Seid nett zueinander: Wenn Politiker mal freundlich sind

Seid nett zueinander: Wenn Politiker mal freundlich sind
Es sollte eine Pause vom Hauptstadt-Wahlkampf werden: Fünf Landespolitiker waren zu Gast im Gottesdienst der Sankt-Marien-Kirche am Alexanderplatz. Wenigstens einmal sollten sie nur Gutes über die politischen Gegner erzählen, so hatte es sich Pfarrer Johannes Krug gewünscht. Doch am Ende wurde der Gottesdienst ein Spiegelbild des Wahlkampfs: Wenn sich niemand richtig streitet, fällt es auch nicht sonderlich auf, wenn alle nur noch nett zueinander sind.
22.08.2011
Von Benjamin Lassiwe

Zunächst freilich lobte Johannes Krug den Streit. Als die Posaunenklänge verklungen waren, und die Gemeinde immerhin zwei der 15 Strophen von "Geh aus, mein Herz, und suche Freud" geschmettert hatte, würdigte der örtliche Geistliche die Politiker als Menschen, die "wissen, dass man den Streit nicht verstecken sollte". Ein guter Streit könne menschliche Beziehungen am Ende vertiefen, der Streit in der Politik könne geeigneten Klärungsbedarf bieten.

Auch die Bibel sei ein Buch voller Streit gewesen: "Jesus Christus war ein Meister in der Kunst des Streits", so Krug. "Er und seine Jünger haben den Streit nicht gescheut, wenn die Zeit dafür gewesen ist." Aber die Bereitschaft, die eigene Position zu verteidigen, könne schnell zu einer Brille werden: Man sehe dann nur noch die negativen Dinge am anderen. Gerade die Kirchen seien ein guter Ort, um dieses Prinzip einmal zu überdenken.

Gemeinsame Leidenschaft für Hertha

Anschließend wurde es Zeit für die Kontrahenten, an das Rednerpult der neogotischen Hauptstadtkirche zu treten. Unter den Epitaphien Berliner Bürgermeister vergangener Generationen, von den vielleicht 70 Besuchern im weitläufigen Gotteshaus neugierig beäugt, begann der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Christian Gaebler, positiv über die CDU und ihren Bundestagsabgeordneten Kai Wegner zu sprechen. "Wir teilen die Leidenschaft für Hertha BSC", zumindest so viel war trotz der miserablen Tonanlage in der Kirche zu verstehen. Die CDU habe ihre Bodenhaftung und ihre Wertegrundlage behalten, das vermittele sie den Menschen in der Stadt erfolgreich.

So ähnlich ging es dann den ganzen Abend weiter: Eine Floskel folgte auf die nächste, Plattitüden gab es am laufenden Band. Da lobte der CDU-Politiker Kai Wegner die Grünen für ihr Festhalten an der Rolle der Umweltpolitik und dafür, dass man in Steglitz-Zehlendorf gemeinsam eine Koalition pflege. Da schmierte der Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Ratzmann dem Kulturpolitiker der Linkspartei, Wolfgang Brauer, Honig ums Maul, als er seine Reden als Bereicherung für das Parlament bezeichnete. Und da würdigte der FDP-Politiker Henner Schmidt die SPD als eine Partei, die seit 150 Jahren leidenschaftlich für die Menschen da sei, besonders für die, die Angst vor Veränderungen haben.

"Ich weiß, was ich an der FDP habe"

Am Ehrlichsten blieb da vielleicht der Vertreter der Linkspartei, Wolfgang Brauer, der aus seiner Abneigung gegen die FDP auch durch den berühmten Blumenstrauß hindurch am Ende keinen Hehl machte. "Mit der FDP stimme ich nur selten überein", sagte Brauer. "Aber ich weiß, was ich an ihr habe: Wenn der Kollege Schmidt meint, der Staat soll sich aus dem öffentlichen Leben zurückziehen, dann meint er es auch so." Und manche klare Positionierung im Parlament würde verloren gehen, wenn es die FDP nicht gäbe.

Zumindest an dieser Stelle war in der Marienkirche auch einmal so etwas wie Spannung zu verspüren. Doch wenn sich Berlins Politiker im Wahlkampf schon jeglicher Form des Streits verweigern, darf man wohl nicht überrascht sein, wenn der Versuch, etwas Freundliches übereinander zu sagen, dank zahlloser Floskeln und Lobhudeleien am Ende im märkischen Sand versickert.


Benjamin Lassiwe arbeitet als freier Journalist in Berlin.