Müller: Papstbesuch soll Christen in Deutschland stärken

Müller: Papstbesuch soll Christen in Deutschland stärken
Der katholische Ökumenebischof Gerhard Ludwig Müller erwartet vom Papstbesuch einen Impuls für die Präsenz des Christlichen in Deutschland. "Der Papst kommt als Zeuge und Verkünder des Evangeliums", sagte der Regensburger Bischof in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Müller warnte davor, sich im ökumenischen Gespräch nur auf das gemeinsame Abendmahl zu konzentrieren.
13.08.2011
Die Fragen stellten Rainer Clos und Achim Schmid

Herr Bischof, im September kommt der Papst nach Deutschland. Welche Erwartungen haben Sie an den Besuch des Papstes? Welche Signale und Zeichen sollten von diesem in der Öffentlichkeit stark beachteten Ereignis ausgehen?

Müller: Der Papst kommt als Zeuge und Verkünder des Evangeliums. Dabei erfüllt er seine Aufgabe als der Erste Bischof der Universalkirche: "Stärke deine Brüder" (Lukas 22, 32). Zu erwarten und zu erhoffen ist also, dass durch Gottesdienst und Verkündigung der Glanz des christlichen Glaubens aufscheint, und dass die Kirche als die von Jesus gegebene Gemeinschaft der Glaubenden mit ihrer Sendung in den Mittelpunkt gerückt wird. Die Menschen sollen die Einheit mit Gott spüren und wieder neu erfahren, dass nur der Glaube dem menschlichen Leben Sinn gibt, und dass der Glaube Hoffnung geben kann über die Grenzen des irdischen Lebens hinaus. Deshalb erwarte ich, dass von dem Papstbesuch - auch durch die vielen Menschen, die bei den Gottesdiensten dabei sind oder das Ereignis über die Medien verfolgen - ein Impuls ausgeht für die Präsenz des Christlichen in unserem Land, aber auch in unseren Herzen.

Welche Signale für die Politik können von dem Papstbesuch ausgehen?

Müller: Gerade in der aktuellen Situation braucht die Politik dringend Hoffnungszeichen. Der Papst kann in Politik und Gesellschaft hinein vermitteln, dass die Kirche "Vorbild und Schrittmacher" (Frank-Walter Steinmeier) ist. Die Politik kann aus den Ressourcen, aus denen sie schöpft, allein nicht die philosophisch-existenziellen Grundfragen des menschlichen Daseins beantworten. Die christliche Botschaft ist die Basis für das menschliche Zusammenleben, für die ethische Gestaltung des individuellen Lebens. Der Gesellschaft muss bewusst sein, dass der Mensch sich nicht aus sich selbst heraus erlösen kann, sondern der Gnade und Zuwendung Gottes bedarf. Zwei politische Ideologien, die in Deutschland diese Grundeinsicht verleugnet haben, sind in einer Katastrophe geendet. Sie haben gezeigt, dass der Mensch entweder aus der Liebe Gottes lebt, der unser Schöpfer und Befreier ist, oder zur Unmenschlichkeit verkommt.

Was erwartet den Papst in Deutschland?

Müller: Zunächst einmal ein zutiefst christlich geprägtes Land. Daneben gibt es natürlich auch die große Tendenz zur Säkularisierung, also des Versuchs, die Gesamtheit der Existenz ohne Bezug auf Gott zu gestalten. Doch diese Bewegung hat noch nicht den Beweis erbracht, dass sie auch zielführend ist. Niemals wird es gelingen, den Menschen ohne Bezug auf Transzendenz zu definieren, und zwar zu einem personalen Gott, der sich dem Menschen offenbart hat.

Zuletzt war der Papst 2006 in Deutschland. Bei seinem Besuch in Bayern gab es eine denkwürdige Regensburger Rede. Damals löste er bei Muslimen mit einem Zitat eines mittelalterlichen Kaisers Irritationen aus, bei Protestanten mit seinen Äußerungen zu Verhältnis von Glaube und Vernunft. Wie wird die Papstrede im Bundestag ausfallen?

