Zeitverlust und Stress pendeln immer mehr von ihnen stundenlang vom Haus ihrer Eltern zur Universität.
24.08.2011
Von Sarah Salin

Drei Studierende sitzen in der S-Bahn Richtung Dortmund: Sie pendeln zur Uni - wie jeden Tag. Natalia Wodtschel und Annika Wieger wohnen in Essen. Michael Hülsenbusch fährt sogar täglich von Düsseldorf nach Dortmund. Fast zwei Stunden dauert bei ihm der Weg von Tür zu Tür. "Aber das ist für mich ganz normal, manche Kommilitonen kommen sogar jeden Tag aus dem Sauerland", sagt Hülsenbusch.

Wegen der zentralen Lage im Ruhrgebiet sei die Technische Universität Dortmund eine "Pendler-Uni", sagt der angehende Soziologe. Bochumer könnten sich beispielsweise ohne weiteres an den Hochschulen in Essen, Duisburg oder Dortmund einschreiben, ohne dafür umziehen zu müssen: "Viele Freunde von mir machen das so." Nach Schätzungen des Dortmunder Studentenwerks pendelt an jedem Tag ungefähr die Hälfte der 25.000 Studenten nach Seminaren und Vorlesungen in die umliegenden Städte nach Hause. "Genaue Zahlen erfassen die Hochschulen nicht", sagt Uni-Sprecher Ole Lünnemann.

Freunde und günstiges Wohnen sprechen für das "Hotel Mama"

Eine Studie der TU Dortmund zeigt jedoch, wie viele Arbeitnehmer ihren Wohnort verlassen, um zur Arbeit zu kommen. Auf rund 40 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten treffe das heute im Ruhrgebiet zu. In Dortmund lag die sogenannte Einpendlerrate der Stadt 1970 bei 14 Prozent, 2007 waren es bereits 43 Prozent. Eine rasante Entwicklung, sagt Studienautor Dennis Guth.

Über die Ursachen des veränderten Pendlerverhaltens kann der Fachmann für Verkehrswesen nur spekulieren. Die Spezialisierung des Arbeitsmarkts und das moderne Verkehrsystem seien sicherlich Gründe. Freunde, Familie oder das günstige Wohnen zu Hause mögen gerade für Studenten wichtige Aspekte sein. Nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft der Studentenwerke leben bundesweit im Durchschnitt rund 23 Prozent der Studenten bei ihren Eltern.

Das "Campus-Gefühl" geht verloren

Auch nach Schätzungen der Hochschulen im Land Brandenburg gehört das Pendeln zwischen Wohn- und Studienort für fast jeden zweiten Studierenden zum Alltag. Bernd Schütter, Sprecher der Technischen Hochschule Wildau, vermutet, dass gerade die Nähe zur Hauptstadt dazu führe, dass die jungen Leute in ihrer Wahlheimat Berlin leben und jeden Tag mit der S-Bahn nach Wildau kommen. "Die fallen in Massen direkt aus dem Zug auf den Campus."

Ähnlich verhält es sich in Golm. Unweit des beschaulichen Dorfkerns hat sich der größte Campus der Universität Potsdam angesiedelt. "Wenn der Regionalexpress Richtung Berlin abgefahren ist, ist es hier wie leer gefegt", berichtet Matthias Brandt. Der 23-Jährige bedauert, dass es in seinem Studentenleben kein "Campus-Gefühl" gebe. Er fährt selten zur Uni: "Immer nur, wenn es unbedingt sein muss." Unter den Kommilitonen Freunde zu finden, sei deshalb schwierig. Der lange Weg belaste ihn, doch aus Neukölln wegziehen möchte er trotzdem nicht: "Ich hänge an meiner WG."

Eine Studentenkultur will gewollt, gefördert und gepflegt sein

Traditionelle Universitätsstädte wie Heidelberg, Tübingen und Freiburg seien als Wohnort bei den Studierenden dagegen sehr beliebt, sagt Klaus Prem, Sprecher der Universität Augsburg. "Wir sind mit unseren 40 Jahren Hochschulbetrieb relativ jung und haben keine Jahrhunderte alte Tradition." Das ist nach seiner Auffassung ein wesentlicher Punkt, warum es an der Augsburger Uni viele Pendler gibt. Studentenkultur könne man nicht mit Gewalt in eine Stadt hineintragen. Sie müsse mit langem Atem gewollt, gefördert und gepflegt werden.

Die Dortmunder Studentin Natalia Wodtschel ist immer noch unterwegs nach Essen. Zu Hause wird ihr Freund sie erwarten. "Er arbeitet in Düsseldorf und weil Essen zwischen unseren Arbeitsstätten liegt, wohnen wir eben dort." Die angehende Architektin findet die S-Bahn-Fahrten aber gar nicht schlimm. "Da lohnt es sich wenigstens, ein Buch herauszuholen." Ihre Mitreisende Annika Wieger ist anderer Meinung: "Ich finde, dass das Pendeln nervt."

epd