Mittelalter-Gottesdienst: "Eine Form von Mission"

Mittelalter-Gottesdienst: "Eine Form von Mission"
Es ähnelt einem Schauspiel: Der mittelalterliche Markt in Wallrabenstein im Taunus beginnt mit einem mittelalterlichen Gottesdienst. Vor altertümlicher Kulisse spricht die Pfarrerin die Eingangsworte auf Latein. Die evangelischen Kirche will damit wieder mehr Menschen begeistern; ja, mehr noch: sie will sie missionieren.
28.07.2011
Von Christoph Kirchhoff

Ein lauer Sommermorgen im Grünen. Begleitet von Trommeln und Dudelsackklängen ziehen Mönche, Ritter, Bauern und Edelleute durch das Stadttor zum Heerlager. Ein Franziskanerbruder, der ein aus Birkenästen gefertigtes Kreuz trägt, führt die Prozession an. Nachdem Stille eingekehrt ist, löst sich Pfarrerin Stefanie Glaser aus der Gruppe und beginnt den Gottesdienst in lateinischer Sprache: "In nomine patris et filii et spiritu sancti".

Der Mittelalter-Gottesdienst in Wallrabenstein wird von der evangelischen Kirchengemeinde und dem Mittelalter-Verein "Freie Kriegerschaft Taunus" veranstaltet. "Wir machen hier eine Form von missionarischer Arbeit", sagt Kirchenvorsteher Dieter Günther, selbst begeisterter Mittelalter-Freund.

Als Dominikanermönch "Dieter von Nassau", der im 13. Jahrhundert unter Papst Bonifatius VIII zum Kurfürst und Erzbischof von Trier aufstieg, ist Günther selbst eine historische Figur im "lebendigen Freilichtmuseum" in Wallrabenstein. Er hat sich für das Wochenendspektakel auf dem Gelände des Reitvereins extra eine Tonsur rasiert. "Nach dem Wochenende wachsen die Haare wieder nach", sagt Günther, der im Zivilleben Feuerwehrmann ist.

"Die Kirche muss zu den Menschen kommen"

Jeder "Mittelalter-Mensch" suche sich eine Rolle aus, ob Graf, Ritter, Bäuerin oder Mönch, erzählt Günther. Sein Kirchenvorstandskollege etwa mimt den Franziskaner "Bruder Tuck", eine Frau eine Bäuerin aus dem 14. Jahrhundert. Gewandet, am rustikalen Holztisch speisend und im Zelt schlafend, tauchen die Aktiven ein in ihre mittelalterliche Welt und nehmen ihre Wunschcharaktere an. Eine Auszeit vom Alltag sei das, sagt "Ritter Eckhart zu Cronsberg", der im normalen Leben Dachdecker ist.

Neben den Gottesdienstbesuchern bestaunen auch viele Zaungäste die Kostüme oder verfolgen die Predigt und den Gesang von Pfarrerin Glaser. Thema ist Hildegard von Bingen, die sich als emanzipierte Christin im 12. Jahrhundert gegen viele Widerstände zur Wehr setzen musste. "Die Kirche muss zu den Menschen kommen", ist Glaser überzeugt. Ähnlich sei es im Mittelalter gewesen, als es an vielen Orten noch keine Kirchen gab, die Prediger über Land reisten und "auf dem Felde" oder dem Marktplatz das Evangelium verkündeten.

Für künftige mittelalterliche Spektakel - die Wallrabensteiner besuchen bis zu 16 solcher Heerlager im Jahr - hat Dieter Günther bei einem Schreiner einen Wanderaltar zum Aufklappen bestellt. Er soll - typisch für die Epoche - mit dem "Jüngsten Gericht" des niederländischen Malers Rogier van der Weyden (um 1400-1464) ausgemalt werden. "Den Altar nehmen wir dann mit auf die Reise, wenn wir irgendwo in Deutschland wieder an einem Lager teilnehmen und Gottesdienst feiern."

epd