Müller: Von einem Denker der Statur des Papstes und eines ganz großen Theologen kann man davon ausgehen, dass die Rede Tiefgang haben wird und in Zusammenhängen gedacht ist. Deshalb war es ja bei der Rede des Papstes in Regensburg so problematisch, dass einzelne Zitate herausgegriffen wurden, zu Schlagzeilen verkürzt oder gar ins Gegenteil verkehrt worden sind. Mit dem Bezug auf den mittelalterlichen Kaiser hatte der Papst lediglich deutlich gemacht, dass jede Religion, die auf Gott bezogen ist - wie natürlich auch der Islam - Gewalt gegen Menschen prinzipiell ausschließt. Die brutalen Reaktionen in einigen Ländern gegen Christen damals haben den Papst leider bestätigt und die Perversion von einer Berufung auf die Religion gezeigt. In der Verhältnisbestimmung von Glaube und Vernunft sind evangelische und katholische Theologie anders aufgestellt. Das ist aber kein rein konfessioneller oder systematischer Gegensatz. Es gab im 19. und 20. Jahrhundert die Tendenz in der evangelischen Theologie, auch in der katholischen Theologie, das Christentum auf eine reine Kulturerscheinung zu reduzieren. Natürlich hat das Christentum eine wesentlich Kultur bildende Rolle, aber darauf lässt es sich nicht verkürzen. Das Christentum ist personale Beziehung zum transzendenten Gott, der in Christus Mensch geworden ist.

Der Papst besucht in Erfurt auch eine bedeutende Lutherstätte. Kann das zu einer katholischen Neubewertung des Reformators führen?

Müller: Die katholische Lutherforschung ist dem Papst selbstverständlich vertraut und bekannt. Man kann von den Katholiken nicht erwarten, dass sie alles, was Luther gesagt und getan hat, heilig sprechen. Es gibt auch bleibend dogmatische Gegensätze, die bis heute nicht überwunden sind. Auf der anderen Seite gehören die reformatorischen Spitzenaussagen zu Sola Fide, Sola Gratia und Sola Scriptura (lateinisch: Allein durch den Glauben, Allein durch Gnade, Allein durch die Schrift) zu den Grundkonzeptionen des christlichen Glaubens und sind auch katholisch interpretierbar. Unser gemeinsames Anliegen und christliches Gemeingut ist, dass - wie auch von Luther vertreten - das Evangelium ans Licht gebracht wird. Dogmatische Unterschiede gibt es gewiss noch zu Luthers Verständnis der Sakramente, ihrer Zahl und Wirkung, und der apostolisch-sakramentalen Verfassung der Kirche. Aufgabe der ökumenischen Theologie ist es, diese Widersprüche im Bekenntnis zurückzubilden auf legitime Schulunterschiede.

Ist das Reformationsjubiläum 2017 für katholische Christen ein Grund zum Feiern? Worin könnte dennoch die ökumenische Dimension dieses Datum bestehen?

Müller: Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass Reformationsjubiläen eher die Gegensätze verschärft haben, zu konfessionalistischer Verengung und Frontstellungen geführt haben. Vier liegen schon hinter uns. Das war immer Anlass zur Aufwallung der Emotionen, wenn man versucht hat, sich als die besseren Christen hinzustellen. 2017 würde nichts für uns bringen, wenn der Protestantismus als die vorweggenommene Moderne dargestellt wird. Eine Gegenüberstellung von Subjektivität und Freiheit des Gewissens gegenüber Lehramt und Tradition würde den Gegensatz vertiefen. Diese Klassifizierungen sind undurchdacht und nicht hilfreich, sondern verfestigen nur die Trennung. Stattdessen müssen wir fragen, was das Uranliegen der anderen Seite ist und inwieweit man sich damit identifizieren kann. Die Gegensätze sind nicht so absolut und unüberbrückbar, wie es oftmals dargestellt wird.

Was würden Sie also der evangelischen Kirche im Blick auf 2017 empfehlen?

Müller: Das Reformationsgedenken 2017 soll als Schicksalstag der Christenheit erlebt werden, die unter der Spaltung leidet. Die konfessionelle und liturgische Spaltung der Kirche des gemeinsamen Herrn Jesus Christus muss als widernatürlich erkannt werden. Die katholische Seite sollte die ehrlichen Motive Luthers anerkennen, wie auch die Evangelischen die tiefere Intention der katholischen Kirche sehen sollten und warum sie nicht mit allen Zuspitzungen auf Seiten der Reformatoren übereinstimmen kann. Das Lehramt ist nach katholischer Lehre direkt von Christus eingesetzt und im Heiligen Geist wirksam, woraus sich dann auch die Lehrautorität ableitet und die Kompetenz, die Theologie einzelner Autoren zu korrigieren. Nicht aus dem Blick geraten darf, dass es bei diesen Auseinandersetzungen um die  zentralen Fragen des Glaubens geht, wie der Weg zum Heil aussehen muss. Im ökumenischen Gespräch sollte nicht die Kontroverse, der Streit vorherrschen, sondern das wechselseitige Verständnis für die jeweils andere Position. Ökumenische Theologie bedeutet nicht Auseinandersetzung um unwichtige Fragen: ob und wie Christus der einzige Mittler ist, ist nicht nebensächlich. Es geht um eine wechselseitige Integration, damit es am Ende nicht Verlierer und Gewinner gibt, sondern eine vertiefte Einsicht auf beiden Seiten, die sich in Christus als die eine Kirche wiederfinden.

