TV-Tipp: "Polizeiruf 110: Kellers Kind" (WDR)

TV-Tipp: "Polizeiruf 110: Kellers Kind" (WDR)
Der Sohn eines Künstlers ist verschwunden. Die Entführer melden sich nicht. In Ermangelung befriedigender Verdächtiger konzentriert sich Selges Geschichte daher auf die Opfer.
03.08.2011
Von Tilmann P. Gangloff

"Polizeiruf 110: Kellers Kind", 11. August, 20.15 Uhr im WDR

Bloß vier Fälle lang durfte Jan-Gregor Kremp als "Polizeiruf"-Kommissar in Bad Homburg ermitteln. "Kellers Kind" war der würdige Abschluss. Kremp konnte hier noch mal alle melancholischen Register ziehen: Gerade hat seine Freundin das gemeinsam Baby verloren, nun kehrt er heim, sein Blick fällt auf die leere Wiege, er setzt sich ans Klavier, spielt "Guten Abend, gute Nacht" und weint.

"Kellers Kind", das wird rasch klar, ist nicht annähernd so übermütig und verspielt wie Titus Selges erste Krimis mit Kremp, "Der Prinz von Homburg" und "die Mutter von Monte Carlo". Es ist nie komisch, wenn Kinder sterben oder zumindest in großer Gefahr schweben. Trotzdem kann Selge es nicht lassen, und das hebt seine Geschichten selbst aus dem gern mit einem Schuss Skurrilität versehenen "Polizeiruf"-Umfeld heraus: Der Film beginnt keck als "Tatort". Zumindest erklingt zu Beginn die unverkennbare Titelmelodie; wenn auch nur aus einem Fernseher. Den Hinweis, so er denn einer ist, versteht man erst, wenn man das Ende kennt: alles inszeniert.

Keller tappt im Dunkeln

Zunächst aber tappt der angeschlagene Keller komplett im Dunkeln: Der Sohn eines Künstlers (Martin Feifel) ist verschwunden, offenbar verschleppt, auch wenn sich die Entführer nicht melden. In Ermangelung befriedigender Verdächtiger konzentriert sich Selges Geschichte daher auf die Opfer: den dünnhäutigen Vater, seine überraschend unbetroffene Lebensgefährtin Aglaia (Birgit Minichmayr) und die etwas theatralisch auftretende Mutter des Jungen (Juliane Köhler). Besonders viel Aufmerksamkeit widmet der Film einer Frau, die deutlich zu alt für den Begriff "Kindermädchen" ist: Mona (Inka Friedrich) ist vom Entführer niedergeschlagen worden und untröstlich, ihr Bruder (Frank Giering) hingegen ein Verdächtiger wie aus dem Bilderbuch; ein vierschrötiger Hinterwäldler, der der menschlichen Gesellschaft die seines Wolfshundes entschieden vorzieht. Ein Motiv hätte er zwar nicht, doch vielleicht steckt ja Aglaia mit ihm unter einer Decke: Ist der Thronerbe erst mal beseitigt, rückt ein noch zu zeugendes zweites Kind automatisch an die erste Stelle.

Aber eigentlich ist Selge sein Protagonist viel wichtiger, weshalb die Filmmusik (KAB Fischer) das Motiv des Kinderliedes immer wieder aufgreift. Außerdem muss sich Keller auch noch mit einer Ex (Catrin Striebeck) herumplagen. Dieser Seitenstrang ist der Wahrheitsfindung zwar in keiner Hinsicht dienlich, aber er erhellt zumindest eine weitere Charakterfacette des traurigen Kommissars. Der ist vom HR nach diesem Film in den Ruhestand geschickt worden, weil seine Quote nicht stimmte; Selges Tetralogie bleibt in der Geschichte der Reihe somit ein Solitär. Eigentlich schade; aber vielleicht auch gut so.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).