Ganz Norwegen will am Montag der fast 100 Toten bei zwei Terroranschlägen mit einer Schweigeminute gedenken. Das kündigte Ministerpräsident Jens Stoltenberg am Sonntag nach einem Gespräch mit König Harald V. in Oslo an. Wie die Zeitung "Dagbladet" weiter in ihrer Online-Ausgabe berichtete, hat auch die Regierung im benachbarten Schweden die Bevölkerung zu der Schweigeminute um 12 Uhr aufgerufen.
Wenig später soll der geständige Attentäter Anders Behring Breivik in Oslo einem Haftrichter vorgeführt werden. Der 32-Jährige hat am Freitag auf der Fjordinsel Utøya mindestens 86 Teilnehmer eines sozialdemokratischen Jugendlagers getötet. Kurz vorher starben mindestens sieben Menschen durch eine von dem Rechtsradikalen platzierte Autobombe im Osloer Regierungsviertel.
Attentäter soll keine Propaganda-Plattform bekommen
Die norwegische Polizei will öffentliche Propaganda des Attentäter Anders Behring nach der Ermordung von fast 100 Menschen verhindern. Wie die zuständige Polizeijuristin Carol Sandby am Montagmorgen in der Online-Zeitung "VG Nett" ankündigte, soll beim heutigen ersten Osloer Haftprüfungstermin mit dem 32-Jährigen der Ausschluss der Öffentlichkeit beantragt werden.
Der rechtsradikale Breivik hatte in Verhören nach den beiden Anschlägen vom Freitag mit mindestens 93 Toten erklärt, dass er seine Motive vor dem Haftrichter darlegen wolle. Dafür wünsche er Öffentlichkeit. In seinem sogenannten Manifest im Internet hatte Breivik geschrieben, dass er die Zeit nach einer möglichen Festnahme als "Propagandaphase" nutzen wolle.
Er soll gegenüber seinem Anwalt Geir Lippestad den Wunsch geäußert haben, ihm eine Uniform für den Hafttermin zu beschaffen. Lippestad hatte im Fernsehen erklärt, es falle ihm insgesamt schwer, die Äußerungen Breiviks bei den Polizeiverhören "in vernünftiger Form" wiederzugeben. Beim Hafttermin im Osloer Amtsgericht wird die Verhängung von acht Wochen Untersuchungshaft gegen Breivik erwartet.
Stiefbruder von Prinzessin Mette-Marit unter Mordopfern
Zu den Opfern des Massakers auf der Insel Utøya gehört auch ein Stiefbruder der norwegischen Prinzessin Mette-Marit. Wie die Zeitung "Dagbladet" am Montag in ihrer Online-Ausgabe berichtete, wurde der 51-jährige Polizist Trond Berntsen erschossen, als er seinen zehnjährigen Sohn schützen wollte. Berntsens Vater war mit der Mutter Mette-Marits, Marit Tjessem, verheiratet.
Eine Hofsprecherin sagte der Nachrichtenagentur NTB: "Die Gedanken der Prinzessin sind bei den nächsten Angehörigen." Berntsen hielt sich privat im Sommerlager der sozialdemokratischen Jugendorganisation AUF auf. Unklar blieb, ob er dabei als Wachmann für die Veranstalter arbeitete. Ein Fahndungsprecher hatte am Sonntag angegeben, dass ein Polizist außerhalb seines Dienstes diese Funktion ausgeübt habe.
Attentäter wollte auch Brundtland ermorden
Der norwegische Attentäter wollte bei dem Massaker auf der kleinen Insel Utøya auch die frühere Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland ermorden. Die Osloer Zeitung "Aftenposten" berichtete am Montagmorgen in ihrer Online-Ausgabe unter Berufung auf Polizeikreise, dass der 32-jährige Anders Behring Breivik dies bei Verhören angegeben habe.
Brundtland (72) ist die international bekannteste sozialdemokratische Politikerin aus Norwegen. Sie war nach mehreren Amtszeiten als Ministerpräsidentin bis 2003 Generalsekretärin der Weltgesundheitsorganisation WHO. Brundtland trat am frühen Freitagnachmittag beim sozialdemokratischen Jugendlager auf der Insel Utøya auf, bei dem Breivik wenig später mindestens 86 Jugendliche tötete.
Breivik hatte die oft als "Landesmutter" bezeichnete Politikerin in seinem Internet-"Manifest" als "Landesmörderin" bezeichnet. Vor der Polizei gab der Attentäter nach den Angaben von "Aftenposten" an, dass er sich auf der Insel verspätet habe. Auch seine Pläne für die vorherigen Bombenexplosionen seien eigentlich umfassender gewesen.
Nach den Ermittlungen handelte der Massenmörder wahrscheinlich als Einzeltäter. Neun Jahre lang soll er seine Taten geplant haben. Die Polizei äußerte sich am Sonntagabend zurückhaltend zum Motiv. Sie stieß im Internet auf eine 1.500 Seiten lange Hassschrift des Mannes.
