Der große Redeschwall: Die Talkoffensive im Ersten

Der große Redeschwall: Die Talkoffensive im Ersten
Die ARD kommt aus der Sommerpause mit fünf Talkshows pro Woche. Günther Jauch übernimmt Anne Wills Sendeplatz am Sonntag nach dem Tatort. Auch wenn sein Debüt mit Spannung erwartetet wird: Die Talkoffensive im Ersten ist heftig umstritten.
19.08.2011
Von Cornelia Wystrichowski

Das Labergeschwader ist im Anflug: Die Sommerpause geht zu Ende, die ARD-Talker kehren aus den Ferien zurück. Den Anfang macht am 31. August Anne Will auf ihrem neuen Sendeplatz mittwochs statt sonntags, auch Reinhold Beckmann ("Beckmann", donnerstags), Frank Plasberg ("Hart aber fair ", montags) und Sandra Maischberger ("Menschen bei Maischberger", dienstags) legen wieder los. Am 11.9. schließlich gibt Günther Jauch auf dem Premiumplatz sonntags nach dem "Tatort" sein mit Spannung erwartetes Debüt mit dem Polittalk "Günther Jauch".

Im Ersten laufen dann jede Woche fünf statt wie bisher vier Talkshows - nicht wenige Experten sehen das als bedenkliche Monokultur. ARD-Programmdirektor Volker Herres bejubelt die Reform dagegen als großen Wurf: "Ein Gesprächsformat mehr im Ersten schafft dem demokratischen Meinungsaustausch und der kontroversen Debattenkultur nun zusätzlichen Raum." Dabei gibt es schon jetzt senderübergreifend rund 30 Talkshows pro Woche im deutschen Fernsehen, ein inflationärer Redeschwall. Wenn nun eine weitere hinzukommt, ist kaum anzunehmen, dass das Buhlen um die Aufmerksamkeit des Publikums zu mehr Tiefgang führt, sondern eher dazu, dass die Sendungen noch marktschreierischer werden.

Themen und Gäste der Talkshows werden koordiniert

Ohnehin bemängeln Kritiker, dass viele solcher Shows politische Debatten auf Schlagworte reduzieren - der Medienexperte Bernd Gäbler etwa begreift Polittalks eher als Entertainment denn als Information.
So mancher Branchenexperte rätselt zudem, was Neueinkauf Günther Jauch dem Zuschauer eigentlich bringen soll. Die ARD mag sich ja freuen, dass sie mit ihm und Thomas Gottschalk demnächst zwei der namhaftesten deutschen TV-Moderatoren im Programm hat. Doch für Publikumsliebling Jauch, der weiterhin für RTL moderieren darf, wird ein tiefer Griff in den Gebührentopf fällig: Dem Vernehmen nach muss der Sender jährlich rund 10,5 Millionen Euro für den Moderator und seine Produktionsfirma springen lassen.

Für das Geld gibt es eine Show, von der Jauch selber im Vorfeld durchblicken ließ, sie werde das Rad nicht neu erfinden. Und ob der allseits beliebte Moderator der RTL-Quizshow "Wer wird Millionär?" den knallharten politischen Talk überhaupt beherrscht, muss er erst mal beweisen.

Damit künftig nicht an fünf Abend pro Woche dieselben Leute über dieselben Dinge reden, soll ARD-Chefredakteur Thomas Baumann Themen und Gäste koordinieren. Zudem hat die ARD im Vorfeld an der Ausrichtung der einzelnen Talks gefeilt. So darf Jauchs Sendung auch mal "emotional bewegend" sein, bei Anne Will gibt es künftig in jeder Sendung einen Hauptgast, bei Beckmann geht es laut Eigenwerbung um "große Namen und starke emotionale Geschichten ", Plasberg soll als "verlässliche Informationsquelle für jeden politisch Interessierten" dienen, und Sandra Maischbergers Talk darf auch mal Servicecharakter haben.

Die Talker schert die Schelte nicht

Dennoch orakelte Medienmanager Fred Kogel neulich in einem Interview: "Bei der ARD wird es infolge der Talkshowflut trotz Talk-Koordinator ein Hauen und Stechen um die besten Gäste für die fünf Talkshows geben." Sogar innerhalb des Senderverbunds ist die Laberoffensive keineswegs unumstritten - so äußerte sich unter anderem der Rundfunkrat des WDR skeptisch zum neuen Programmschema der Intendanten.

Doch bei aller Kritik: Für den Sender ist es im immer härter werdenden Kampf um Marktanteile zweckmäßig, das Programm so zu vereinfachen, dass der gewohnheitsliebende Zuschauer abends weiß, was ihn erwartet. Wenn ein Talkmaster erst einmal seine treuen Fans gewonnen hat, muss der Sender die Zuschauer nicht jede Woche aufs Neue der Konkurrenz abjagen. Außerdem gehört zur neuen Programmstruktur ein einheitlicher Beginn der "Tagesthemen" montags bis donnerstags um 22.15 Uhr, auch das ist ein wichtiger Aspekt im Wettbewerb um die Publikumsgunst.

Wen schert da noch die Schelte von Experten und Kritikern, dass das starre Schema hintergründigen Dokumentationen, Programmexperimenten oder anspruchsvollen Filmen im Weg stehen könnte. Die Protagonisten nehmen das ganze Hickhack um Sinn und Unsinn der Programmreform übrigens zumindest nach außen betont gelassen: Für ein Gruppenfoto zum Start der Talkoffensive stellten sich die fünf Moderatoren brav nebeneinander auf - den Neuzugang Günther Jauch nahmen Plasberg, Maischberger, Will und Beckmann dabei demonstrativ in ihre Mitte.


Cornelia Wystrichowski ist freie Medienjournalistin in Berlin.