Einen Höhepunkt der Papstreise sehen Beobachter in dem Treffen Benedikts mit Vertretern der evangelischen Kirche. Kann die Begegnung in Erfurt einen "ökumenischen Frühling" einleiten, nachdem zuletzt von Eiszeit und Stillstand die Rede war?

Müller: Charakterisierungen der evangelisch-katholischen Ökumene als Eiszeit oder Stillstand sind Klischees, die mit der Realität nichts zu tun haben. Das ist alles zu poetisch und zu wenig sachkundig ausgedrückt. Aber hier geht es um anstrengende Arbeit. Darin haben wir nicht nachgelassen, sondern sind in vielen Punkten vorangekommen. Wer eine Ahnung hat davon, was in 500 Jahren an Auseinanderleben bis Entfremdung und Feindseligkeit erfolgt ist, der kann nur über das Wunder staunen, dass wir auf dem Weg zur vollen Einheit sind. Ökumenische Theologie ist keine Meteorologie, von Jahreszeiten oder Saison abhängiges Tun. Ich erwarte, dass in Erfurt noch einmal der unumkehrbare Weg bestätigt wird, der uns allen aufgetragen ist zur größeren Gemeinschaft und Einheit. Es geht nicht um Rückkehrökumene gegenüber den Protestanten oder um ein Nachholen der Reformation auf katholischer Seite. Mein Bild ist das eines großen Stromes, der sich geteilt hat, mit demselben Inhalt separat weitergeflossen ist und am Ende wieder zusammenkommt. Deshalb lässt sich nicht der eine Weg einfach als Irrweg charakterisieren. Man muss das Datum als Schicksalsschlag der Trennung der Christenheit annehmen. Das ist ein historisches Faktum, das sich nicht rückgängig machen lässt. Unsere Aufgabe ist es, tiefere Gemeinsamkeit zu entdecken und zusammen die Gottvergessenheit von heute zu überwinden und das Evangelium zum Leuchten zu bringen in unserer Gesellschaft. Nur so kommen wir uns näher, ohne dem eigenen Wahrheitsgewissen Gewalt antun zu müssen.

Das Bild des getrennten Stroms spricht dafür, dass es noch ein weiter Weg ist, bis die Flüsse wieder zusammenkommen. Dennoch ist die Ungeduld groß, besonders in der Frage des gemeinsamen Abendmahls. Sehen Sie denn eine Abkürzung für konfessionsverbindende Ehepaare?

Müller: Man muss dem inneren Zusammenhang von Eucharistie, Glaubensgemeinschaft und Kirche Rechnung tragen, der für den katholischen Glauben konstitutiv ist. Deshalb sieht es von außen so aus, als sei die evangelische Seite in der Abendmahlsfrage großzügiger. Unsere Haltung ist nicht restriktiver, sondern sie muss dieser Grundeinsicht gerecht werden, dass Sakramente und Kirche zusammengehören. In besonderen Einzelfällen und bei einzelnen Personen gibt es unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, dass ein evangelischer Christ, der ja getauft ist und damit zur Kirche Christi gehört, zur heiligen Kommunion gehen kann. Aber wenn man in einer konfessionell unterschiedlichen Ehe lebt, kann das an sich noch nicht die Voraussetzung sein. Wir wissen, dass die Spaltung der Christenheit in konfessionell gemischten Ehen und Familien besonders belastend ist. Aber ich empfehle, dass wir uns nicht nur auf den Kommunionempfang konzentrieren. Es gibt viele evangelische Gottesdienste ohne Abendmahlsfeier. Auch in der katholischen Kirche ist es nicht Pflicht, in jeder Messe zur Kommunion zu gehen. Wir müssen deshalb immer betonen, dass der Sonntagsgottesdienst im evangelischen Bereich und die katholische Messe nicht reduziert werden können auf den Kommunionempfang. Zur Liturgie gehören Gottesverehrung, Gebet, Bekenntnis und das Hören des Wortes Gottes - das ist sehr viel an Gemeinschaft in Christus.