Behörden: Christlicher Fundamentalist
Der von den Behörden als "christlicher Fundamentalist" eingestufte Mann richtete auf einer winzigen Ferieninsel nahe Oslo ein grauenhaftes Blutbad unter rund 700 jungen Leuten an. Er erschoss auf einem fröhlichen Jugendtreffen gegen Intoleranz und für ein friedliches Miteinander mindestens 86 Teilnehmer oder trieb sie im Wasser in den Tod. "Jeder lief um sein Leben und hat versucht, wegzuschwimmen", sagte Camp-Organisator Adrian Pracon (21), der das Blutbad mit einer Schussverletzung überlebte.
Eine Stunde lang schoss der Attentäter mit einem Schnellfeuergewehr gezielt auf die zunehmend panischen Jugendlichen, die weder von der Insel Utøya fliehen noch auf schnelle Hilfe hoffen konnten. "Es sah aus, als habe er Spaß", sagte Augenzeuge Magnus Stenseth (18). Viele versuchten, sich zu verstecken oder die 700 Meter bis zum rettenden Ufer durch das kalte Wasser zu schwimmen.
Eine Anti-Terror-Einheit konnte erst kein geeignetes Boot auftreiben. Als die Polizei endlich auf der Insel eintraf, ließ sich Breivik ohne Gegenwehr festnehmen. Obwohl er bereits seit gut einer Stunde um sich geschossen hatte, verfügte er zu dem Zeitpunkt "noch über große Mengen Munition". Das teilte Ermittlungschef Sveinung Sponheim am Sonntag in Oslo mit. Mit ihrem "schnellen und kompetenten Eingreifen" habe die Polizei einen noch weit schlimmeren Ausgang des Massakers verhindert, hieß es weiter seitens der Polizei.
Vor dem Massaker hatte der 32-jährige Norweger im etwa 40 Kilometer entfernten Oslo mit einer selbstgebauten Autobombe Teile der Innenstadt in eine Trümmerlandschaft verwandelt. Mindestens sieben Menschen wurden durch die Wucht der Explosion und Trümmer getötet. Das Büro von Ministerpräsident Stoltenberg wurde völlig verwüstet. Möglicherweise sollte die Explosion die Polizei ablenken. Deutsche waren nach bisherigen Erkenntnissen nicht unter den Opfern.
"Grausame, aber notwendige" Taten
In einem Geständnis bezeichnete Breivik seine Taten als "grausam, aber notwendig". Keine drei Stunden vor dem ersten Anschlag hatte er ein wirres "Manifest" im Internet abgeschlossen: "Ich glaube, dies wird mein letzter Eintrag sein." Er wolle Europa vor "Marxismus und Islamisierung" retten. In dem Text stufte er "multikulturelle" Kräfte als Feinde ein. Er beschrieb den Bau einer Bombe, erwähnte auch die Jugendorganisation, die das Inselcamp organisiert hat. Niemandem habe er von seinen Plänen erzählt. Der Mann hat weder Frau noch Kinder. "Er sagt, dass er allein gehandelt hat. Das müssen wir jetzt sehr genau überprüfen", erklärte Sponheim.
Seit dem Frühjahr hatte Breivik sechs Tonnen Kunstdünger zusammengekauft, der zur Herstellung von Bomben geeignet war. Der Hobbyschütze hatte über Netzwerke im Internet Kontakte in die rechte Szene. Er soll nun auf seinen Geisteszustand untersucht werden. "Es ist ausgesprochen schwer für mich, eine vernünftige Zusammenfassung von dem zu geben, was er in dem Verhör gesagt hat", so Verteidiger Geir Lippestad in örtlichen Medien.
Die Beamten fürchteten, dass noch weitere Todesopfer entdeckt werden könnten. Rund um Utøya suchten Spezialisten am Sonntag nach mindestens vier Vermissten.
Internationale Gemeinschaft verurteilt Anschläge
Die internationale Gemeinschaft zeigte sich erschüttert von den Anschlägen. Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama verurteilten die Tat ebenso wie die Vereinten Nationen und die Europäische Union. Papst Benedikt XVI. warnte vor der "Logik des Bösen". Bundespräsident Christian Wulff übermittelte König Harald V. seine Anteilnahme. Für die Ermordung friedlicher Bürger gebe es keine Rechtfertigung, schrieb Kremlchef Dmitri Medwedew.
Das Geschehen in Norwegen löste auch in Deutschland Beunruhigung aus. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sieht für die Bundesrepublik aber keine direkte Gefahr durch Terroranschläge von rechts. "Hinweise auf rechtsterroristische Aktivitäten liegen derzeit nicht vor", sagte er der "Bild am Sonntag". Fanatische Täter wie Breivik wollen nach Ansicht des Psychoanalytikers Wolfgang Schmidbauer häufig als Held in die Geschichte eingehen. "Heldenmythen haben immer schon eine große Anziehungskraft auf junge Männer ausgeübt", sagte Schmidbauer der Nachrichtenagentur dpa.