Einen Teil des vergangenen Wochenendes hat Sebahat Yazici mit Saubermachen verbracht. Auf diese Weise bereitete sie sich auf den bevorstehenden Fastenmonat vor. Putzen vor Beginn des heiligen Monats Ramadan gehört zu ihrem persönlichen Ritual. So hat es Sebahat von ihrer Mutter gelernt. Ein religiöse Regel ist das aber nicht, wie die zweifache Mutter weiß. Mit Geboten und Verboten im Islam kennt sich Sebahat Yazici bestens aus, wie auch ihr Ehemann Tahsin, Tochter Sümeyye und Sohn Yasin.
Ganz anders sah Tahsins Vorbereitung auf den Ramadan aus: Der Geschäftsmann, der in Hanau einen Handy-Laden betreibt, kaufte beim Schlachter seines Vertrauens Lammkeulen und portionierte diese für die Tiefkühltruhe. In den nächsten Wochen wird seine Frau aus dem Fleisch so manch ein Mahl fürs Fastenbrechen zubereiten.
Der islamische Monat Ramadan, der sich nach dem Mondkalender richtet und sich jährlich um elf Tage verschiebt, beginnt am heutigen Montag und endet am 29. August. Die Fastenzeit läutete Familie Yazici am Sonntagabend in der Moschee ein – beim gemeinschaftlichen Teravi-Gebet, wie das Nachtgebet zu Ramadan in der Moschee auf Türkisch genannt wird. So sehr der Fastenmonat eine Zeit des Verzichts ist, denn von Tagesanbruch bis Sonnenuntergang darf weder gegessen und getrunken noch anderen sinnlichen Genüssen wie Rauchen und Sex gefrönt werden, so sehr ist es auch eine Zeit der Geselligkeit und des Zelebrierens religiöser Gebote in der Gemeinschaft.
Das "Iftar" ist längst keine Armenspeisung mehr
"Zwar nicht jeden Abend, aber so oft es möglich ist, werde ich zum Teravi in die Moschee gehen", sagt Tahsin. In den kommenden vier Wochen wird Familie Yazici so manches Mal auch gemeinsam zur Moscheegemeinde in der Hanauer Innenstadt fahren. Nicht nur zum Teravi-Gebet, sondern um am gemeinsamen Fastenbrechen teilzunehmen. Inzwischen hat es sich nämlich hierzulande in vielen Moscheevereinen zu einem Ritual entwickelt, dass Muslime in den Räumen ihrer Gemeinde ein so genanntes Iftar ausrichten.
Tahsin Yazici in seinem Handyladen in Hanau. Foto: Canan Topçu
Für Iftar, so heißt das Mahl am Ende des Fastentages auf Türkisch, will auch das Ehepaar Yazici in ihrer Moscheegemeinde spendieren. Eine Armenspeisung, wie es im herkömmlichen Sinne bedeutet, ist es aber längst nicht mehr, "Denn hier muss ja keiner hungern", wie Sebahat und Tahsin sagen. Doch diesem religiösen Gebot zu folgen, ist dem Ehepaar Yazici wichtig. Abgewichen wird inzwischen von einer Gepflogenheit, die zu viel Aufwand bedeutet. "Anfangs haben die Frauen das Essen fürs Iftar in der Gemeine selbst zubereitet", berichtet Tahsin. Doch diese Mühen möchte den Frauen niemand mehr zumuten. Inzwischen werden die 100 und mehr Essensportionen für das Mahl in der Moscheegemeinde bei einem muslimischer Caterer bestellt.
Auch Helga und Axel werden eingeladen
Kochen wird Sebahat bis zum Ende des Ramadan also in kleineren Mengen - aber mehr, als sie sonst gewohnt ist. Denn das Ehepaar Yazici hat schon zu Beginn des Ramadan für die kommenden Wochen mehre Einladungen zu sich nach Hause ausgesprochen. "Ich koche viel mit Gemüse und Gerichte, die wir nicht immer essen", erzählt Sebahat. Am großen Esstisch im Wohnzimmer versammelt Familie Yazici nicht nur Verwandte und türkische Freunde, sondern auch ihre deutschen Nachbarn Helga und Axel.
Das Rentnerehepaar wohnt im Haus gegenüber und ist immer wieder Gast bei den Yazicis. "Uns ist es wichtig, dass unsere deutschen Nachbarn mitbekommen, wie wir unsere Religion leben und unsere Feste feiern", sagt Tahsin. Wie sollten sie es mitbekommen, wenn sie nicht eingeladen würden, daran teilzuhaben. Schließlich habe auch er auf diese Weise von den Deutschen mitbekommen, was ihnen Ostern und Weihnachten bedeutet, erklärt der 41-Jährige.
