TV-Tipp des Tages: "Ein starker Abgang" (Arte)

TV-Tipp des Tages: "Ein starker Abgang" (Arte)
Kilian, ein gealterter Schriftsteller, dessen große Zeit schon lange zurückliegt, ist ein zynischer Menschenfeind. Ein großartig gespielter, heiterer, nachdenklich stimmender Film mit einem unvergleichlichen Bruno Ganz.
29.07.2011
Von Tilmann P. Gangloff

"Ein starker Abgang", 30. Juli, Arte, 21.55 Uhr auf Arte

Es ist nur ein Grummeln im Magen, aber es bringt Heinz Kilian um den Schlaf: Jeden Morgen um halb vier wacht er davon auf. Zum ersten Mal seit vielen Jahren geht er zum Arzt. Der sagt ihm ziemlich unverblümt, er sehe viel älter aus, als er tatsächlich sei. Kein Wunder: Kilian, ein gealterter Schriftsteller, dessen große Zeit schon recht lange zurückliegt, ist ein derart zynischer Menschenfeind, dass es niemand lange mit ihm aushält. Eine Magenspiegelung ist zwar ergebnislos, doch zur nächsten Lesereise stellt ihm sein Verlag eine Frau zur Seite, die den Autor zum gesunden Lebenswandel bewegen soll. Vera Hartels sanfte, aber bestimmende Art bringt Kilian natürlich erst recht auf die Palme, und so wird seine letzte Reise zu einem unvergesslichen Erlebnis.

Ein brillianter Bruno Ganz

Es hat schon viele große Grantler gegeben, aber Bruno Ganz ist als Misanthrop so brillant, dass selbst Vorbilder wie W.C. Fields oder Charles Laughton verblassen. Martin Rauhaus hat ihm Dialoge geschrieben, die wie feingeschliffene Flusskiesel wirken und doch zutiefst verletzend sind. Natürlich ist das grobkörnige Auftreten bloß Fassade und Schutz, aber dank Ganz’ Verkörperung wird auch deutlich, wie sehr Kilian dieses Verhalten längst verinnerlicht hat. Monica Bleibtreu hingegen interpretiert ihre Rolle als impertinente Beraterin gänzlich gelassen, weil sie Kilian von Anfang an durchschaut.

Die Konstellation erinnert ein wenig an Rainer Kaufmanns großes Werk "Marias letzte Reise" (mit Bleibtreu in der Titelrolle), zumal beide Filme ausgesprochene Tragikomödien sind. Da sich Kilian allerdings keineswegs für todkrank hält, ist "Ein starker Abgang" über weite Strecken eine grimmige Abrechnung, denn der Schriftsteller nutzt jede sich bietende Gelegenheit, um sich zu inszenieren. Gerade diese Momente gehören allerdings zu den schwächeren des Films, wenn Kilian beispielsweise den Besuchern einer Autobahnraststätte einen Vortrag über die frühere Gastfreundschaft solcher Etablissements hält oder sich in der Fußgängerzone lautstark über die Nivellierung der Innenstädte echauffiert. Andererseits unterstreicht die Künstlichkeit der Szenen natürlich nur, wie bizarr diese theatralischen Auftritte sind. Rauhaus aber hat es garantiert enormen Spaß gemacht, sich die entsprechenden Monologe auszudenken.

Kilian trifft auf Menschen am Wegesrand

Viel schöner sind jedoch die kleinen Episoden, in denen Kilian auf Menschen am Wegesrand trifft, zumal Kaufmann diese Figuren geradezu verschwenderisch besetzt hat. Die Ärzte zum Beispiel werden von Jörg Gudzuhn, August Zirner und Ulrich Noethen gespielt. Als Patient, der schon so viel Zeit in Wartezimmern verbracht hat, dass er stets ein eigenes Kissen mitnimmt ("Gerhard sein Kissen" ist drauf gestickt), liefert Gustav Peter Wöhler ein wundervolles Kleinod. Stefan Kurt spielt Kilians Patenkind, den Sohn des früheren Verlegers und heutigen Besitzer des Verlags, der praktisch pleite ist. Dramaturgisch ein Fremdkörper, aber trotzdem hübsch anzuschauen ist ein Nebenstrang mit Fritzi Haberlandt als Cowgirl, das eine der Lesungen mit einem Song der Dixie Chicks einleitet, woraufhin sich Kilians Fahrer (Harald Schrott) rettungslos in sie verliebt.

Auf ganz wunderbare Weise konfrontieren Rauhaus und Kaufmann ihren Helden auf diese Weise immer wieder mit positiven Zeitgenossen. Zunächst nutzt Kilian diese Begegnungen noch, um sich provoziert zu fühlen, doch die freundliche Hartnäckigkeit seiner Begleiterin bleibt nicht ohne Folgen; am Ende ist der Schriftsteller zwar dem Tod geweiht, aber ein besserer Mensch geworden.

Dankenswerter muss die Kamera (Klaus Eichhammer) nie für aufgesetzte Dynamik sorgen. Unterlegt werden die Bilder von einem lakonischen Blues (Annette Focks), der zunächst gar nicht zu passen scheint, aber trotzdem einen schönen melancholischen Kontrast zu den komödiantischen Elementen darstellt. Ein großartig gespielter, heiterer, nachdenklich stimmender Film mit einem unvergleichlichen Bruno Ganz.

 


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).