"Wer selten raus geht oder seine Haut bedeckt, ist nicht in der Lage, genügend Vitamin D zu produzieren", sagt die Epidemiologin Christa Scheidt-Nave vom Robert-Koch-Institut. Der Körper erzeuge das Vitamin vor allem durch Sonnenstrahlen auf der Haut. Selbst mildere Mangelzustände könnten langfristig chronische Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems oder Krebserkrankungen zur Folge haben.
Menschen aus Ländern mit hoher Sonneneinstrahlung verfügten mit ihrer dunkler pigmentierten Haut über einen natürlichen Sonnenschutz, erläutert Scheidt-Nave. "Um eine vergleichbare Menge an Vitamin D zu produzieren, müssten sich hier dunkler pigmentierte Menschen etwa sechs Mal so viel der Sonne aussetzen wie hellere Hauttypen." Nur 20 Prozent des Vitamins können dem Körper über Nahrungsmittel wie fetten Fisch oder Ei zugeführt werden. Rund 80 Prozent produziert die Hautoberfläche durch Sonnenstrahlung.
"Bewusstes Sonnenbaden" empfohlen
Islamverbände reagieren zurückhaltend auf die Studien der Mediziner. Ali Ihsan Ünlü, Generalsekretär der Deutsch-Türkisch Islamischen Anstalt für Religion (DITIB), warnt vor einem Missbrauch der Forschungsergebnisse für andere Absichten, beispielsweise ein Kopftuchverbot. "Man sollte die Meinungen der Experten als rein gesundheitliche Kritik auslegen und nicht als Kritik an der Verschleierung", sagte Ünlü, der auch Mediziner ist. Andere Islam-Verbände teilen diese Meinung. Sie sind nach eigenen Angaben mit dem Thema und dem Krankheitsbild bisher nicht in Berührung gekommen.
Der Charité-Professor Hanns-Christian Gunga sieht keinen Grund für übertriebene Furcht vor Hautkrebs infolge der Sonnenstrahlung. Es schade nicht, Gesicht, Arme und Beine zwei bis drei Mal wöchentlich für 20 Minuten der Sonne auszusetzen. "Auch verschleiern sollten wir uns deshalb nur in Maßen", sagte der Berliner Physiologe. Selbst Menschen, die sich aus religiösen Gründen bedeckt kleiden, hätten meist die Möglichkeit, im geschützten Rahmen ihre Verschleierung abzulegen.
An bewusstem Sonnenbaden im Sommer führe kein Weg vorbei, betonte Gunga. Denn Nahrungsergänzungen wie Tabletten oder Tropfen beugten zwar bei Kindern im Wachstum gegen Knochenverformungen vor, bei Erwachsenen lasse sich das Vitamin jedoch schwerer dosieren. Eine Überdosis könne zu Vergiftungserscheinungen führen und die inneren Organe schädigen.
Viele Migrantenkinder mit Vitaminmangel
Beim Vitamin-D-Spiegel gebe es "signifikante" Unterschiede zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund, stellte eine Arbeitsgruppe um Scheidt-Nave fest. Demnach hatten rund 30 Prozent der drei- bis 17-Jährigen mit Migrationshintergrund einen moderaten oder schweren Vitamin-D-Mangel. Studien in arabischen Ländern ergaben, dass Kinder dort häufiger schon durch die Muttermilch nicht ausreichend Vitamin D erhalten.
Besonders Kinder in der Wachstumsphase benötigten das Vitamin, betont Scheidt-Nave. Fast alle erhielten bis zu ihrem zweiten Lebensjahr vorbeugend Vitamin-D-Tabletten. Jetzt werde darüber nachgedacht, wie man auch Jugendliche mit besonderem Risiken, beispielsweise dunklerer Hautfarbe, schützen kann. "Oft wird kein Mangel festgestellt, weil Ärzte nicht genügend über die Risikogruppe wissen", sagt Scheidt-Nave. Die Auswirkungen auf den Knochenstoffwechsel zeigten sich zunächst in eher unbestimmten Symptomen.