Der heilige Monat Ramadan steht auch im Zeichen der Versöhnung und das abendliche Fastenbrechen soll einen Anlass bieten, sich einen Ruck zu geben und Menschen, mit denen man in Streit geraten war, zum gemeinsamen Mal einzuladen und sich zu entschuldigen. Tahsin und Sebahat wissen darum. Während Tahsin seinem Gegenüber das erklärt, schmunzelt er und sagt schließlich: "Wir liegen Gott sei Dank mit niemanden im Klinsch."
Die Familie sucht Gemeinschaft in Hanau
Im Gegensatz zu Tahsin, der seit Kindesalter in Hanau lebt, wuchs seine gleichaltrige Frau an der Schwarzmeerküste auf und kam vor nunmehr 21 Jahren als Braut nach Deutschland. Wenn Sebahat davon spricht, "dass hier von der besonderen Atmosphäre im Radaman nicht viel zu spüren ist", dann speist sich dieser Vergleich aus ihren Erlebnissen im Dorf. Es ist eine Feststellung ganz ohne Wertung. "Wenn die Nachbarschaft nicht aus Muslimen besteht, dann ist die Stimmung halt eine andere", meint Sebahat.
So ganz verzichten möchte Familie Yazici auf diese "besondere Stimmung" im Fastenmonat aber nicht. "Dafür muss man selbst sorgen", sagt Tahsin. Selbst dafür sorgen, das bedeutet eben, die Gemeinschaft der Muslime suchen und Einladungen für das gemeinsame Fastenbrechen aussprechen. In Hanau leben "zum Glück", wie Sebahat sagt, auch etliche muslimische Familien, es gibt mehrere Moscheegemeinden und somit die Möglichkeit, den religiösen Ritualen auch in der Gemeinschaft zu folgen.
Am Sonntagabend waren die Yazicis kurz vor Mitternacht wieder daheim, und bevor sie sich schlafen legten, saßen sie am Tisch in der Küche zusammen und aßen noch ein paar Häppchen und tranken reichlich Tee und Wasser. Vom heutigen Montag an werden die Yazicis fasten - vom Tagesanbruch bis Sonnenuntergang, dem Kalender nach heute um 21.15 Uhr. Mit einer Dattel und einem Glas Wasser werden sie dann ihr Fasten brechen. Anschließend darf geschlemmt werden. Bis zum letzten Tag des Ramadan am 29. August verkürzt sich die Zeit des Fastens, gegessen wird dann schon ab 20.30 Uhr.
Sportunterricht und Fasten: Das passt nicht zusammen
Religion spielt im Leben der Yazici nicht nur während des Ramadan eine große Rolle, auch außerhalb des Fastenmonats folgen sie den Geboten und Verboten, wie es der Islam vorsieht. Sebahats betet fünf mal am Tag und lebt ihre Frömmigkeit so, dass sie auch für Außenstehende sichtbar ist: Sie trägt – im Gegensatz zu ihrer 19-jährigen Tochter - ein Kopftuch. Fromm sein bedeutet für das Ehepaar Yazici jedoch, im Bezug auf religiöse Praxis keinen Zwang anzuwenden und etwa, es der Tochter zu überlassen, wie sie ihr Haar tragen möchte.
Das gilt auch fürs Beten und das Fasten. Weder der 16-jährige Sohn noch die Tochter werden dazu gezwungen. "Ich habe Sümeyye ausdrücklich erklärt, dass sie nicht fasten sollte, wenn sie Sportunterricht hat", sagt Sebahat. Sport ist nämlich eines der Leistungsfächer ihrer Tochter, die im kommenden Jahr das Abitur machen wird.
Die Schulkammeraden von Sümeyye reagieren unterschiedlich auf ihr Fasten. Manche beißen, wie die 19-Jährige in den Jahren zuvor erlebt hat, demonstrativ vor ihren Augen in ihre Stullen; andere wiederum seien rücksichtsvoller als es nötig sei und verzichteten in ihrer Gegenwart auch aufs Essen und Trinken. "Mir fällt das Fasten nicht schwer", erzählt die Gymnasiastin. Es sei immer wieder eine Herausforderung und . "Abends mit Menschen an einem Tisch sitzen, die die gleiche Erfahrung von Hunger und Durst gemacht haben, das ist schon etwas Besonderes", sagt Sümeyye. Und sie sagt, dass sie sich freue auf den Ramadan. Es klingt überzeugend.
Canan Topçu ist Journalistin und widmet sich seit vielen Jahren den Themen rund um Migration, Integration und Islam. Sie lebt in Hanau und arbeitet für unterschiedliche Medien.