Neue Audiobotschaft: Gaddafi ruft zum Widerstand auf

Neue Audiobotschaft: Gaddafi ruft zum Widerstand auf
Gaddafi soll am Mittwoch in einer zweiten Audiobotschaft die Bevölkerung zum Widerstand aufgerufen haben. Am Dienstag hatten sich Rebellen und Regierungstreue einen blutigen Entscheidungskampf um Tripolis geliefert, wie ausländische Nachrichtensender berichteten. Nato und Rebellen sprechen von Gaddafis Ende. Doch niemand weiß, wo er ist. Der Diktator wurde am Dienstag noch im Bunkerkomplex in Tripolis vermutet.

Nach dem Sturm seiner Festung durch Rebellen hat der libysche Machthaber Muammar al-Gaddafi nach Medienberichten in einer zweiten Audiobotschaft die Bevölkerung zum Widerstand aufgerufen. In dem von einer lokalen Radiostation verbreiteten Aufruf habe ein Mann, bei dem es sich um Gaddafi handeln soll, die Libyer aufgefordert, die Hauptstadt Tripolis von den Aufständischen "zu säubern", berichtete der arabische Nachrichtensender Al-Dschasira am Mittwoch. Gaddafi warf den Aufständischen Folter vor. Sie würden Gegner "exekutieren". Unklar ist weiter, wo sich Gaddafi derzeit aufhält. 

Am späten Dienstagnachmittag drangen Rebellen auf das etwa sechs Quadratkilometer große Gelände der Anlage Bab al-Asisija vor, dort hätten erste Gaddafi-Truppen kapituliert. Amerikanische Fernsehreporter von CNN und CBS meldeten, sie seien gemeinsam mit den Rebellen in den Gaddafi-Stützpunkt in Tripolis eingedrungen. Einige Kämpfer hätten sich ergeben, hieß es, andere Gaddafi-Getreue hätten den Widerstand aufgegeben und seien nach blutigen Kämpfen geflüchtet.

Internationaler Flughafen in Kontrolle der Rebellen

Auf Live-Bildern von Al-Dschasira war die von Einschusslöchern übersäte Front von Gaddafis Haus zusehen. Davor versuchten Kämpfer, eine riesige Skulptur zu zerstören: eine goldene Hand, die symbolisch ein US-Kampfflugzeug zerquetscht.

Kurz zuvor hatte der US-Sender CNN berichtet, dass die Aufständischen nach kurzem Gefecht den internationalen Flughafen von Tripolis unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Nach einem Bericht der britischen BBC waren auch Kämpfe in der Nähe des Journalisten-Hotels Rixos aufgeflammt. Reporter berichteten von heftigen Schusswechseln und schweren Explosionen.

Versorgungslage in Tripolis' Krankenhäusern ist kritisch

Der US-Sender CNN berichtete von spontanen Siegesfeiern und zeigte unscharfe Aufnahmen vom Inneren der Anlage. Rebellenkämpfer hissten am späten Nachmittag nach eigenen Angaben ihre Flagge auf der Residenz Gaddafis. Der Aufenthaltsort Gaddafis war bis zum frühen Dienstagabend weiter unbekannt, die Rebellen vermuteten ihn in einer Bunkerlage unter seiner Residenz.

Die Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen befürchtet, Auslandskorrespondenten könnten in Libyen ins Visier von Gaddafi-treuen Heckenschützen geraten. Momentan sei dies eine der größten Gefahren für Journalisten im Kriegsgebiet, sagte die Leiterin des Referats für den Nahen Osten und Nordafrika, Soazig Dollet, am Dienstag in Paris. "Das ist kein Platz für Anfänger."

In den Krankenhäusern in Tripolis und Umgebung spitzte sich die Versorgungslage nach Angaben der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen zu. "Einigen Krankenhäusern sind lebensrettende Medikamente und medizinisches Material ausgegangen", teilte Nothilfekoordinator Jonathan Whittal am Dienstag mit. "Es gibt Probleme mit der Stromversorgung und zu wenig Treibstoff für Krankenwagen und wichtige medizinische Geräte."

Seit dem Einmarsch der Aufständischen in Tripolis hat es dort nach deren eigenen Angaben bereits über 2.000 Tote gegeben. Trotz des Kampflärms "ist das Gaddafi-Regime am Ende", sagte in Neapel Nato-Militärsprecher Roland Lavoie. Dennoch bleibe Libyen für die Nato weiterhin "eine 24/7-Operation" - also mit Einsätzen rund um die Uhr. Die Lage in Tripolis stufte der Oberst als "sehr komplex" ein, da Häuserkampf eigene Regeln habe und sehr schwierig sei.

Bild links: Ein libyscher Rebell jubelt auf der Statue vor Gaddafis Residenz. Foto: dpa/EPA/Al Arabiya

Ein Eingreifen von Kampfjets der Nato zur Unterstützung der Aufständischen gebe es nicht. "Wir stehen auch nicht in direktem Kontakt mit den Rebellen, um irgendwelche Angriffe zu koordinieren." Dies bedeute nicht, dass es keine Nato-Luftschläge gegen den Gaddafi-Stützpunkt geben könne, so der Sprecher. "Wir bombardieren, wenn von einem Ziel eine Gefahr für die Zivilbevölkerung ausgeht."

Ob Gaddafi sich in dem Stützpunkt Bab al-Asisija aufhalte, könne die Nato nicht sagen. Für die Nato spiele Gaddafi keine Rolle mehr, betonte Lavoie. "Seine Präsenz hat ohnehin nur noch symbolischen Wert für seine Anhänger." Und Nato-Sprecherin Oana Lungescu fügte in Brüssel hinzu, dass "die Zeit nach Gaddafi bereits begonnen" habe.

Nationaler Übergangsrat arbeitet an der Machtübernahme

Ein Nato-Militärsprecher erklärte, das Bündnis habe von Freitag bis Sonntag Flugblätter über Tripolis abgeworfen. Darin seien die Gaddafi-treuen Soldaten aufgefordert worden, die Kämpfe einzustellen. Es habe auch entsprechende Aufrufe gegeben, die auf Radiofrequenzen ausgestrahlt worden seien.

Der Nationale Übergangsrat der Gaddafi-Gegner trieb unterdessen die Vorbereitungen für eine Machtübernahme voran. "Es wird dann sogleich eine provisorische Regierung eingesetzt", sagte der auf der Seite der Rebellen stehende libysche Botschafter in Rom, Hafed Gaddur, der Zeitung "Il Messaggero" (Dienstag). "Innerhalb eines Monats werden dann Wahlen für eine Nationalversammlung organisiert, aus der eine Verfassungskommission hervorgehen wird", erläuterte Gaddur. Über deren Arbeit solle per Referendum entschieden werden.

"Sobald die Verfassung angenommen ist, wird es freie und demokratische Wahlen geben", fügte er an. Das Volk werde einem Gang Gaddafis ins Exil nicht zustimmen, "ihm muss der Prozess gemacht werden für die Verbrechen, die er gegen sein Volk begangen hat".

Der Übergangsrat der libyschen Rebellen soll innerhalb der nächsten Tage aus Deutschland das erste Geld aus einem Regierungsdarlehen über insgesamt 100 Millionen Euro erhalten. Dies kündigte Außenminister Guido Westerwelle am Dienstag in Berlin an. "Das Land darf jetzt nicht in der Zeit nach Gaddafi in Chaos versinken, sondern muss zurückfinden zu geordneten Verhältnissen", sagte Westerwelle. Auch Österreich will eingefrorene Gaddafi-Gelder für den Übergangsrat freigeben.

dpa