Medienfachleute: Keine Bühne für norwegischen Mörder

Medienfachleute: Keine Bühne für norwegischen Mörder
Nach den grausamen Anschlägen von Oslo und Utøya mit 76 Toten warnen Medienexperten davor, den Attentäter Anders Behring Breivik zu sehr in den Mittelpunkt der Berichterstattung zu stellen. Ein völliger Verzicht auf Fotos sei aber auch keine Lösung.

Der Düsseldorfer Medienprofessor Christian Schicha sagte in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd), eine Konzentration auf den Täter könne "Nachahmer motivieren". Journalisten stünden vor der Herausforderung, angemessen zu informieren, ohne dem Täter eine Bühne zu liefern. Auch Manfred Protze, der dem Deutschen Presserat angehört, ermahnte die Medien, sich nicht zu Komplizen des Verbrechers zu machen.

"Er freut sich über Öffentlichkeit"

Schicha sagte, deutlich werde diese Schwierigkeit auch bei den aktuellen Bildern, die den festgenommenen Breivik nach der Haftvorführung im Polizeiwagen zeigen: "Einerseits beruhigen diese Fotos, weil sie zeigen, dass der Täter gefasst ist. Andererseits zeigt er durch sein Lächeln, wie sehr er sich über die Öffentlichkeit freut." Auf die Abbildung des Täters völlig zu verzichten, sei jedoch keine Alternative. Bilder, die den Täter bewaffnet und verkleidet zeigen, seien über das Internet ohnehin bereits öffentlich, sagte Schicha. "Wichtige Aufgabe der Medien ist es, diese Fotos mit Hintergrundinformationen einzuordnen."

Ähnlich sieht dies der Leipziger Journalistikprofessor Michael Haller. Entscheidend sei, dass in Experteninterviews die Beweggründe des Täters entschlüsselt würden. Die Kräfte und Einstellungen des Mörders sollten dabei als "hochgradig pathologisch" eingestuft und nicht wertfrei dargestellt werden. Die Norwegen-Berichterstattung habe gezeigt, dass der "deutsche Journalismus weit unter seinem Niveau" arbeite.

Deutscher Journalismus unter Niveau?

Protze sagte, man dürfe natürlich über die Motive des Täters berichten, doch wichtig sei, "durch die sprachliche Gestaltung die nötige Distanz aufrechtzuerhalten". Keinesfalls sollten sich die Medien durch zu lange "fortlaufende Textzitate zu einem Transmissionsriemen der Propaganda" machen lassen. Nach Angaben von Protze sind beim Selbstkontrollgremium der deutschen Presse bereits mehrere Beschwerden zur Berichterstattung über den Attentäter von Oslo eingegangen. Einige Leser hätten Fotos von blutüberströmten Opfern kritisiert. Eine Beschwerde richte sich gegen die Veröffentlichung eines Fotos, auf dem sich der Täter als Kreuzritter inszeniert. Der Presserat werde sich mit den Beschwerden befassen, aber keine Schnellurteile fällen, sagte er.

Schicha kritisierte auch die vorschnellen, fehlerhaften Einordnungen, die Experten kurz nach den Anschlägen gaben. Der ZDF-Terrorismusexperten Elmar Theveßen etwa ging lange von einem islamistischen Hintergrund aus. "Angebrachter wäre es, zu sagen, dass noch keine Informationen vorliegen und deshalb eine Interpretation der Ereignisse derzeit nicht möglich ist", sagte der Medienwissenschaftler. Stattdessen ließen sich die Medien jedoch immer wieder von dem Druck leiten, rasch die Vorfälle erklären zu müssen. "Am Ende leidet dabei die Glaubwürdigkeit." Schicha ist Professor für Medienmanagement an der Mediadesign Hochschule Düsseldorf.

epd