Die Bahn stellt Aufträge gegen Geißlers Kompromissbahnhof

Die Bahn stellt Aufträge gegen Geißlers Kompromissbahnhof
Heiner Geißler wollte "Frieden für Stuttgart" bringen. Doch sein so betitelter Kompromissvorschlag sorgt für noch mehr Verwirrung im jahrelangen Streit um Stuttgart 21. Die Bahn gibt sich nicht lange damit ab und schafft Fakten.
30.07.2011
Von Bernward Loheide

Die Bahn hat den Kompromissvorschlag des Stuttgart-21-Schlichters Heiner Geißler abgelehnt und Bauaufträge für das Projekt im Gesamtwert von 700 Millionen Euro vergeben. Ein Viertel der gesamten Projektvergaben sei damit abgeschlossen, teilte Bahnvorstand Volker Kefer am Samstag in Berlin mit. Die für November geplante Volksabstimmung will der bundeseigene Konzern nicht abwarten. "Wir werden natürlich weiterbauen. Wir werden völlig unaufgeregt dieses Projekt fortführen, so wie es notwendig, sinnvoll und richtig ist", sagte Kefer der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".

Geißler hatte am Freitag überraschend eine Kombination vorgeschlagen: den oberirdischen Kopfbahnhof für den Nahverkehr zu nutzen und den geplanten unterirdischen Durchgangsbahnhof für den Fernverkehr. Das Projekt Stuttgart 21 sieht bislang einen Tiefbahnhof anstelle des Kopfbahnhofs vor. Der Neubau soll 4,1 Milliarden Euro kosten, für seine Kompromissvariante veranschlagt Geißler 2,5 bis 3 Milliarden Euro.

Baden-Württembergs grün-rote Landesregierung will die Chancen für den Kompromiss ausloten. Sie teilte mit: "Die Landesregierung nimmt den Vorschlag von Heiner Geißler ernst und wird ihn in verkehrlicher, finanzieller und planungsrechtlicher Hinsicht auf seine Tragfähigkeit überprüfen. Die Landesregierung will mit der Deutschen Bahn über das weitere Vorgehen sprechen."

Der Vorschlag kommt vom Stresstest-Büro

Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) sieht in dem Diskussionsprozess eine große Chance. "Das renommierte Verkehrsberatungsbüro sma hat den Vorschlag mitentwickelt; das gibt ihm hohes Gewicht", sagte ein Sprecher Hermanns. Zudem werde derzeit in Zürich ein ganz ähnliches Modell umgesetzt.

Die Vergabe der neuen Bauaufträge schafft nach Ansicht der Regierungskoalition keine unumkehrbaren Fakten. "Der Zeitplan für die Volksabstimmung steht", sagte der SPD-Fraktionsvorsitzende Claus Schmiedel der Nachrichtenagentur dpa in Stuttgart. "Die Aufträge sind im Herbst noch nicht ausgeführt." Ein Ausstieg aus dem Projekt sei daher weiterhin möglich, ebenso ein Umstieg auf den Kompromissvorschlag.

Den Zuschlag für die Millionenaufträge erhielt eine Bietergemeinschaft unter Federführung der österreichischen Porr-Gruppe. Sie soll den 9,5 Kilometer langen Fildertunnel bauen, der den geplanten Tiefbahnhof mit dem Flughafen verbindet. Zudem erhielt sie den Zuschlag für den Bau der Tunnel nach Ober- und Untertürkheim. "Wir können mit Stolz sagen, dass wir vollauf im geplanten Kostenrahmen liegen", sagte Projektsprecher Wolfgang Dietrich der Zeitung "Sonntag Aktuell". "Das Argument der Gegner, es werde ohnehin alles teurer, ist damit also schon mal bei 25 Prozent des Gesamtprojekts entkräftet."

Bahn lässt sich auf neuen Belastungstest ein

Geißler warnte dagegen im Radiosender SWR1: "Stuttgart 21 ist mit enormen finanziellen Risiken verbunden, die schlecht kalkulierbar sind." Die Kombilösung sei "billiger und zweimal besser". Bei Zustimmung aller Beteiligten sei sie auch baurechtlich in absehbarer Zeit umsetzbar.

Die Deutsche Bahn entgegnete, der Kompromiss würde das Projekt um zehn Jahre zurückwerfen. Für die vorgeschlagene Kombination gebe es keinerlei Planfeststellung, sagte ein Konzernsprecher der dpa. "Nur weil ein neuer Vorschlag im Stadium einer Idee vorliegt, gibt es keinen Grund, ein Bauprojekt zu unterbrechen." Die Bahn habe "nicht nur Baurecht, sondern auch Baupflicht", betonte er. "Es gibt abgeschlossene Verträge. Wir haben keine Wahl."

Allerdings werde die Bahn - wie vom Gutachterbüro sma vorgeschlagen - einen neuen, modifizierten Simulationslauf für den geplanten Tiefbahnhof machen. Mit dem für den Stresstest entworfenen Fahrplan sollen in den kommenden Wochen 100 Betriebstage noch einmal virtuell durchgespielt werden. Das Ergebnis werde erneut von der sma testiert und dann veröffentlicht, kündigte die Bahn an.

Aktionsbündnis gegen S21 sieht möglichen Kompromiss

Das Bundesverkehrsministerium kündigte zwar eine Prüfung des Geißler-Vorschlags an. Allerdings sagte Minister Peter Ramsauer (CSU): "Das ist nichts Neues, sondern eine uralte Variante, die vor vielen Jahren bereits schon einmal verworfen wurde." Stuttgart 21 habe den Stresstest bestanden, fügte er in der "Passauer Neuen Presse" (Samstag) hinzu. "Jeder ist jetzt aufgefordert, seiner vertraglich vereinbarten Projektförderungspflicht nachzukommen und das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 voranzutreiben."

Auch die Opposition im Südwesten kritisierte Geißler und dessen Vorschlag. "Das Verfahren hat mehr Verwirrung geschaffen als Ruhe gebracht", sagte eine Sprecherin des CDU-Fraktionsvorsitzenden Peter Hauk der dpa. "Wenn man jetzt den Kompromiss nimmt, dreht man das Rad zurück auf Null für ein Modell, das man schon vor 15 Jahren abgelegt hat, weil es keine Vorteile bringt." Der Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion, Hans-Ulrich Rülke, bewertete die Idee als "völlig verrückt" und "Vorschlag aus Absurdistan".

Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 sieht in der Kombilösung dagegen einen möglichen Kompromiss. Sprecherin Brigitte Dahlbender forderte aber einen sofortigen Bau- und Vergabestopp. Ähnlich äußerte sich der Sprecher der "Parkschützer", Matthias von Herrmann: Man brauche Zeit, um Geißlers Vorschläge in Ruhe zu prüfen. Die Bahn dürfe in dieser Zeit keine Fakten schaffen.

dpa